Über den Mann als Opfer spricht Mann nicht. Arne Hoffmann versucht es trotzdem in seinem Buch „Sexuelle Gewalt gegen Männer“, was streckenweise gelingt und manchmal im Grabenkampf endet.
Sexuelle Gewalt gegen Männer? Das geht doch gar nicht! Der Mann ist ein Täter und die Frau sein Opfer. Schließlich wollen Männer immer Sex und wenn sich eine Frau an ihm vergeht, dann solle er sich glücklich schätzen. Und wenn er eine Backpfeife bekommt, dann hat er das eben verdient. Grob umrissen beschreibt Arne Hoffmann in seinem Buch „Sexuelle Gewalt gegen Männer“ so den Mehrheitsgedanken unserer Gesellschaft, wenn an häusliche oder sexuelle Gewalt gedacht wird.
Aus dem Bauch heraus macht er das zum Glück nicht. Wenig gefühlig und etwas trocken überschüttet der Autor seine Leser:innen immer wieder mit Studien und Forschungen zu sexueller und häuslicher Gewalt. Sie belegen eines: Männer sind keineswegs nur Täter, sondern zu einer erstaunlich hohen Prozentzahl auch Opfer von Gewalt – und das auch von Frauen. Interessant ist das allemal und gesellschaftlich relevant ist sexuelle und/oder häusliche Gewalt auch immer – egal, gegen wen sie sich richtet und von wem sie ausgeht.
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Sexuelle Gewalt gegen Männer: Ein Maskulist am Werke
Hoffmann kritisiert allerdings, dass männliche Opfer weder gesehen werden noch eine vernünftige Unterstützung erfahren. Dazu sei gesagt, dass sich der Autor selbst als Vertreter des Maskulismus versteht. Dabei handelt es sich um eine Bewegung, der es nach eigner Aussage darum geht, „Benachteiligungen, soziale Problemlagen und Menschenrechtsverletzungen in Bezug auf alle Menschen einschließlich der Männer zu erforschen … und realistische Lösungsstrategien zu entwickeln.“
Maskulisten wird von Feministinnen und Feministen eine antifeministische und frauenfeindliche Positionen unterstellt. Und genau hier liegt Knallpotenzial begraben, das der Autor nur zum Teil explodieren lässt. Im Buch finden sich keine frauenfeindlichen Formulierungen oder Denkweisen. Es handelt auch nicht davon, Frauen irgendwelche Rechte abzusprechen oder wegzunehmen. Allerdings kritisiert der Autor, dass männliche Opfer und weibliche Täter nicht gesehen werden. Und er widerlegt Aussagen und Behauptungen einzelner Feministinnen wie beispielsweise von Alice Schwarzer (dazu später mehr).
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Politik, Medien und Stereotype
Die Antwort auf die Frage, wieso, weshalb, warum Männern Hilfe verwehrt bleibt, liefert Hoffman aus seiner Sicht gleich mit und zwar in einer deutlichen Kritik an Politik, Medien und alten Stereotypen. Die Kritik an der Politik ist überraschend. Ein Beispiel: Ausgerechnet die (selbst ernannten) Fortschrittsparteien Grüne, SPD und Piraten dienen als Beispiel, weil sie Hilfsangebote für von sexueller oder häuslicher Gewalt betroffene Männer blockieren. Kurios ist es allemal, wenn durch Denken in alten Stereotypen um des Fortschrittswillens der Fortschritt zu einer neuen Sicht auf den Mann verhindert wird.
Das Sexmalsex der Berichterstattung
Seine Kritik an den Medien belegt Hoffmann ebenfalls an Beispielen. Mal vertauscht ein großes Nachrichtenmagazin die Studienergebnisse zu häuslicher Gewalt zwischen Frauen und Männern, mal werden männliche Opfer sexueller Gewalt nicht nur lächerlich gemacht, sondern darüber hinaus verhöhnt, mal titelt ein Schweizer Boulevard-Blatt über den Missbrauchsfall eines Minderjährigen: „Mathelehrerin verführt Schüler (15): Sie brachte ihm das Sexmalsex bei“, mal werden kritische Kommentare in sozialen Medien schroff abmoderiert.
