Heute vor genau 40 Jahren lockte der Österreicher Josef Fritzl seine 18-jährige Tochter Elisabeth in den Keller seines Wohnhauses. Dort sperrte er sie 24 Jahre lang ein und zeugte mit ihr sieben Kinder. Weil eines davon so krank wurde, dass es in die Notaufnahme musste, flog das unfassbare Verbrechen auf.
Als Elisabeth Fritzl am 28. August 1984, einem wunderschönen Spätsommertag, ihrem Vater Josef in den Keller folgt, ahnt sie nicht, dass sie die nächsten 24 Jahre dort unten eingesperrt bleibt. Josef Fritzl behauptet an jenem Dienstag, er brauche Hilfe beim Tragen einer Tür. Sie ahnt nicht, dass diese Tür Teil eines Bunkers ist, an dem ihr Vater die vergangenen sechs Jahre gebaut hat – nur, um seine 18-jährige Tochter darin einzusperren.
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Ab sofort muss die junge Frau ihr Leben in einem unterirdischen Gefängnis verbringen: 55 Quadratmeter, drei Räume, ein Kühlschrank, ein Radio, ein Fernseher, ein Videorekorder, eine Kochnische und eine Waschmaschine. Akribisch hatte ihr Vater das kleine Verließ geplant, dessen 300 Kilogramm schwere und hinter einem Regal versteckte Zugangstür sich nur über eine einzig von ihm zu bedienende Tastatur öffnen ließ. Acht weitere, zum Teil 500 Kilogramm schwere verschlossene Türen versperren ihr ab sofort den Weg in die Freiheit.
Fritzl lässt sich schon am 31. Oktober 1978 den Zubau in der Ybbsstraße 40 im niederösterreichischen Amstetten von der Baubehörde bewilligen – neun kleine Wohnungen und einen Standardkeller mit drei Räumen. Der Kellerzubau ist nichts Außergewöhnliches in Zeiten des Kalten Krieges; viele Menschen bauen sogar komplette Bunker aus Angst vor einem Atomschlag. Monatelang gießt er Beton in Form, bohrt, buddelt und schraubt an dem leblos wirkenden Zubau.
Josef Fritzl täuscht beim Bunker-Bau die Behörden
Am 26. Juli 1983 erteilt die Stadt die Benutzungsbewilligung für die Kellerräume. Um die Behörden zu täuschen, mauert er sämtliche Eingänge im unterirdischen Labyrinth provisorisch zu. Die Metalltüren, die zu dem unterirdischen Gefängnis führen, setzt er erst später ein. Doch das Martyrium von Elisabeth beginnt schon Jahre bevor ihr Vater sie dort unten festsetzt.
Josef Fritzl wird am 9. April 1935 im österreichischen Amstetten geboren. Seine Mutter Maria trennt sich früh, und der Vater verschwindet aus dem Leben der Kleinfamilie. Maria Fritzl erzieht Josef mit harter Hand, sie haben nicht viel Geld, und es herrscht Krieg. Die Spielkameraden nennen ihn „Sepperl“ oder „Pepperl“, und er ist ein guter Schüler, die Lehrer loben ihn.
Ein schmaler Durchlass führt in eines der Schlafzimmer. Erst 1993 erweiterte Fritzl den Kerker um den hinteren Trakt.
Nach dem Krieg lernt Josef Elektrotechniker und wird später in den Polizeiberichten als „technischer Angestellter“ geführt. Er arbeitet bei der großen Stahlfirma Voestalpine in Linz, dann für einen Baustoffhändler und als Vertreter einer Maschinenfirma. Als er 22 Jahre alt ist, heiratet er die 17-jährige Küchengehilfin Rosemarie – eine einfache Frau, die nicht viele Fragen stellt. Sie ist das komplette Gegenteil ihres Gatten: liebevoll, mütterlich, warmherzig. Vor allem aber: devot bis zur Selbstaufgabe.
