Für viele Menschen sind Flughäfen nur Mittel zum Zweck, um an ein Ziel zu gelangen. Dabei ließe sich hier so viel über unsere Gesellschaft lernen.
Keine Sorge, das ist keiner dieser Texte, in denen ich erzähle, wie faszinierend ich seit meinem dritten Lebensjahr Flugzeuge finde (geht so). Kürzlich aber las ich einen Text meines Kollegen Fabian Huber, der sich darüber ausließ, wie abstoßend Flughäfen seien, „Menschenvoll, aber seelenleer“, und das empörte mich natürlich sehr. „Sind Flughäfen an sich nicht eigentlich furchtbar schreckliche Orte?“, fragt sich Huber. Ich freue mich, diese Frage kollegial und hundertprozentig subjektiv zu beantworten: Nein.
Zwar wird mir wohl kaum jemand, der schon mal an einem Flughafen war, zustimmen. Schließlich bedeuten diese Orte Hektik, Stress und Müdigkeit. Sie sind überfüllt von Menschen, die in verschiedene Richtungen strömen. Laut, dreckig, voll. Sie sind aber eben auch: Wie das Leben, komprimiert in einem Gebäude. Ein Nicht-Ort. Ohne Besucher vollkommen sinnlos, mit Besuchern voller Ziele und Träume. Klingt, als hätte ich das aus einem Küchenkalender von Julia Engelmann mit praktischen Wandtattoos abgeschrieben, ist aber wahr.
Meine Liebe zu Flughäfen war keine auf den ersten Blick. Sie baute sich über die Jahre auf. In meiner Kindheit freute ich mich monatelang darauf, wenn wir mitten in der Nacht mit Koffern und Hüten das Haus verließen, als wären wir zu auffällig gekleidete Geheimagenten. Wir reisten oft nachts, wenn die Straßen leer waren und die Flughäfen nur zur Hälfte besucht. Schon als Fünfjährige fühlte ich mich mit Rucksack in Form eines Schweins auf dem Rücken wichtig wie heute ein #travelinfluencer auf Instagram. Nicht nur Modeikone, auch Weltenbummlerin – die einmal im Jahr bis nach Spanien flog.
Flughäfen sind fast wie eine Karikatur
Bis heute erfüllt mich eine Prise Vorfreude, sobald ich einen Flughafen betrete. Selbst dann, wenn der bevorstehende Flug keinen bemerkenswert erfreulichen Anlass hat. Es fühlt sich an wie der Moment, in dem man als Kind ein Geschenk auspackte und noch nicht wusste, was sich unter dem Papier befand. Das ist die besondere Flughafen-Stimmung. Jeder hier hofft. Der eine auf den Traumurlaub in der Karibik, der andere auf einen gelungenen Power-Point-Vortrag in Kassel-Calden. Es gibt kaum einen besseren Ort, in dem sich die Gesellschaft im Kleinen zeigt. Beobachtet man die Besucher, verwandelt sich der Flughafen schnell in eine Karikatur.
Da sind: Die Geschäftsleute mit von durchgearbeiteten Nächten gezeichneten Gesichtern, die Körper in Anzüge und Blazer gestopft.
Die Mütter, wie Esel bepackt, nur mit Kleinkindern statt Touristen auf dem Rücken und einem Mann im Schlepptau, der mit halb so vielen Sachen im Arm meist gestresster aussieht, als sie. Warum, weiß niemand.
Der „Malle ist nur einmal im Jahr“-Shirt-Träger, der sich morgens um sieben das dritte Bier reinzieht, während neben ihm eine Rolex und ein Mann das „Wall Street Journal“ lesen.
Dazwischen ein vor sich hin wandelnder Backpacker mit Dreads. Er hat sich im Dschungel mal mit Ästen die Zahnzwischenräume gesäubert, die Sicherheitskontrolle ist für ihn keine Herausforderung. Viele Kosmetik-Artikel braucht er ja eh nicht. Schnell noch die biologisch abbaubare Kokoswasserflasche auf Ex, und los geht’s nach Thailand. Natürlich in den Teil, im dem keine Touristen sind. Außer ihm und den anderen Touristen, die gelesen haben, dass hier keine Touristen sind. Dank „Maxton Hall“: Hannover wird zum Place to be 19.56
Nicht zu vergessen die Großfamilien mit einem Pack quengelnder Kinder – so wie meine Eltern damals. Essen gab es für uns am Flughafen nicht, einfach aus Prinzip. „Bin ich Krösus?“, fragte mein Vater gerne bei der Aussicht, 11,99 Euro für ein Käse-Toast zu bezahlen, das aussah, als hätte es schon jemand als Nackenkissen auf einem Langstreckenflug benutzt – bei Turbulenzen. Mit diesem Satz im Kopf sprühe ich mich heute bei Wartezeiten mit Parfümproben im Duty Free-Bereich ein, bis ich rieche wie ein Eso-Laden für Traumfänger und Energiesteine. Dann haben meine Sitznachbarn wenigstens auch was davon.
Hier reichen sich Fremde die Hand
Natürlich bedeuten Flughäfen nicht für alle die Reise ins La La Land. Um das zu wissen, muss man sich nur einige der Gesichter ansehen, die gerade aus dem Sekundenschlaf auf der Metallbank aufschrecken. Aber: Stress verbindet. Das kennt jeder, der wie ich schon mal in einem fremden Land mit weiteren Leidtragenden verschollene Koffer gesucht hat.
Oder mit anderen zu einem Anschlussflug gerannt ist und dabei gemerkt hat, dass er ja doch schneller sprinten kann als damals bei den Bundesjugend-Spielen in der dritten Klasse. In solchen Momenten reichen sich Fremde die Hand. Und zwar wortwörtlich. Zum Beispiel, wenn man über den eigenen Schal stolpert, der beim Laufen den Boden gewischt hat, um sicherzustellen, dass auch wirklich alle Bakterien mit nach Hause kommen. Ereignet sich dann der allseits gefürchtete Moment – eine Frauenstimme ruft während des Laufens den eigenen Namen auf – ist das Adrenalin pur. So fühlt man sich also bei Olympia.
Noch schöner als der Flughafen ist nur der Ausgang. Das gehört zum Erlebnis dazu. Oft sind schon durch die Glasscheiben Menschen zu sehen, die ihren Liebsten winken, oder eher im Akkord zu wedeln. Mutter und Kind fallen sich in die Arme, Hunde werfen sich auf den Rücken und pinkeln in die Luft, alte Ehepaare umarmen sich so vorsichtig, als könnte irgendwo was Morsches brechen. Selten zeigt sich Freude so ehrlich und rührend wie am Flughafenausgang.
Zum beliebtesten von allen deutschen Flughäfen wurde in diesem Jahr übrigens der Flughafen Dortmund gekürt. Fast schon symbolisch. Wie ließe sich besser zeigen, dass es bei einem Flughafen nicht um den Startpunkt geht. Was zählt, ist das Ziel. Währenddessen aber bitte bloß nicht vergessen, die Reise zu genießen.