Das Bild, welches der Autor anhand der Beispiele zeichnet, ähnelt erschreckend dem oben dargestellten Mehrheitsgedanken. Politik und Medien eint, dass gerade progressiv eingestellte Marken nur zu gern in alte Stereotype verfallen, wenn Männer die Opfer von sexueller Gewalt sind. So kann natürlich keine Debatte über das Thema entstehen. Und wo es keine Öffentlichkeit gibt, da findet sich meist auch kein Verlag, der ein Buch veröffentlichen will, weshalb Hoffmann seines im Eigenverlag herausbrachte. Auch das sollten Leser:innen wissen, regen eigenverlegte Bücher gefühlt zu besonderer Obacht bei der Lektüre an.
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Stereotype und Geschlechterklischees
Womit wir zu den alten Stereotypen in unseren Köpfen kommen, die Hoffmann zu durchbrechen anregt. Männer, die Opfer von sexueller Gewalt geworden sind, sprechen eben nicht darüber, weil es nicht männlich im klassischen Sinne ist. Und weil Männer sich fürchten, nicht ernst genommen zu werden, wenn sie die gewalttätigen Übergriffe zur Anzeige bringen. All das lässt sich natürlich schwierig belegen, weshalb sich der Autor häufig auf Aussagen von Betroffenen stützt. Die im Buch festgehaltenen Interviews männlicher Opfer sexueller Gewalt sind mit der lesenswerteste Teil von „Sexuelle Gewalt gegen Männer“ und hinterlassen beim Leser oder der Leserin einen nachhaltigen Eindruck.
Auf der anderen Seite steht dagegen das von Hoffmann kritisierte Bild „der Frau als Verkörperung der reinen Unschuld“, das besonders gefährlich sei, wenn Frauen zu Täterinnen werden. Die angeführten Beispiele des Kindesmissbrauchs durch Frauen sind schockierend. Der Autor selbst spricht von einem „blinden Fleck“ im Bezug auf weibliche Gewalt. Er kritisiert dabei auch Alice Schwarzer, die laut Hoffmann in einem ihrer Bücher behaupte, dass 98,5 Prozent aller Missbrauchstäter männlich seien und die verbliebenen 1,5 Prozent seien Frauen, die von Männern zum Missbrauch angestiftet worden seien. Dem entgegen hält der Autor mehrere Forschungsergebnisse, unter anderem eine Studie des Universitätsklinikums Eppendorf, die zu einem anderen Ergebnis kommen als das von Schwarzer propagierte Bild der gewaltfreien Frau. Vermutlich rührt daher auch die Kritik einiger Feminist:innen an ihm und/oder seinem Aktivismus.
Tipp: Weitere Buchempfehlungen aus der Redaktion finden Sie übrigens auf unserer Themenseite.
Hoffmanns kleine Scharmützel
Womit wir zu den kleineren Scharmützeln gelangen, die sich der Autor teilweise liefert. Zum Teil ist es natürlich angemessen, Unsinn als solchen zu belegen – gerade bei der Medienkritik. Andererseits genügen im Kern die angeführten Forschungsergebnisse, ohne den Exkurs in die verborten Weltanschauungen einiger Individuen zu unternehmen. Zugegeben: Hier eine Balance zu finden, ist schwierig bis unmöglich. Aber zuweilen bekommt das Buch den Beigeschmack eines Grabenkampfes zwischen Frau und Mann, was der Ernsthaftigkeit des Themas manchmal nicht gerecht wird.
Fazit
Gleichberechtigung mal anders. Wie es mit unserer subjektiven Wahrheit so ist, unterscheidet sich manchmal das, was wir glauben zu wissen, fundamental von dem, was wirklich ist. Oder wie es ein Mann in einem Interview aus dem Buch sagt: „Man sieht nur, was man sehen will“. Voreingenommenheit nennt das der Volksmund und Hoffmann versucht in „Sexuelle Gewalt gegen Männer“ mit ihr aufzuräumen – auch was das Klischee der gewaltfreien Frau angeht. Das gelingt ihm größtenteils. Sein Buch ist natürlich von seinem Aktivismus geprägt. Und so absurd es klingen mag: Es eint sich vor allem beim Brechen von Geschlechterklischees mit der Forderung nach Umdenken, die eigentlich aus dem Feminismus bekannt ist. Wer in Gleichberechtigung und Überwindung von Sexismus bei Frau und Mann keine Einbahnstraße sieht, kann zu dem Buch greifen und damit vielleicht seine Sichtweise erweitern.
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