Elisabeth Fritzl verliert mit 18 Jahren ihre Freiheit
Elisabeth ist das vierte Kind von Josef und Rosemarie. Insgesamt bekommt das Paar drei Söhne und vier Töchter. Elisabeth wird am 6. April 1966 geboren. Sie bekommt vom tyrannischen Vater die meisten Schläge ab. Als sie elf Jahre alt ist, wird sie das erste Mal von ihm sexuell missbraucht. Mit 15 beginnt sie im Restaurant der Autobahnraststätte „Rosenberger“ an der A1 bei Strengberg eine Ausbildung zur Gastronomiefachfrau. Doch irgendwann hält sie es daheim nicht mehr aus: Am 28. Januar 1983 kommt sie nach der Arbeit nicht heim, sondern läuft mit einer Freundin von zu Hause weg. Nach drei Wochen findet sie die Polizei in Wien und bringt sie zurück zu den Eltern. Sie beendet ihre Ausbildung und findet einen Job in Linz. Doch den wird sie nie antreten. Denn ihr Vater hat andere Pläne. Einmal fort, hätte er keine Kontrolle mehr über seine Tochter.
Fritzl glaubt, seine Familie verzeiht ihm irgendwann 17.11
Um das zu verhindern, stößt der gelernte Elektrotechniker Elisabeth an jenem Tag in den von ihm gebauten Bunker, betäubt sie mit Äther, bis sie das Bewusstsein verliert und fesselt sie mit Handschellen. Nach Elizabeths Verschwinden gehen Joseph und seine Frau Rosemarie zur Polizei. Den Beamten erklärt Josef, er habe die Vermutung, sie sei weggelaufen, um einer Sekte beizutreten. Diese Theorie stützt er, indem er ihnen später einen Brief präsentiert – aufgegeben am 21. September 1984 in Braunau am Inn, Hitlers Geburtsort. Darin erklärt Elisabeth, dass sie es leid war, mit der Familie zu leben und warnt ihre Eltern, nicht nach ihr zu suchen – andernfalls würde sie das Land verlassen. Natürlich hatte die junge Frau den Brief nicht freiwillig verfasst, sondern wurde von ihrem Vater dazu gezwungen. Der Polizei genügt das, den Fall abzuschließen und dieser Umstand bietet Fritzl nun alle Freiheiten, mit seinem perfiden Plan weiterzumachen.
Keine 90 Zentimeter war der Durchschlupf hoch, die Tür aus Stahl und Beton wog 300 Kilo. Hinter einem Regal in der Werkstatt versteckt, war sie nur mit einer Fernbedienung zu öffnen. Um überhaupt aus der Wohnung dorthin zu gelangen, musste Fritzl zuvor das Treppenhaus und dann fünf Kellerräume passieren.
Fast täglich bringt er seiner Tochter Essen und andere Dinge in ihr Untergrundgefängnis – und regelmäßig vergeht er sich bei dieser Gelegenheit auch an ihr – ohne ihr jedoch dabei ins Gesicht zu schauen. Manchmal sogar mehrmals am Tag. Dann wird sie das erste Mal schwanger. Um sich auf die Geburt vorzubereiten, versorgt Josef Fritzl seine Tochter mit Desinfektionsmittel, einer schmutzigen Schere und einem Buch über Geburten aus den 1960er Jahren. 1988 kommt unter der Erde ihre erste Tochter zur Welt. Elisabeth Fritzl vegetiert nun schon vier Jahre unter der Erde. Oben führt ihr Vater sein Parallel-Leben.
In Amstetten und an den Wochenenden am Mondsee, 150 Kilometer entfernt, wo er bereits 1973 die Gaststätte „Seestern“ gekauft und einen Teil eines nahe gelegenen Campingplatzes gepachtet hat. Er tritt als höflicher, etwas unnahbarer, aber durchaus sympathischer Mann auf. Wenn er Verträge aufsetzt, achtet er auf jedes Wort. Er pocht auf strikte Ordnung all die Jahre bis 1996, als er die Pension verkaufen und den Platz abgeben wird.
