US-Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris hat mit dem ersten TV-Interview nach ihrer Nominierung eine Bewährungsprobe bestanden. Doch manche Chance nutzte sie nicht.
Kamala Harris sitzt an einem schnöden Tisch in der Küstenstadt Savannah im Süden der USA – doch trotz der glanzlosen Kulisse sind alle Augen auf sie gerichtet. Die demokratische US-Präsidentschaftskandidatin hat in ihrem ersten TV-Interview seit ihrer Nominierung die Erfolge der Regierung von Präsident Joe Biden verteidigt und für einen politischen Neuanfang geworben. „Was das amerikanische Volk meiner Meinung nach verdient, ist ein neuer Weg nach vorn und eine Abkehr vom letzten Jahrzehnt“, sagte sie.
Größere Patzer blieben in dem rund halbstündigen Interview mit dem US-Sender CNN aus. Doch einige Chancen, zu punkten, verpasste die 59-Jährige auch. Ihr politischer Kontrahent bei der Präsidentenwahl am 5. November, Donald Trump, reagierte nach dem Interview auf seinem Sprachrohr Truth Social mit einem Wort in Großbuchstaben: „Langweilig.“
Umfragen nach Parteitag 06.16Das gemeinsame Interview mit ihrem Vize-Kandidaten Tim Walz war eine Bewährungsprobe für die Demokratin. Es wurde während einer Wahlkampftour im Bundesstaat Georgia aufgezeichnet und einige Stunden später ausgestrahlt. Gleich bei der ersten Frage nutzte sie die Gelegenheit für einen starken Einstieg nicht. Die Journalistin Dana Bash fragte Harris, was ihre Pläne für den ersten Tag im Amt seien. Harris blieb unkonkret und sagte, dass sie die Mittelschicht stärken wolle.
Kamala Harris verteidigt Kurswechsel
In dem Gespräch musste Harris auch erklären, warum sie in manchen Bereichen eine Kehrtwende hingelegt habe – etwa beim Thema Fracking. Einst hatte sich Harris gegen die Erdgasgewinnung durch Fracking ausgesprochen, nun sagt sie: „Ich werde Fracking nicht verbieten.“ Es handelt sich dabei um eines der Themen, für das sie von Trump immer wieder angegriffen wird – ebenso wie beim Thema Migration. Auch hier musste sich Harris in dem Interview für ihre Leistung als US-Vize in dem Bereich verteidigen.
Das Leben der Kamala Harris in Bildern 6.22
Sie kündigte auch an, bei einem Wahlsieg einen Republikaner in ihr Kabinett holen zu wollen. „Ich habe noch 68 Tage bis zur Wahl, also will ich das Pferd nicht von hinten aufzäumen“, sagte die 59-Jährige in dem Interview.
Sie sei aber überzeugt, dass es wichtig sei, dass bei den bedeutendsten Entscheidungen Leute mit am Tisch sitzen müssten, die andere Ansichten und andere Erfahrungen hätten, sagte Harris. „Und ich denke, dass es für die amerikanische Öffentlichkeit von Vorteil wäre, ein Mitglied meines Kabinetts zu haben, das Republikaner ist.“
„Nächste Frage, bitte.“
Aussagen Trumps über ihre Identität als schwarze Amerikanerin bezeichnete Harris als „dieselbe alte, abgestandene Masche“.– „Nächste Frage, bitte.“ Harris ist die erste Frau, die erste Schwarze und die erste Amerikanerin mit asiatischen Wurzeln, die den Eid als US-Vizepräsidentin abgelegt hat. Ihre Herkunft und ihr Geschlecht macht Harris im Wahlkampf so gut wie gar nicht zum Thema – dazu passt auch die knappe Antwort in dem Interview. Trump greift die Demokratin immer wieder sexistisch und rassistisch an.
Für Harris steht viel auf dem Spiel. Sie hat zwar in ihrer Rolle als US-Vize TV-Interviews gegeben – die sind vielen aber nicht unbedingt in bester Erinnerung geblieben. Punkten konnte sie dann wiederum mit einem Interview nach Bidens katastrophaler TV-Debatte gegen Trump im Juni. Sie trat nicht nur souverän auf, sondern stellte sich auch loyal hinter ihren Chef. Den verteidigte sie nun erneut und stellte klar, dass sie es nicht bereue, ihn damals verteidigt zu haben.
Wer regiert gerade die USA? 11:20Doch seit dem Ausstieg Bidens aus dem Rennen ums Weiße Haus ist mehr als ein Monat vergangen – Harris setzte in dieser Zeit auf choreografierte Auftritte und wich kritischen Fragen der Presse so gekonnt aus. Kritik an diesem Verhalten kam nicht nur vom 78-jährigen Trump und dessen Anhängern. Damit war das CNN-Interview nun auch eine Chance für Harris, ihre eigene Botschaft zu verkaufen – und nicht nur die Politik ihres Chefs Biden zu erklären.
Oft unkonkret und blass
Harris blieb in vielen Bereichen weiter unkonkret und wirkte stellenweise blass – gab aber zum Beispiel einen unterhaltsamen Einblick in den Tag, an dem sie von Bidens Rückzug aus dem Rennen erfahren hat. „Meine Familie war bei uns zu Gast, einschließlich meiner kleinen Nichten, und es gab Pfannkuchen“, sagte Harris. Ihre Nichten hätten sie gefragt: „Tantchen, kann ich mehr Speck haben?“ Als sie mit ihrer Familie habe puzzeln wollen, habe plötzlich das Telefon geklingelt und Biden habe sie über seine Pläne informiert.
Mit dem als liberal geltenden CNN entschied sich die Wahlkämpferin für einen Sender, der den Demokraten eher wohlgesonnen ist. Interviewt wurde Harris von Bash, die auch schon gemeinsam mit Jake Tapper das TV-Duell zwischen Biden und Trump im Juni moderiert hatte, und eine gestandene Politikjournalistin ist. Trump gibt häufig Interviews – vorrangig allerdings aber Sendern wie Fox News, die eisern hinter ihm stehen. Dabei hat er es sich zur Angewohnheit gemacht, auf die ihm gestellten Fragen gar nicht wirklich zu antworten.
US-Wahl wird knappes Rennen
Harris‘ Vizekandidat Tim Walz fiel – wie erwartet – in dem Interview eine eher untergeordnete Rolle zu. Der Gouverneur des Bundesstaats Minnesota sagte auf die Frage zu einer fehlerhaften Angabe zu seiner Militärkarriere, dass seine Grammatik nicht immer „korrekt“ sei. Der 60-jährige Walz hat deutlich bessere Beliebtheitswerte als Trumps Running Mate J.D. Vance. Allerdings sind die Vizekandidaten bei US-Präsidentenwahlen in der Regel nicht der entscheidende Faktor bei der Stimmabgabe.
Bei der Wahl läuft es auf ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Harris und Trump hinaus. Nach Bidens Rückzug aus dem Wettbewerb haben sich die Umfragen für die Demokraten zwar verbessert, ihr Vorsprung in den nationalen Umfragen liegt aber innerhalb der Fehlertoleranz und ist daher nur begrenzt aussagefähig. Entscheidend sind bei der Präsidentenwahl wegen des besonderen Wahlsystems ohnehin die sogenannten Swing States, in denen gemäß der Tradition nicht von vornherein feststeht, ob die Demokraten oder Republikaner gewinnen. Hier liegen Trump und Harris in Umfragen zum Teil fast gleichauf.