Justiz: Richterbesetzung: Verfassungsgericht ordnet Prüfung an

Gaben Geschlecht und Parteibuch bei der Besetzung eines der höchsten Richterämter in Nordrhein-Westfalen den Ausschlag? Das Bundesverfassungsgericht hat eine weitere Prüfung des Falls angeordnet.

Im Streit um die Besetzung des Präsidentenpostens am nordrhein-westfälischen Oberverwaltungsgericht (OVG) in Münster hat eine Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe einem unterlegenen Bewerber einen Teilerfolg beschert. Das Oberverwaltungsgericht muss den Fall noch einmal näher prüfen, ordnete das Bundesverfassungsgericht an und verwies den Fall zurück nach Münster. 

Ein Bundesrichter hatte die Beschwerde eingereicht. Er ist überzeugt, die erfolgreiche Bewerberin sei wegen ihres Geschlechts bevorzugt worden. Die Auswahlentscheidung des nordrhein-westfälischen Justizministers Benjamin Limbach (Grüne) sei nicht nach der vom Grundgesetz verlangten Bestenauswahl, sondern im Wege einer politischen Vorfestlegung getroffen worden, so sein Vorwurf. 

Bestenauswahl oder Parteibuch-Klüngel?

Noch bevor die dienstliche Beurteilung der Bewerberin vorgelegen habe, habe der Minister ihm gegenüber von einem „Vorsprung“ der Mitbewerberin gesprochen und ihm den Rückzug seiner Bewerbung nahegelegt. Gleiches habe ihm ein CDU-Bundestagsabgeordneter in einem Telefonat zu verstehen gegeben: Koalitionskreise in Düsseldorf hätten sich auf die Frau mit CDU-Parteibuch verständigt. Für beide Gespräche legte der Bundesrichter eidesstattliche Versicherungen vor. 

Das Oberverwaltungsgericht habe diese Vorwürfe nicht ausreichend geprüft und aufgeklärt, befanden die Karlsruher Richter. Deswegen hoben sie den Beschluss des OVG auf, das keine Bedenken gegen die Personalentscheidung hatte. Eine Vorfestlegung und Voreingenommenheit des Ministers sei nicht ausgeschlossen. 

Schallende Ohrfeige 

Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts sei eine schallende Ohrfeige für den NRW-Justizminister, so die FDP-Landtagsfraktion. „Limbachs Scherbenhaufen wächst – und die Einschläge kommen näher!“, befand FDP-Fraktionschef Henning Höne. 

Die FDP-Fraktion sehe sich in ihrem Vorhaben, das Geschehen in einem Untersuchungsausschuss des Landtags aufzuarbeiten, bestätigt, sagte deren rechtspolitischer Sprecher Werner Pfeil und sprach von einem Skandal. Viele Fragen, auch zur Rolle der Staatskanzlei NRW und des Justiziars der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, müssten beantwortet werden. „Dieser Skandal ist ein schwerer Schaden für den Rechtsstaat in NRW und ein fatales Signal an alle qualifizierten Bewerberinnen und Bewerber, die sich auf solche Spitzenpositionen bewerben.“

Rücktritt nahegelegt

Die SPD-Fraktion legte Limbach erneut den Rücktritt nahe: „Das Eis, auf dem sich Herr Limbach bewegt, ist inzwischen so dünn, dass er Konsequenzen ziehen und den Weg für einen Neuanfang freimachen sollte“, sagte SPD-Fraktionsvizechefin Elisabeth Müller-Witt.

„Das Bundesverfassungsgericht hält im Gegensatz zum OVG-Urteil für möglich, dass das Prinzip der Bestenauslese verletzt wurde“, so Nadja Lüders, SPD-Obfrau im Untersuchungsausschuss. Dort werde die SPD beantragen, den unterlegenen Bewerber und den Justizminister noch am 30. September als Zeugen zu laden. 

Ministerium weist Vorfestlegung zurück

Das Bundesverfassungsgericht habe die OVG-Entscheidung allein wegen der Notwendigkeit weiterer gerichtlicher Aufklärung aufgehoben, hieß es in einer Stellungnahme des NRW-Justizministeriums. In den übrigen Punkten habe die Beschwerde keinen Erfolg gehabt. 

Das Justizministerium werde seinen Standpunkt auch in dem neuen Durchgang vor dem Oberverwaltungsgericht Münster vertreten und alles Notwendige zur weiteren Aufklärung beitragen. Eine unzulässige Vorfestlegung durch den Justizminister habe es nicht gegeben, betonte ein Sprecher. 

Jahrelange Besetzungsverfahren

Den Zuschlag der Landesregierung für den Präsidentenposten hatte eine erst spät ins Verfahren eingestiegene Bewerberin erhalten. Nach Eilanträgen unterlegener Bewerber hatten Verwaltungsgerichte das Besetzungsverfahren zunächst gestoppt. Limbach war durch die erstinstanzlichen Entscheidungen der Verwaltungsgerichte Münster und Düsseldorf, in denen deutliche Kritik am Besetzungsverfahren enthalten war, politisch unter Druck geraten. Er musste zugeben, dass er die Bewerberin, die sich selbst bei einem privaten Abendessen mit dem Minister ins Spiel gebracht hatte, seit langem kennt und duzt. 

Die umstrittene Besetzung wird auch in einem Untersuchungsausschuss des Landtags aufgearbeitet. Aus Sicht der Opposition steht der Verdacht im Raum, dass Parteibuch und Beziehungen den Ausschlag bei der Besetzung gegeben hätten und nicht die fachliche Kompetenz der Bewerber. Die Stelle ist seit rund drei Jahren unbesetzt.