Haushalt: Lauterbach stellt sich auf teure Maskenurteile ein

Das Gesundheitsministerium kalkuliert mit erheblichen Folgerisiken aus dem Maskeneinkauf. Allein 2025 könnte fast eine halbe Milliarde Euro fällig werden.

Disclaimer Capital

Es waren zwei empfindliche Niederlagen vor Gericht, die das Gesundheitsministerium diesen Sommer gegen Lieferanten von Corona-Schutzmasken einstecken musste. Zum ersten Mal hat ein Obergericht über eine Maskenklage entschieden. Die Urteile des Kölner Oberlandesgerichts könnten am Ende dazu führen, dass die außer Kontrolle geratenen Maskeneinkäufe des Ministeriums zu Beginn der Pandemie für den Bund und die Steuerzahler noch weitere erhebliche Kosten nach sich ziehen. 

Allein für das kommende Jahr richtet sich das Gesundheitsministerium nun auf Schadensersatzzahlungen an Maskenhändler in dreistelliger Millionenhöhe ein. Das geht aus einem aktuellen Bericht des Bundesrechnungshofs zum Etat des Ministeriums hervor, der Capital vorliegt. Demnach rechnet das Ressort von Minister Karl Lauterbach (SPD) für 2025 mit „Abwicklungsrisiken“ aus der Maskenbeschaffung in Höhe von rund 480 Mio. Euro. Bei den Finanzrisiken handelt es sich um bis zu 120 Mio. Euro aus Direktverträgen, die das damals von Jens Spahn (CDU) geführte Ministerium im Frühjahr 2020 mit Maskenlieferanten abgeschlossen hatte. Weitere Risiken von 360 Mio. Euro entfallen auf Bestellungen über ein Open-House-Verfahren genanntes spezielles Einkaufsverfahren. 

In der turbulenten Anfangszeit der Coronakrise hatte es einen massiven Mangel an Masken gegeben. Später konstatierte der Rechnungshof allerdings chaotische Verfahren, eine „massive Überbeschaffung“ und Unregelmäßigkeiten bei der Aktenführung zu den Verträgen.

Vor allem das Open-House-Verfahren, in dem das Gesundheitsministerium (BMG) von der Masse an Angeboten im Wert von mehr als 6 Mrd. Euro überrascht wurde und es deshalb stoppen wollte, ist bis heute Gegenstand zahlreicher Klagen von Lieferanten. Allein in einem der jüngst entschiedenen Verfahren vor dem Kölner Oberlandesgericht ging es im Juli um einen Zuschlag für Masken im Wert von 85 Mio. Euro, bei denen sich der Bund geweigert hatte zu zahlen. Inklusive Verzugszinsen beläuft sich der Schadensersatz in diesem Fall inzwischen auf rund 118 Mio. Euro. 

Tatsächlich drohen dem BMG aus den Maskendeals sogar Folgekosten in Milliardenhöhe: Der Streitwert der aktuell noch rund 100 anhängigen Open-House-Klagen summiert sich auf 2,3 Mrd. Euro – fast zehnmal so viel, wie am Ende an Schadensersatz bei der verkorksten Pkw-Maut floss. Dabei handelt es sich um Fälle, in denen der Bund unter Verweis auf mangelhafte oder verspätete Lieferungen den Kaufpreis nicht bezahlt hat. Laut den jüngsten Entscheidungen aus Köln waren die Vertragskündigungen jedoch unwirksam: Das BMG hätte den Lieferanten demnach zuerst eine Nachfrist setzen müssen, um die Verträge zu erfüllen.

Nur Teil der Streitfälle abgedeckt

Lauterbachs Ministerium hält dagegen an seiner Position fest und versucht, die beiden Urteile des Kölner Oberlandesgerichts anzufechten. Zwar haben die Richter keine Revision gegen ihre Entscheidung zugelassen. Aber die Anwälte des BMG wollen mit einer Nichtzulassungsbeschwerde erreichen, dass sich der Bundesgerichtshof mit den Maskenfällen beschäftigt. Bis zu einer Entscheidung des BGH dürften noch einige Monate vergehen, solange sind die Urteile noch nicht rechtskräftig.

Wie der Haushaltsentwurf zeigt, trifft das Ministerium nun aber zugleich Vorsorge dafür, dass es schon 2025 erhebliche Zahlungen an Lieferanten leisten muss. Allerdings deckt die Risikoprognose des BMG nur einen kleineren Teil der Risiken aus den Open-House-Klagen ab. Wie der Rechnungshof in seinem Bericht notiert, geht es dabei um „lediglich eine bestimmte Fallkonstellation mit einem Streitwert von insgesamt 270 Mio. Euro“ sowie Zusatzkosten von bis zu 90 Mio. Euro. Diese umfassen Zinszahlungen an die Kläger und Verfahrenskosten wie etwa die Honorare für diverse Anwaltskanzleien.

