Zurückhaltung war gestern: FDP-Chef Christian Lindner verschärft den Ton im Haushaltsstreit. SPD und Grüne sollten sich keine Illusionen machen. Damit wird klar: Dieser Mann zieht durch, im Zweifel bis zum Ampel-Aus.
In zweieinhalb Jahren Ampel-Koalition mangelte es nicht an Artikeln über Christian Lindner. Seine Sätze sind gewendet, gedeutet und auf Kohärenz geprüft worden. Sein Handeln ist analysiert, kommentiert und nicht selten verurteilt worden. Er war der ewige Blockierer, der Störenfried rot-grüner Fortschrittsträume. Der stern montierte ihn im Dezember aufs Magazin-Cover, bequem auf einem paar Stangen Dynamit sitzend. Titelzeile: „Der Sprengmeister“.
Nein, der Vizevizekanzler kann sich über fehlende Aufmerksamkeit wahrlich nicht beschweren. Was haben SPD und Grüne, Opposition und Medien nicht bis zur Verzweiflung gegrübelt: Was will dieser Mann? Regiert der Finanzminister wirklich so gerne, wie er stets betont? Oder plant der FDP-Chef längst das Ampel-Aus?
Glücklicherweise kann man sich die hohe Kunst der Lindner-Astrologie jetzt, in diesen entscheidenden Tagen des Haushaltsstreits, endgültig sparen. Man muss ihm nur gut zuhören. Dann erklärt sich der Rest von ganz allein. In der Substanz sagt Lindner seit Wochen dasselbe. Aber sein Ton wird schärfer, direkter, rücksichtsloser. Er verzichtet nun auf Zwischentöne.
In knapp sieben Wochen steht entweder ein Haushaltsentwurf für 2025. Oder die Ampel ist Geschichte. Vorwärts immer, umschauen nimmer. Ein Mann zieht durch.
„Die Illusion, dass das Geld einfach vom Himmel fällt“
Am Donnerstag zum Beispiel, da verkündete Lindner, dass die Bundesregierung 2025 mit etwa elf Milliarden Euro weniger auskommen muss als bisher gedacht: „Das Ergebnis der Steuerschätzung zerstört also die Illusion all derjenigen, die vielleicht vermutet haben, dass das Geld einfach so vom Himmel fällt.
Wer das vermutet haben soll, ließ Lindner offen. Ist ja ohnehin kein Geheimnis, wem er vorwirft, den Ernst der Lage nicht erkannt zu haben: den lieben Kabinettskollegen von SPD und Grünen. Eigentlich sollten alle Ministerien nur so viel Budget fordern dürfen, wie im Finanzplan vereinbart und vorgesehen. So hatten es Lindner, der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck und der Bundeskanzler beschlossen. Eine Vereinbarung, die der Olaf Scholz in dieser Woche im stern noch einmal bekräftigt hat. Die nur irgendwie zum Beispiel am Genossen Hubertus Heil im Arbeitsministerium komplett vorbeigegangen zu sein scheint.
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Nun kämpfen Minister in Etatverhandlungen traditionell für ihr Ressort. In guten alten GroKo-Zeiten fand sich spätestens mit der Steuerschätzung auch für jeden noch ein ordentlicher Nachschlag. Doch diese Zeiten sind vorbei. Und das dürfte niemanden in dieser Regierung überraschen. Niemanden. Dafür läuft der Streit um den Haushalt nun schon viel zu lange.
Man mag sie bescheuert finden, diese finanziellen Fesseln, die sich die Ampel selbst angelegt hat. Zumal in einer Situation, in das Land dringend in Kriegstüchtigkeit und Klimaschutz investieren muss. Aber was haben SPD und Grüne denn erwartet?
Dass Lindner sich auf Steuererhöhungen für Gutverdiener einlässt? Sehr witzig.
Dass er eine Reform der Schuldenbremse vorantreibt, die ohne die Union sowieso nicht zu machen ist? Ziemlich absurd.
Oder dass er einen wackligen Grund findet, die Schuldenbremse auszusetzen, nur um die nächste Niederlage vor dem Bundesverfassungsgericht zu kassieren? Hahaha.
