Nach mehr als sechsjährigem Streit hat die EU-Kommission ihr Rechtsstaats-Verfahren gegen Polen eingestellt. In Polen bestehe „kein klares Risiko mehr für einen schwerwiegenden Verstoß gegen die Rechtsstaatlichkeit“, erklärte die Kommission am Mittwoch in Brüssel. Sie begründete dies mit Reformzusagen der pro-europäischen Regierung unter Regierungschef Donald Tusk, die seit fast sechs Monaten im Amt ist.
Die Kommission hatte das Verfahren unter Artikel sieben des EU-Vertrags Ende 2017 gegen die polnische Vorgängerregierung unter der nationalkonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) eingeleitet. Grund war eine Justizreform, mit der die obersten Richter aus Brüsseler Sicht unter politischen Einfluss gerieten. Unter dem Verfahren drohte Polen ein Stimmrechtsentzug im Ministerrat. Dies wäre einer Entmachtung Warschaus bei EU-Beschlüssen gleichgekommen.
Die EU-Kommission hatte das Ende des Verfahrens bereits Anfang Mai angekündigt, EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sprach von einem „Durchbruch“. Bei einer Debatte der EU-Europaminister vergangene Woche gab es keinen Einspruch, sodass die Kommission nun Vollzug meldete.
Allerdings sind die von Brüssel beanstandeten Mängel noch nicht beseitigt. Die Tusk-Regierung habe allerdings „eine Reihe legislativer und nicht-legislativer Maßnahmen ergriffen, um die Bedenken hinsichtlich der Unabhängigkeit der Justiz auszuräumen“, erklärte die Kommission. Für die geplante Verfassungsänderung bräuchte die Tusk-Regierung die Stimmen der Nationalkonservativen im Parlament. Nötig wäre auch die Unterschrift von Präsident Andrzej Duda, der der PiS-Partei nahesteht.
In dem Streit mit Polen lagen zwischenzeitlich Gelder in Milliardenhöhe auf Eis. Nach den ersten Zusagen der Tusk-Regierung hatte Warschau im Frühjahr bereits erste 6,3 Milliarden Euro aus dem europäischen Corona-Wiederaufbaufonds erhalten. Auch umfangreiche Regionalfördermittel sollen freigegeben werden.
Ungarn ist damit das einzige Land, gegen das noch ein Artikel-sieben-Verfahren läuft, zusätzlich zu einem anderen Rechtsstaatsverfahren wegen des Missbrauchs von EU-Geldern. Kurz vor Übernahme des EU-Ratsvorsitzes am 1. Juli gilt das als heikel. Die Regierung von Ministerpräsident Viktor Orban steht darüber hinaus in der Kritik, weil sie Militärhilfen für die Ukraine in Milliardenhöhe blockiert.