Bei der Premiere seines Alterswerks „Megalopolis“ wirkte der Regisseur gebrechlich und vom Leben geschrumpft. Ans Aufhören denkt der 85-Jährige trotzdem nicht.
Chaos und überforderte Mitarbeiter. Halbnackte Tänzerinnen, die gegen ihren Willen geküsst wurden. 120 Millionen US-Dollar aus dem Privatvermögen, weil Hollywood kein Interesse zeigte. Ein Regisseur, der lieber bekifft in seinem Trailer herumhing, anstatt sich um die Dreharbeiten zu kümmern.
Wenig Filme haben schon vor ihrer Premiere für so viele Schlagzeilen gesorgt wie „Megalopolis“. Das neue Mega-Projekt von Kinolegende Francis Ford Coppola („Der Pate“) und vielleicht auch sein letztes. Der Amerikaner wurde im April 85, kurz nach seinem Geburtstag starb seine Frau Eleanor. Auf Bildern wirkt er zunehmend gebrechlich und vom Leben geschrumpft.
Francis Ford Coppola hat seine halbe Familie nach Cannes mitgebracht
Nach Cannes hat Coppola vielleicht auch deshalb seine halbe Familie mitgebracht. Seine Enkelinnen Romy und Cosima Mars stützten ihn beim Gang zur Pressekonferenz und wichen auch sonst nicht von seiner Seite. Neben ihm auf dem Podium saßen Roman Coppola und Francis Schwester Talia Shire, die im Film eine Mutterrolle übernommen hat. „Bei der Premiere von „Apokalypse Now“ trug ich noch Sofia auf den Schultern“, erinnert sich Coppola Senior. In Cannes hat er bereits zwei Mal die Goldene Palme gewonnen.
Dass „Megalopolis“ im diesjährigen Preisrennen vorne liegen könnte, ist jedoch eher unwahrscheinlich. Zu unfertig und unausgegoren wirkt sein Epos, das durch die Folie des Römischen Reichs ein Sittenbild des heutigen Amerikas entwirft und so vor dessen drohendem Untergang warnen will. „Eine Fabel“ nennt Coppola sein fast zweieinhalbstündiges Werk bescheiden, teilweise wirkt es mehr wie ein Zirkus der Monstrositäten, der so viele Ideen und Inspirationen in die Manege wirft, dass man den Überblick verliert. Oder die Geduld.
Altmeister Francis Ford Coppola (4.v.r.) mit Hauptdarsteller Adam Driver, links von ihm, und seinem Schauspieler-Ensemble bei der Premiere von „Megalopolis“ in Cannes
© Genin Nicolas/ABACA
Die Geschichte im Groben: Ein visionärer Architekt (Adam Driver) hat eine nachhaltige Alternative zu Beton entdeckt und will eine an New York City angelehnte Metropole für die Zukunft fit machen. Schulen statt Spielcasinos, mehr öffentliche Plätze, Parks und kostenlose Nahverkehrsmittel, Privatgärten für alle, nicht nur für die Reichen und Mächtigen. Das finden ein einflussreicher Bankier (Jon Voight) und seine Mitarbeiter (u. a. Dustin Hoffman) sowie der korrupte Bürgermeister (Giancarlo Esposito) weniger lustig, dafür verliebt sich dessen Tochter (Nathalie Emmanuel, bekannt als Missandei aus „Game of Thrones“) in den Vordenker. Widerstand kommt zudem von seinem Cousin (Shia LaBeouf), der eine Revolution der Armen anzetteln will gegen alle Beteiligten.
Ein Überfluss an politischen, religiösen und moralischen Anspielungen
Nicht nur die Besetzung von „Megalopolis“ ist also leicht megaloman, die holprig erzählte Handlung und der Überfluss an politischen, religiösen und moralischen Anspielungen sind, zumindest beim ersten Sichten, eine Herausforderung. Die drei tragenden Säulen einer Gesellschaft seien „Wirtschaft, Journalismus und Sex-Appeal“, heißt es in einer Szene.
Angesprochen auf die politische Botschaft seines Werks und eine Figur, die offenbar von Donald Trump inspiriert ist, wurde Coppola deutlicher. „Männer wie Trump haben im Moment nicht das Sagen, aber es gibt einen Trend in der Welt hin zu einer neo-rechten, sogar faschistischen Tradition“, sagte er. Das sei beängstigend. „Jeder, der den Zweiten Weltkrieg miterlebt hat, die Schrecken, will nicht, dass sich das wiederholt“. Seine Aufgabe als Künstler sei es dabei „Licht auf die Geschehnisse in der Welt zu werfen.“
Zu den MeToo-Vorwürfen wird Coppola in Cannes nicht mehr gefragt. Der Co-Produzent des Films hatte die Anschuldigungen aber bereits vorher entkräftet und zurückgewiesen. Sein Star LaBeouf – von zwei Ex-Freundinnen wegen sexuellen Missbrauchs angeprangert, wahrscheinlich muss er im Herbst deswegen vor Gericht – erschien erst gar nicht zur offiziellen Pressekonferenz. Im Film spielt er seine Rolle des Umstürzlers als Crossdresser und Transperson. „In einem Kleid schmeckt Rache besonders gut“, sagt seine Figur.
„Geld spielt keine Rolle, Was wichtig ist, sind Freunde“
Hat Coppola nun – sein Film hat noch immer keinen US-Verleih, bei uns bringt in Constantin ins Kino – nun finanzielle Probleme? Ach, winkt er ab, seine Kinder hätten auch ohne großes Vermögen bereits eine eigene Karriere sicher. An den Rest habe er nur eine Botschaft. „Das Geld spielt keine Rolle. Was wichtig ist, sind Freunde. Ein Freund wird euch nie im Stich lassen, Geld kann sich jederzeit in Luft auflösen“. Coppola befürchtet zudem, dass die Filmindustrie zu einer Angelegenheit von Leuten geworden ist, die eingestellt wurden, um die hohen Schulden der Studios zu begleichen. Nicht um gute Filme zu machen.
Das vermeintliche Chaos am Set seiner immerhin ungewöhnlichen und ambitionierten Produktion, erklärte Adam Driver. Die Arbeit daran hätte sich angefühlt „wie experimentelles Theater – rebellisch und aufregend. Ich denke, der Film wird historisch immer mehr dazugewinnen“, sagte er. Coppola Verrücktheiten und Spleens vorzuwerfen, wirkt sowieso etwas albern. Wie kein anderer Filmemacher hat er zeitlebens Budget-Vorgaben und andere Wünsche der Studios ignoriert, hat aus Tohuwabohu und Marihuana-Wolken zeitlose Kunst erschaffen und Filmgeschichte geschrieben.
Egal ob „Megalopolis“ nun gefeiert oder geschmäht wird: Ans Aufhören denkt Coppola noch lange nicht „Ich habe gerade angefangen, meinen neuen Film zu schreiben“, gibt er den Zuhörern noch mit auf den Weg. „Ich komme dann in 20 Jahren wieder“, sagte er und schickt schnell einen Blick nach oben in den Himmel. Viele Menschen würden kurz vor ihrem Tod beklagen, was sie noch alles hätten machen wollen. Er dagegen habe miterlebt, wie seine Tochter einen Oscar gewonnen habe. Er habe seinen eigenen Wein hergestellt und alle Filme gemacht, die er machen wollte. „Ich bin immer noch so sehr damit beschäftigt, darüber nachzudenken, was ich noch zu tun habe, dass ich es nicht bemerken werde, wenn ich sterbe.“