Josef Fritzl saß schon früher wegen Vergewaltigung im Knast
Nur gelegentlich blitzt in dieser Zeit das Despotische in ihm auf hinter jener gepflegten Fassade. Zum Beispiel, wenn etwas nicht nach seinem Willen geht. Dann herrscht er seine Frau vor Fremden an. Oder er schlägt einen der beiden Söhne, weil der am Mondsee ein paar Minuten zu lange gefischt hat. 1974 soll er am eigenen Gasthof, welcher nicht so recht lief, Feuer gelegt haben, um bei der Versicherung zu kassieren. 1982 wird er vorübergehend festgenommen, als der „Seestern“ abermals brennt und am Brandherd eine Gasflasche gefunden wird. Die Ermittler sind sicher, dass es Brandstiftung war. Doch das Kreisgericht stellt auch dieses Verfahren ein – wegen Mangel an Beweisen.
Polizeibeamte vor Ort erleben Fritzl schon seinerzeit bei den Vernehmungen als einen „irrsinnig harten Menschen, der mit Brutalität seine Interessen durchsetzt“. Ein ehemaliger Chef nennt ihn rückblickend „grenzgenial“, und eine Kollegin erinnert sich, „dass er immer wie aus dem Ei gepellt aussah, wie ein Diplomat“. Schon lange bevor er sich an Elisabeth verging, hatte er eine Frau sexuell missbraucht: 1967 war Fritzl in das Haus einer 24-jährigen Krankenschwester eingebrochen und hatte sie unter Vorhaltung eines Messers vergewaltigt. Dafür verbüßte er 12 Monate einer 18-monatigen Gefängnisstrafe.
Waschbecken, Dusche mit Boiler, Toilette – alles hatte Josef Fritzl selbst eingebaut
1990 bringt Elisabeth einen Sohn zur Welt, 1992 folgt wieder ein Mädchen und 1994 eine weitere Tochter. Weil der Platz langsam knapp wird, erlaubt der Vater, das beengte Gefängnis zu erweitern. Dafür zwingt er die Familie, mit bloßen Händen zu graben. Für den Sohn werden vor allem irgendwann die niedrigen Decken zum Problem, weil er nicht aufrecht stehen kann. Schuhe trägt er nie. 1996 kommen die Zwillinge zur Welt, doch einer der beiden Söhne stirbt drei Tage nach der Geburt an einer Atemwegserkrankung. Josef Fritzl beseitigt seine Leiche im Heizofen.
Er droht damit, sie alle zu vergasen, falls sie zu fliehen versuchen. Die beiden Töchter und der überlebende Zwilling dürfen nach oben. Sie werden im Alter zwischen neun und 15 Monaten vor der Haustür in der Ybbsstraße „abgelegt“. Es tauchen abermals drei fingierte Briefe der Tochter auf, in denen sie um Verständnis und Fürsorge bittet. Die zweitgeborene Tochter, die wenige Tage nach dem Auffinden in Linz operiert werden muss, wird adoptiert, die anderen beiden Kinder nehmen Fritzl und seine Frau Rosemarie als „Verwandtenpflegekinder“ an, weil es für Pflegekinder mehr staatliches Geld gibt. Rund 12.000 Euro jährlich zusätzlich zur Familienbeihilfe. 21-mal kontaktiert die Jugendwohlfahrt Amstetten die Familie Fritzl, Josef mimt den zurückhaltenden, gnädigen Großvater, der viele Freiheiten gewährt. Ehefrau Rosemarie backt Plätzchen für die Weihnachtsauftritte der Stadtkapelle, dekoriert die Geburtstagsfeste ihrer vermeintlichen Enkelkinder, besucht Serviettenkurse im Bastelladen um die Ecke und organisiert die Erstkommunionen in der Gemeindekirche St. Marien. Die Fritzls bekommen ein ausgezeichnetes Zeugnis ausgestellt. Unterdessen erblickt im Jahre 2002 der kleine Felix das Dunkel der Welt. Er bleibt mit seiner Mutter und seinen Geschwistern im Verließ.
