Strafzölle, Elektroauto-Misere, Kosten: Oliver Blume kämpft bei VW mit mehreren Baustellen gleichzeitig, die allenfalls in der mittelnahen Zukunft gelöst werden können.
Oliver Blume ist eigentlich ein souveräner Gesprächspartner. Der Vorstandschef des VW-Konzerns bemüht sich stets um Gelassenheit, zieht gern beide Jacket-Ärmel ein bisschen nach oben, was vielleicht Bereitschaft zum Anpacken symbolisieren soll. Bei widrigen Fragen oder Fakten hält er verbindlich und ruhig dagegen, stemmt die Arme in den Hosenbund. Sein Credo ist, dass man die Dinge sportlich nehmen muss. Nur bei einem Thema wird Blume bisweilen fahrig. Gerät ins Haspeln, redet schneller, beendet Sätze nicht.
Das passiert, wenn er nach seiner Betriebsstätte in der chinesischen Region Xinjiang gefragt wird. Hier unterdrückt die chinesische Regierung die Minderheit der Uiguren und Kritiker werfen Volkswagen immer wieder vor, dabei indirekt mitzuhelfen.
Oliver Blume hält mit seiner Haltung zu den ständigen Vorhaltungen nicht hinterm Berg: es nervt. Es nervt ihn ganz außerordentlich. Er hat es schon hundert Mal erklärt. Die Betriebsstätte ist klein, es war nicht seine Idee (sondern die seiner Vorvorgänger), außerdem sucht der Konzern jetzt eine Lösung, bei der er die Verantwortung dafür endlich an seinen einheimischen Partner loswird. Aber auch nur, damit die internationale Kritik mal verstummt, die der Chef von Herzen ungerecht findet, der sein Unternehmen lieber als Verteidiger von Menschenrechten beschrieben hätte, denn als Helfer bei deren Verletzung.
Drohender Handelskrieg mit China: EU bereitet Zölle auf Elektroautos vor
Als Deutschlands größter Industriekonzern vergangenes Jahr seine Aktionäre zur Hauptversammlung in die Berliner Messe lud, spielte Xinjiang dennoch eine wichtige Rolle. Reihenweise Protestierer hatten sich unters Publikum gemischt und warfen mit gefaketen Geldscheinen und einer Torte umher. Der Vorstand ließ einen Sicherheitskordon aus drei Reihen Security-Mitarbeitern aufmarschieren und sah aus wie das Politbüro in seinen letzten Tagen.
Am Pult von Aufsichtsrat Wolfgang Porsche prangte ein hässlicher Tortenfleck, den die VW-Mitarbeiter in ebenso kafkaesken wie vergeblichen Versuchen stundenlang zu beseitigen versuchten und damit den Blick erst recht darauf lenkten. Und nicht nur die Protestierer prangerten VWs Xinjiang-Aktivitäten an, auch die Redner der großen Fondsgesellschaften und Aktionärsschützer bliesen ins gleiche Horn.
VW-Versammlung nach zu viel Kritik im Vorjahr lieber digital
Wohl auch wegen der Vorkommnisse aus dem vergangenen Jahr findet die diesjährige Hauptversammlung nur virtuell statt. Damals hatte das Unternehmen sich nach der Pandemiezeit als nahbarer Volksaktienkonzern mit besteig- und befühlbaren frischen Autos sowie reichlich Currywurst für Kleinanleger präsentiert, als einer, der im Gegensatz zu anderen den direkten Austausch mit seinen Investoren pflegt. Jetzt heißt es lapidar, die digitale Variante sei billiger und praktischer. Dass Xinjiang zur Sprache kommt, wird VW dennoch nicht verhindern, zumal das Unternehmen die angepeilte Lösung für den Betrieb dort bislang nicht präsentieren konnte. Auch die Aktivistenbewegung hatte signalisiert, sich digitaladäquate Protestformen auszudenken.
