Suchtkranke können in Frankfurt in geschützten Räumen konsumieren. Was vor 30 Jahren begann, ist bis heute umstritten. Das Hauptproblem: Die Szene hat sich massiv verändert. Was muss geschehen?
30 Jahre nach der Eröffnung des ersten offiziellen Drogenkonsumraums in Deutschland fühlt sich Frankfurt alleingelassen: In der Hälfte aller Bundesländer gibt es keine solchen Angebote, in Hessen keine weiteren außerhalb Frankfurts. Während die Träger der Konsumräume von einer Erfolgsgeschichte sprechen, halten andere den „Frankfurter Weg“ für gescheitert. Die zuständige Dezernentin Elke Voitl (Grüne) will das Angebot anpassen – denn die Drogenszene ist heute eine andere als damals.
Im Dezember 1994 wurde das „Eastside“ in einem Industriegebiet im Stadtteil Fechenheim eröffnet. Kurz danach kamen drei weitere Konsumräume rund um den Hauptbahnhof dazu. Der größte liegt in der Niddastraße. Der Träger, die Integrative Drogenhilfe, zählte dort im vergangenen Jahr 60.000 betreute „Konsumvorgänge“ und 200.000 gebrauchte Spitzen, außerdem wurden 300.000 alte Kanülen gegen frische getauscht. Die Aids-Hilfe betreibt das „La Strada“ in der Mainzer Landstraße, der Drogennotdienst den vierten Konsumraum in der Elbestraße.
Was für die Konsumräume spricht
„30 Jahre Konsumräume in Frankfurt sind eine Erfolgsgeschichte“, sagt die Geschäftsführerin der Integrativen Drogenhilfe, Gabi Becker. „Ihr elementares Ziel ist das Überleben.“ In dieser Hinsicht ist der „Frankfurter Weg“ tatsächlich erfolgreich: Die Zahl der Drogentoten in der Stadt sank von 147 im Jahr 1991 auf 20 im Jahr 2022. Bundesweit hingegen steigt die Zahl der Drogentoten. 2012 waren es 944, im vergangenen Jahr 2.227.
Für Professor Heino Stöver, Direktor des Instituts für Suchtforschung der Frankfurt University of Applied Sciences, haben Konsumräume vor allem zwei Ziele: Gesundheitspolitisch gehe es darum, Todesfälle und Krankheiten zu verhindern und in diesem Zuge auch die Menschen für Hilfsangebote zu erreichen. Ordnungspolitisch sei das Ziel, den Konsum aus dem öffentlichen Raum zu bekommen.
Problemdroge Crack
Ein Besuch in der Niddastraße führt vor Augen, dass die Konsumräume keineswegs die Menschen von der Straße holen. Das liegt nach Einschätzung der Konsumraum-Träger vor allem daran, dass heute andere Drogen die Szene dominieren. Vor 30 Jahren ging es um Heroinabhängige mit ihren Spritzen, heute heißt das Problem: Crack.
„Crack wird offen auf der Straße in schnellen Intervallen geraucht“, sagt Gesundheits- und Sozialdezernentin Voitl. „Der Suchtdruck ist höher.“ Die Abhängigen sind ständig auf der Suche nach neuem Stoff, sie sind unruhig und teils aggressiv, viele scheuen geschlossene Räume.
Für Voitl ist der „Frankfurter Weg“ keineswegs gescheitert, er müsse nur „weiterentwickelt“ werden. „Wir müssen Settings schaffen, die passen“, sagt Voitl. „Unsere Drogenkonsumräume müssen noch stärker als bislang für aufgeputschte Crack-Konsumierende fit gemacht werden.“ Das heißt weniger Plätze zum Spritzen, mehr zum Rauchen. Und ein eigenes Haus: Die Stadt sucht eine Immobilie für ein Integriertes Drogen- und Suchthilfezentrum mit einem Innenhof für den Crack-Konsum.
„Ein Paradies für User“
Die Eigentümerinitiative Bahnhofsviertel hat nicht viel Hoffnung, dass das funktioniert. „Der „Frankfurter Weg“ ist – was Crack angeht – gescheitert“, meint Sprecher Ralph Haerth. „Die Crack-User erreichen Sie mit Konsumräumen nicht. Crack wird auf der Straße konsumiert.“ Die Hausbesitzer fänden schwerer neue Mieter, einige bezahlten aus eigener Tasche Sicherheitsdienste.
Die Süchtigen seien „ganz bedauerliche Menschen“, gibt Haerth zu, der für zwei Dutzend weitere Eigentümer spricht. Aber Frankfurt sei zu einem „Paradies für User“ geworden. „Hier bekommen sie Stoff und können dann auch noch in Ruhe konsumieren.“ Ein Patentrezept hat er nicht, aber auch keine große Hoffnung: „Alle Versuche, die Menschen von der Straße zu bekommen, sind bisher gescheitert.“
Frankfurt allein auf weiter Flur
Die vier Frankfurter Konsumräume sind die einzigen in ganz Hessen. Die geografisch nächsten befinden sich in Bonn und Karlsruhe. Deutschlandweit gibt es gut 30 Drogenkonsumräume in acht Bundesländern. In den anderen acht – darunter Bayern – gibt es gar keine.
Die Stadt Frankfurt fühlt sich mit dem Problem alleingelassen. „Frankfurt leistet Drogenhilfe für ganz Hessen und halb Bayern und das auf Kosten des kommunalen Haushalts. Die hessischen Kommunen müssen nachlegen“, sagt Voitl. Auch das Land tue zu wenig: „Das neue Landesgesundheitsamt muss sich des Themas annehmen und das koordinieren.“
Mehr als die Hälfte der Kunden kommt nicht aus Frankfurt
Das Institut für Suchtforschung wertet die Daten der vier Konsumräume aus und hat Zahlen. Der jüngsten Auswertung zufolge haben nur 44 Prozent der Kunden ihren Wohnsitz in Frankfurt. 29 Prozent stammen sogar von außerhalb Hessens. Nur noch rund 30 Prozent der Klienten in den vier Frankfurter Einrichtungen sind die „Heroin-Junkies“ mit der Spritze, die sich Laien darunter vorstellen.
Der Vorwurf, dass die Konsumräume die Süchtigen erst in die Stadt lockten, sei „ein Trugschluss“, glaubt Voitl: „Der Handel blüht – das ist der Grund, warum die Menschen kommen.“ Süchtige gebe es auch anderswo, aber „andere lassen die Menschen sterben“.
Hessische Städte zurückhaltend
In Marburg hatte die Aids-Hilfe schon 2007 ein Konzept für einen Konsumraum vorgelegt. Die Stadt habe das zunächst begrüßt und auch Mittel in Aussicht gestellt, so eine Stadtsprecherin. In der Vorbereitung sei das Vorhaben bei anderen Beteiligten jedoch auf „größere Skepsis“ gestoßen. Generell bestehe Bereitschaft, sich mit der Einrichtung eines Druckraums erneut zu befassen. „Konkrete Pläne dazu gibt es derzeit jedoch nicht.“
Auch Darmstadt denkt zumindest darüber nach. „Es wird jedoch konzeptionell und fachpolitisch eruiert, ob ein Drogenkonsumraum in Darmstadt sinnvoll ermöglicht werden soll. Dieser Prozess ist nicht abgeschlossen“, sagt ein Stadtsprecher. In Kassel liegen Beratung und Betreuung der Konsumenten in der Hand von Streetworkern. Ein fester Drogenkonsumraum sei bisher nicht angedacht, erklärt ein Stadtsprecher.