Nach der Messerattacke von Solingen arbeiten rund 50 Ermittler die Hintergründe auf. Sie stehen vor der Frage, wo der tatverdächtige Syrer sich radikalisierte. Dabei geht es auch um eine IS-Flagge.
Bei den Ermittlungen zu dem mutmaßlich islamistischen Terroranschlag von Solingen mit drei Toten richten sich die Ermittlungen auf die Radikalisierung des tatverdächtigen Syrers. Es sei immer noch unklar, wann der bis zu dem Anschlag völlig unauffällige Issa Al H. sich radikalisiert habe, sagte Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU) im Innenausschuss des NRW-Landtags. Das könne in seinem Heimatland Syrien, über das Internet, in der Flüchtlingsunterkunft oder auch in einer Moschee geschehen sein, so Reul. „Wir haben bisher keine Anhaltspunkte.“
Auch Spekulationen, wonach im Zimmer des festgenommenen Tatverdächtigen in der Flüchtlingsunterkunft die Flagge des sogenannten Islamischen Staats (IS) gehangen haben soll, konnte Reul nicht bestätigen. „Inzwischen wurden mehr als die Hälfte der Bewohner der Unterkunft befragt. Keiner hat die Flagge gesehen.“
Wo war Issa Al H. vor seiner Festnahme?
Auch müsse noch geklärt werden, wo sich der Verdächtige zwischen der Tat am Abend des 23. Augusts und seiner Festnahme am Abend darauf aufgehalten habe, ob er jemanden getroffen und was er gemacht habe. „Das sind rund 24 Stunden, die fehlen uns“, sagte der Minister.
Eine Polizeistreife hatte den Tatverdächtigen nach früheren Angaben Reuls einen Tag nach der Messerattacke am späten Samstagabend (24. August) in der Nähe des Tatorts aufgespürt. Das Verhalten und auch das Erscheinungsbild des Mannes sei den Polizisten verdächtig vorgekommen, deswegen sei er direkt angesprochen und sofort festgenommen worden.
Mehr als 900 Hinweise nach Anschlag
Eine feste Ermittlungskommission in Düsseldorf mit rund 50 Ermittlern und Ermittlerinnen arbeite aktuell an dem Fall und werde unterstützt vom Bundeskriminalamt. Von 900 Hinweisen würden 400 weiterverfolgt, sagte Reul. Es würden Zeugen vernommen, mögliche Kontaktpersonen ermittelt sowie mehr als 100 Videos und rund 250 Bilddateien ausgewertet.
Der 26-jährige Issa Al H. wird verdächtigt, auf dem Stadtfest in Solingen drei Menschen mit einem Messer getötet und acht weitere verletzt zu haben. Der Syrer hätte eigentlich schon vergangenes Jahr abgeschoben werden sollen, was aber scheiterte. Die Bundesanwaltschaft ermittelt gegen ihn unter anderem wegen Mordes und des Verdachts der Mitgliedschaft in der Terrormiliz Islamischer Staat. Diese hatte die Tat für sich reklamiert und auch ein Video eines maskierten Mannes veröffentlicht, bei dem es sich um den Täter handeln soll.
Reul wies darauf hin, dass das Video über den IS-Propaganda-Kanal Amak veröffentlicht wurde, über den 2016 auch das Bekennerschreiben zum Anschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz verbreitet worden sei. „Das ist schon ein wichtiger Hinweis.“ Experten prüften, ob über das Video dem Täter eine IS-Mitgliedschaft nachgewiesen werden kann.
Vorwürfe der SPD-Opposition, er tue zu wenig bei der Bekämpfung des islamischen Extremismus, wies Reul zurück. Seit 2021 seien in NRW sechs Fälle möglicher Anschlagspläne verhindert worden. Es müsse aber auch endlich über mehr Befugnisse der Ermittler geredet werden, um früher an Informationen zu kommen, was im Internet passiere.
Rechte Hetz-Plakate in Solingen
Hinter den in Solingen aufgetauchten Hetz-Plakaten steckt nach Angaben Reuls die rechtsextreme Gruppierung „Revolte Rheinland“. Gut eine Woche nach dem Messer-Anschlag waren in der Innenstadt Plakate aufgetaucht. Eine manipulierte Version des Ortsschildes von Solingen war betitelt mit der Aufschrift „Klingenstadt Solingen – Zentrum der Messermigration“.
Die „Revolte Rheinland“ gilt als Nachfolgeorganisation der ebenfalls als rechtsextrem eingestuften „Identitären Bewegung“. In Anlehnung an seine 600 Jahre alte Klingen- und Metallhandwerkstradition führt Solingen seit 2012 den amtlichen Namenszusatz „Klingenstadt“.
Reul nimmt Flüchtlingsministerin Paul in Schutz
Reul stellte sich auch hinter die wegen Behördenversäumnissen unter Druck geratene Flüchtlingsministerin Josefine Paul (Grüne). Die Opposition hatte Paul vorgeworfen, sich nach dem Anschlag tagelang nicht gerührt und öffentlich geäußert zu haben. Er habe Paul am Sonntagmorgen nach dem Anschlag eine per Handy Nachricht geschrieben und sie gefragt, wann er mit ihr telefonieren könne, sagte Reul.
Zu dem Zeitpunkt habe er bereits aus polizeilichen Ermittlungen gewusst, dass es sich bei dem festgenommenen Tatverdächtigen um einen Flüchtling handele und es einen gescheiterten Rückführungsversuch nach Bulgarien gegeben habe. Das habe er Paul, die zu der Zeit auf einer Dienstreise in Frankreich war, als zuständiger Ministerin mitteilen wollen.
Weil Paul sich nicht habe melden können, habe sich ihr Büro mit seinem Büro in Verbindung gesetzt, sagte Reul. Während eines Termins der Ministerin, die an einer Gedenkveranstaltung zum Zweiten Weltkrieg teilnahm, seien die Informationen zu dem mutmaßlichen Attentäter dann öffentlich geworden. Das Telefonat mit der Ministerin habe sich erübrigt. Reul sprach von einem „Popanz“ und „kurzfristigem Klamauk“ der Opposition. Am Sonntagnachmittag habe sich das Kabinett bereits digital zusammengeschaltet und alle Informationen seien ausgetauscht worden.