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Dabei hat der Konzern rein geschäftlich weitaus größere Probleme als den 200-Leute-Standort in der chinesischen Provinz. In Europa kommt der E-Auto-Umbau nicht voran, in China wird der einstige Marktführer von einer erstarkenden einheimischen Konkurrenz bei Stromautos abgehängt, die gleiche Konkurrenz, die demnächst auch auf dem europäischen Markt den hiesigen Herstellern das Leben schwerer machen könnte.
Zölle und Handelskriege drohen das ganze fragile System der globalen Autokonzerne teuer und schwierig zu machen. Bei der Profitabilität hängt der deutsche Konzern trotz aller Bemühungen immer noch hinterher, die Edelmarke Audi hat an Glanz verloren, die mit viel Tamtam aufgebaute Softwaresparte ist schon ein Sanierungsfall. Blume lobt sich zwar für seine Aufräumarbeit in den letzten anderthalb Jahren, aber im schlappen Aktienkurs spiegelt sich das noch nicht wieder.
Elektroauto für 20.000 Euro ab 2027
Seine Botschaft ist jetzt: Es ist zwar schwierig, aber es wird demnächst besser. In diesem Jahr bereitet der Konzern mehr als zwei Dutzend neue Modellstarts vor, das kostet viel Geld und Mühe, aber verspricht mehr Geschäft. Etwa der runderneuerte Bestseller VW Golf, der dieses Jahr auch noch sein 50-jähriges Jubiläum begeht, und die Kombiversion des Elektro-Schiffs ID.7, auf der viele Hoffnungen ruhen.
Das allgemeine Kostenproblem des Konzerns sei erkannt und bereits auf dem Weg zur Lösung, unter anderem läuft ein großes Personalabbauprogramm, das laut dem Management bereits ausreichend ausscheidungswillige Manager und Ingenieure wahrgenommen haben.
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Schon 2025, erst recht 2026 werde man die Effekte all seiner Bemühungen richtig deutlich sehen, so Blumes Versprechen. Allerdings räumt er auch ein, dass es Risiken gibt. Vor allem die Regulierung, also Zölle und weiteres Hin und Her bei der Elektrifizierung. Falls es bei den geltenden CO2-Regeln in der EU bleibt, könnte das nächste Jahr noch einmal hohe Belastungen bringen. VW müsste entweder in großem Stil E-Fahrzeuge in den Markt drücken, unter Verzicht von Gewinnen. Oder so genanntes Pooling und Credits nutzen, wie die Fachbegriffe heißen, also Geld an CO2-mäßig vorbildlichere Konkurrenten zahlen, damit diese ihre guten Werte mit den potentiell schlechten von VW verrechnen, um am Ende gemeinsam die Limits zu unterschreiten.
Solche Trickserei haben die Deutschen in der Vergangenheit eher ausgeschlossen, jetzt aber liebäugelt Blume angesichts der mauen E-Auto-Verkäufe durchaus damit. Denn ansonsten drohen VW hohe Strafzahlungen, die teurer und auch für das Image noch belastender wären.
Immerhin, das konnte der Konzern noch vor der Hauptversammlung verkünden, hat er den Weg für ein kleines, bezahlbares E-Auto freigemacht, das ab 2027 ab 20.000 Euro zu haben sein soll. Ein Modell für 25.000 Euro namens ID.2 ist bereits früher in der Planung, das neue Projekt, vielleicht ID.1, wird jetzt wahrscheinlich maßgeblich bei Skoda in Tschechien entwickelt und wohl auch dort oder in der Slowakei gebaut.
Solch kleine Autos, mit denen nur schwer Geld zu verdienen ist, befeuern nicht unbedingt die Marge, aber Blume hält sie für wichtig für die Markenbindung. Und zur Abwehr der chinesischen Konkurrenz, die vermutlich schon bald mit billigen, kleinen und praktischen E-Autos auf den europäischen Markt drängt.