SPD und Grüne erwecken derzeit noch den Eindruck, als liefen die Verhandlungen nach den üblichen Spielchen: Jeder zockt ein bisschen, auch der Finanzminister, und am Ende geht alles gut aus, irgendwie. Vor dieser Illusion möchte man die entsprechenden Minister gerne bewahren, sofern ihnen wirklich etwas daran liegt, einen Haushalt aufzustellen. Um mit der Altkanzlerin zu sprechen: Die Lage ist ernst – nehmen Sie Christian Lindner ernst.
Christian Lindner schont auch den Kanzler nicht
Am Dienstag zum Beispiel reagierte der Finanzminister wie folgt auf einen Vorstoß des Kanzlers: „Die SPD macht fortwährend Vorschläge, die nicht zum Koalitionsvertrag für diese Legislaturperiode passen“, sagte Lindner. „Das einzig Neue ist, dass sich daran nun auch der Kanzler beteiligt. Ich hoffe, dass damit nun auch die gespielte Empörung der SPD endet, wenn die FDP eigenständig Ideen vorträgt.“
Was war passiert? Olaf Scholz hatte im stern-Interview gefordert, den Mindestlohn erst auf 14, dann auf 15 Euro zu erhöhen. Dass Lindner dafür keine Sympathien finden würde, geschenkt. Dass er aber den Kanzler so direkt angeht, durchaus ungewohnt. Nur geht die „gespielte Empörung“ eben vielen in der FDP-Fraktion schon lange auf den Zeiger. Kaum eine Woche vergehe ohne Schuldenbremsen-Vorschläge aus der SPD-Führung, heißt es dann. Aber wenn die FDP nur einmal etwas vorschlage, das nicht im Koalitionsvertrag steht, herrsche gleich wieder Störenfried- und Blockierer-Alarm.
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Man sollte das kurz sortieren. Die wichtigsten Forderungen der FDP, zu denen wenig im Koalitionsvertrag steht, verbergen sich hinter dem Dreiklang der „Wirtschaftswende“, die Lindner tagtäglich fordert. Arbeitsmarkt reformieren, Bürokratie abbauen, Steuern senken. Das sind die Schlüsse, die die Liberalen aus der aktuellen Lage ziehen. Der Wirtschaft geht es schlecht, entsprechende Reformen müssen her. Sofort. Daher schreibt die FDP derzeit wahlweise 12- oder 5-Punkte-Papiere, fordert darin allerhand, von dem sie weiß, dass das Meiste nur begrenzt mit SPD und Grünen umsetzbar sein wird.
Ganz wichtig dabei: Auf die zwei roten Linien, mit denen die FDP in diese Koalition gegangen ist, hat die neue Lage keine Auswirkungen: Keine Steuererhöhungen, die Schuldenbremse gilt. Beides ist unverhandelbar, mehr noch, aus liberaler Sicht so richtig und wichtig wie nie zuvor.
Bei der SPD wiederum sprechen sie auch von einer neuen Lage, an die man sich anpassen müsse, Koalitionsvertrag hin oder her, meinen damit jedoch weniger das fehlende Wachstum als den Krieg in der Ukraine, die Energiekrise und die Inflation. Aus Angst das Land kaputtzusparen, landen die Genossen immer wieder bei Steuererhöhungen und einer Reform der Schuldenbremse, wollen also genau über das verhandeln, das für die FDP unverhandelbar ist.
Diese verqueren Wahrnehmungen und Schlussfolgerungen sorgen dafür, dass sich SPD, Grüne und FDP in den Haushaltsverhandlungen gerade mit- und gegeneinander in ein Endspiel um die Ampel treiben.
Ach Gott, die Radwege in Peru
Im ZDF hat Lindner nun klargestellt, was er angesichts knapper Kassen unter Prioritäten-setzen versteht: „Wir können nicht mehr jeden Radweg in Peru mit dem Geld der deutschen Steuerzahler bezahlen.“
Ach Gottchen, die Radwege in Peru. Mit Verlaub, das ist billige Polemik. Es provoziert die SPD, die mit Svenja Schulze für Entwicklungszusammenarbeit zuständig ist. Es provoziert die Grünen, die ihm vorwerfen werden, rechtspopulistische Narrative zu verbreiten und damit die Demokratie zu gefährden. Vor allem aber fällt es auf.
Man kann das nun als einen der eher seltenen Ausfälle sehen, in denen Lindner ins unterste Regal des Vulgärliberalismus greift. Man könnte es aber auch als ein weiteres Signal an die Koalitionspartner verstehen: Wacht endlich auf, ich bin zu allem bereit.