Nach der Sperrung des Onlinedienstes X in Brasilien sind in dem südamerikanischen Land am Samstag tausende Demonstranten auf die Straße gegangen. Die Kundgebung in der Wirtschaftsmetropole São Paulo fand am brasilianischen Unabhängigkeitstag als Gegenveranstaltung zu einer offiziellen Parade in der Hauptstadt Brasília mit dem linksgerichteten Staatschef Luiz Inácio Lula da Silva statt. Dessen rechtsextremer Amtsvorgänger Jair Bolsonaro unterstützte den Protestmarsch in São Paulo.
Die Demonstrierenden forderten auf Transparenten „Demokratie“ und „Freiheit“, aber auch die Absetzung des Richters Alexandre de Moraes von Brasiliens Oberstem Gerichtshof. Dieser hatte vor einer Woche die landesweite Sperrung des beliebten Onlinedienstes X des rechtsgerichteten US-Milliardärs Elon Musk verfügt. Zu der Großdemo in São Paulo hatten Vertreter der Rechten schon vor dieser Entscheidung aufgerufen.
In einer vorab auf Instagram veröffentlichten Video-Botschaft rief auch Bolsonaro seine Landsleute auf, massenhaft in den Landesfarben grün und gelb auf die Straße zu gehen. Der 69-jährige Ex-Präsident ließ sich am Samstagmorgen nach Angaben seiner Mitarbeiter wegen einer „üblen Grippe“ kurz im Krankenhaus behandeln. Dies werde ihn aber nicht davon abhalten, an der Demonstration in São Paulo teilzunehmen, hieß es weiter. Später sprach Bolsonaro vor der Menge.
„Wir werden denen einen Riegel vorschieben, die die Grenzen unserer Verfassung überschreiten“, sagte er. Mit Blick auf ein geplantes Absetzungsverfahren im brasilianischen Senat sagte Bolsonaro, er hoffe, dass die Parlamentskammer Moraes „einen Riegel vorschiebt, diesem Diktator, der Brasilien noch mehr schadet als Luiz Inácio Lula da Silva selbst“.
Bolsonaro will mit der Kundgebung in Brasiliens bevölkerungsreichster Stadt offenbar seinen Rückhalt im Land demonstrieren – und das einen Monat vor den Kommunalwahlen in dem tief gespaltenen Land.
Vor zwei Jahren war der als „Tropen-Trump“ bekannte Bolsonaro abgewählt worden, sein Widersacher Lula gewann mit einer knappen Mehrheit. In der Folge stürmten Bolsonaros Anhänger am 8. Januar 2023 den Präsidentenpalast, das Parlament und den Obersten Gerichtshof und behaupteten ohne Belege, Bolsonaro sei der Wahlsieg gestohlen worden. Im Zusammenhang mit diesen Ereignissen wird gegen Bolsonaro wegen eines versuchten Staatsstreichs ermittelt.
Mit Moraes führt Bolsonaro eine Fehde, weil dieser als Richer des Wahlgerichts TSE verfügt hatte, dass Bolsonaro wegen versuchter Diskreditierung des brasilianischen Wahlsystems bis 2030 für kein Wahlamt mehr kandidieren darf.
Die „sofortige, vollständige und umfassende“ Sperrung des Onlinedienstes X hatte Moraes vor gut einer Woche angeordnet, weil X-Eigentümer Musk seine „völlige Missachtung der brasilianischen Souveränität und insbesondere der Justiz demonstriert“ habe. Während Moraes die Sperrung als Maßnahme gegen Desinformation präsentiert, werfen ihm seine rechtsgerichteten Gegner Zensur und Machtmissbrauch vor.