Deutschland möchte Migranten an den Grenzen schneller ablehnen. Sie müssten dann etwa nach Österreich zurück. Doch dort protestiert Kanzler Nehammer bereits.
Im Falle von verstärkten Zurückweisungen von Flüchtlingen an deutschen Grenzen könnte Österreich laut Kanzler Karl Nehammer zu ähnlichen Maßnahmen gezwungen sein. Grundsätzlich sei es aber gemäß EU-Recht nicht möglich, Asylbewerber ohne entsprechendes Verfahren einfach abzuweisen, betonte der konservative Regierungschef in einer Wahlkampfdebatte im Sender ORF.
Einen Bruch des EU-Rechts lehne er ab, sagte Nehammer. Deutschland könne sich höchstens auf eine Notstandsklausel in EU-Verordnungen berufen und auf diesem Wege den Druck an seinen Grenzen erhöhen. Sollte Deutschland durch solch eine „eigenwillige Rechtsinterpretation eine Unsicherheitslage schaffen, werden wir dagegen aufstehen und unsere Grenzen ganz klar schützen“, sagte der Kanzler. „Wir werden uns ebenfalls dann auf die Notstandsklausel berufen und ebenso dann zurückweisen“, sagte er.
IV Migrationsforscher Grenzkontrollen 15.35
Zuletzt hat Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) ein Modell vorgeschlagen, um Asylbewerber, die schon in anderen EU-Ländern registriert wurden, künftig rascher in für sie zuständige europäische Staaten zu bringen. Bei einem Gespräch zwischen Bundesregierung und Union sollte der Vorschlag diskutiert werden, doch die Gespräche platzten. Den Christdemokraten geht der Vorschlag nicht weit genug. CDU-Politiker Thorsten Frei kritisierte, dass die Pläne nicht auf zusätzliche Zurückweisungen abzielten, sondern auf beschleunigte Verfahren in Deutschland.
Bundespolizei soll bei Abschiebungen größere Rolle spielen
Die Regierung plant aber dennoch Reformen. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) soll nach den von der Ampel geplanten Änderungen das sogenannte Dublin-Verfahren künftig schneller betreiben. Dabei wird festgestellt, welches europäische Land für ein Asylverfahren zuständig ist. In vielen Fällen ist das jener Staat, auf dessen Gebiet Schutzsuchende zuerst europäischen Boden betreten haben.
Die Bundespolizei soll derweil prüfen, ob es freie Haftplätze gibt und gegebenenfalls beim zuständigen Gericht Haft beantragen, damit Betroffene nicht untertauchen. „Hier ist ein schnelles Handeln der Justiz der Länder erforderlich. Auch müssen die Haftplätze der Länder in ausreichender Anzahl, möglichst in Grenznähe entlang der Migrationsrouten, vorhanden sein“, hieß es. „Alternativ soll eine feste Zuweisung und Wohnsitzauflage vorgesehen werden, wenn Haft nicht in Betracht kommt“, hieß es weiter aus Regierungskreisen.
Die Bundesregierung will das Gespräch suchen, damit die Länder, die Migranten zurücknehmen sollen, kooperieren. Denn hier hakt es derzeit oft. Über eventuelle Klagen der Betroffenen gegen ihre Überstellung sollen die Verwaltungsgerichte zügig entscheiden.
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Eine wirkliche Neuerung ist die geplante größere Rolle für die Bundespolizei. Bislang liegen Abschiebungen in der Verantwortung der Bundesländer, die Bundespolizei unterstützt nur bei der Durchführung. Künftig soll die Bundespolizei am Ende des geplanten beschleunigten Verfahrens die Menschen dann aus Deutschland bringen.
„Außerdem setzt Deutschland weiter auf ein enges kooperatives Zusammenwirken mit den Nachbarstaaten etwa durch gemeinsame Streifen und gemeinsame Polizeizentren an den Grenzen. Ein unmittelbares Zurückweisen an den Grenzen über die heutige Praxis hinaus würde diese Zusammenarbeit massiv gefährden“, hieß es weiter.
Anschlag in Solingen entfachte Migrationsdebatte in Deutschland
Faeser hatte am Vortag des Treffens bereits vorübergehende Kontrollen an allen deutschen Landgrenzen angeordnet, um die Zahl unerlaubter Einreisen stärker einzudämmen. Die zusätzlichen Kontrollen sollen am 16. September beginnen und zunächst sechs Monate andauern. Als Gründe für die nun angeordneten Kontrollen nannte das Ministerium neben der Begrenzung der irregulären Migration auch den Schutz der inneren Sicherheit vor aktuellen Bedrohungen durch den islamistischen Terrorismus und vor grenzüberschreitender Kriminalität.
Verschärft hatte sich die Debatte um irreguläre Migration und Abschiebungen auch aufgrund von mehreren Gewalttaten. In Solingen waren bei einem mutmaßlich islamistischen Messerattentat auf einem Stadtfest im August drei Menschen getötet und acht weitere verletzt worden. Ein 26-jähriger Syrer sitzt wegen der Tat in Untersuchungshaft.STERN PAID 36_24 Titel Solingen
Zurückweisungen gibt es derzeit nur in bestimmten Fällen: wenn jemand mit einer Einreisesperre belegt ist oder kein Asyl beantragt. Zurückweisungen an den deutschen Binnengrenzen sind grundsätzlich nur da möglich, wo es Kontrollen direkt an der Grenze gibt.
Seit Oktober sind laut Bundesinnenministerium mehr als 30.000 Menschen zurückgewiesen worden. Mitte Oktober 2023 hatte Faeser stationäre Kontrollen an den Grenzen zu Polen, Tschechien und der Schweiz angeordnet. An der deutsch-österreichischen Landgrenze gibt es solche Kontrollen, die mit der irregulären Migration begründet werden, bereits seit September 2015. Die neu angeordneten Kontrollen direkt an der Grenze betreffen die Landgrenzen zu Frankreich, Dänemark, Belgien, den Niederlanden und Luxemburg.