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Konkret handelt es sich bei den 270 Mio. Euro offenbar um jene Verfahren, in denen Open-House-Lieferanten Masken geliefert hatten, die der Bund dann als mangelhaft zurückgewiesen hat. Bei dem weitaus größeren Teil der Open-House-Klagen geht es dagegen um Fälle, in denen bis zum geforderten Stichtag keine Masken geliefert oder nur Teile des vereinbarten Lieferumfangs erfüllt worden waren – teils allerdings, weil der vom BMG mit der Abwicklung beauftragte Logistiker Fiege mit den Massen an Masken überlastet war und keine rechtzeitigen Lieferslots anbieten konnte. 

Bei diesen sogenannten Avisierungsfällen sehen das BMG und seine Anwälte wohl bessere Karten vor Gericht, sodass das Ministerium hierfür bislang keine Haushaltsrisiken beziffert. Allerdings stellten die Kölner Oberlandesrichter in ihren Urteilen fest, dass das BMG den Lieferanten auf jeden Fall eine zumindest kurze Nachfrist hätte gewähren müssen, auch wenn das Ministerium von einem „Fixgeschäft“ mit klarer Deadline ausging. Zu dieser zentralen Streitfrage wird sich der BGH äußern müssen – wenn er denn die Verfahren überhaupt zur Entscheidung annimmt.

Gesundheitsministerium will Ausgabereste nutzen

Finanzieren will das BMG sämtliche Folgekosten der Maskendeals aus Haushaltsresten – also aus Mitteln, die schon in den Vorjahren für die Bewältigung der Pandemie und die Beschaffung von Schutzausrüstung bewilligt waren, aber nicht komplett benötigt wurden. Dem Bericht des Bundesrechnungshofs zufolge verfügte das Ministerium zu Beginn des Jahres 2024 über einen entsprechenden Ausgaberest von 1,6 Mrd. Euro. Dieser könne „gegebenenfalls ganz oder teilweise im Haushaltsjahr 2025 genutzt werden“. Allerdings müsse Lauterbach den entsprechenden Betrag dann an anderer Stelle bei bereits vom Parlament bewilligten Projekten einsparen, betonen die Haushaltskontrolleure.

Mit Blick auf die erheblichen Haushaltsrisiken äußerte die Grünen-Abgeordnete Paula Piechotta scharfe Kritik an den Masken-Verträgen. „Allein im kommenden Jahr müssen wir für Jens Spahns Masken-Irrsinn eine halbe Milliarde und mehr Steuergeld ausgeben“, sagte sie. Das Masken-Chaos sei nicht der Krise geschuldet gewesen, sondern es sei „ohne Plan und ohne irgendeine Absicherung Geld aus dem Fenster geworfen“ worden, fügte die Haushaltspolitikerin hinzu. Der Bund werde Spahns Fehler noch viele Jahre teuer bezahlen müssen. Mögliche Folgekosten für die Maskendeals gingen „auf Kosten der Prävention und deutschen Krankenversicherten“, sagte Piechotta.

Das Gesundheitsministerium ließ Fragen von Capital zu den Haushaltsplanungen unbeantwortet. Offen bleibt damit auch die Frage, bei welchen konkreten Direktbeschaffungen abseits des Open-House-Verfahrens Lauterbachs Juristen ebenfalls „Abwicklungsrisiken“ sieht. Laut Rechnungshof geht es hierbei um 120 Mio. Euro. Zu Beginn der Corona-Krise, als es einen dramatischen Mangel an Masken gab, weil China die Ausfuhr stoppte, hatte der Bund über eine ganze Reihe von Einkaufswegen Masken unter Vertrag genommen – insgesamt 5,7 Milliarden Stück für Gesamtkosten von 5,9 Mrd. Euro. 

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Um an Masken zu kommen, schloss der Bund Verträge mit Konzernen wie VW, der Lufthansa und Otto, die über gute Kontakte in China verfügen. Zugleich vergab das BMG aber auch Großaufträge über Hunderte Millionen Euro an Unternehmen, die bis dahin kaum etwas mit dem Maskengeschäft zu tun hatten, aber über Kontakte zu dem damaligen Minister Spahn verfügten. Zu diesen Deals und ihren auffälligen Konditionen, vor allem mit der Schweizer Firma Emix Trading und dem Logistiker Fiege aus dem Münsterland, gibt es bis heute viele Fragen. Für die Deals mit Emix, die von der Tochter des früheren CSU-Promis Gerold Tandler vermittelt wurden, interessierte sich auch die Berliner Staatsanwaltschaft.

Im Juli, nachdem die Urteile aus Köln auch den amtierenden Minister unter Druck gesetzt haben, hat Lauterbach Ex-Verteidigungsstaatssekretärin Margaretha Sudhoff (SPD) beauftragt, Spahns Maskendeals und deren mitunter extrem dürftige Dokumentation in den Akten zu untersuchen. Man drehe jetzt „jeden Stein um“, kündigte der Minister an. Dabei soll Sudhoffs Auftrag allerdings zunächst nur das Open-House-Verfahren umfassen und nach Capital-Informationen vorerst bis Ende dieses Jahres laufen. Ob auch noch die anderen Maskendeals unter die Lupe kommen, hält Lauterbachs Ministerium offen.