Älteste Tochter von Elisabeth Fritzl bricht zusammen
Elisabeth kümmert sich dort unten liebevoll um ihre Kinder. Sie fordert eine UV-Lampe und Vitamin-D-Präparate gegen Knochenerweichung in der Welt ohne Sonne. Außerdem soll ihr Josef regelmäßig Bücher mitbringen, damit sie den Kindern das Lesen und Schreiben beibringen kann. Und sie sorgt dafür, dass sie etwas über die Außenwelt und ihre Kultur durch das Fernsehen und Radio mitkriegen. Medizinische Hilfe wird ihnen verweigert – bis zu jenem 19. April 2008, als die älteste Tochter bewusstlos zusammenbricht. Fritzl, inzwischen 73 Jahre alt, bringt sie auf eindringliches Bitten von Elisabeth in die Klinik von Amstetten.
Die 19-Jährige ist zerbrechlich dünn, ihre Haut aschfahl, fast durchsichtig, die Venen deutlich zu sehen. Die wenigen Zähne, die sie noch im Mund hat, sind verrottet. Die junge Frau krampft, beißt sich so heftig auf die Zunge, dass ihr das Blut aus dem Mund läuft. Die Krämpfe verursachen Sauerstoffmangel. Organe drohen zu versagen. Sie ist in akuter Lebensgefahr. Der diensthabende Arzt leitet die notwendigen Maßnahmen ein: Beatmung. Künstlicher Tiefschlaf. Nierenersatztherapie. Und rettet damit ihr Leben. Josef Fritzl gibt sich ihm gegenüber als ihr Großvater aus. Seine Enkelin habe auf der Treppe gelegen. Neben ihr ein Brief von seiner angeblich seit Jahren verschwundenen Tochter. Darin steht, dass sie noch nie in einem Krankenhaus gewesen und sie sehr schüchtern sei.
Das Wohnhaus der Fritzls in Amstetten: Hinter diesen dicken Mauern wurde Elisabeth Fritzl 24 Jahre lang gefangen gehalten
Der Arzt ruft mit Fritzls Einwilligung die Polizei. Er müsse dringend mit der Mutter sprechen, um die Krankheitsgeschichte zu erfahren. Als Elisabeth in ihrem Bunker einen Aufruf in der Lokalsendung „Niederösterreich heute“ einen Beitrag mit dem Titel „Todkranke sucht Mutter“ sieht, bittet die 43-jährige Elisabeth ihren Vater, sich melden zu dürfen. Zwei Wochen später erscheint am Abend des 26. April eine hagere Frau mit schlohweißem Haar an der Rezeption des Klinikums. Kurz darauf wird Fritzl verhaftet. Die Beamten fordern ihn auf, ihnen den Code für das elektrische Türschloss zu geben und durchsuchen das Verließ. Die beiden verbliebenen Kinder sind zu diesem Zeitpunkt schon im Obergeschoss untergebracht. Fritzl hatte seiner Ehefrau gegenüber zuvor behauptet, die Tochter wäre mit den beiden Kindern nach Hause gekommen. Drei Tage später bestätigen DNA-Beweise, dass es sich bei allen sechs Kindern um die biologischen Kinder Fritzls handelt.
Im Verließ finden sie weitere Briefe, die Fritzl seine Tochter schreiben ließ. Offenbar plante er aufgrund seines fortschreitenden Alters ihre Freilassung, denn im Januar 2008 diktierte er ihr einen Brief, in dem sie ihre Rückkehr und die der Kinder für Mai oder Juni ankündigte, weil dann einige Geburtstagsfeiern anstünden.
Im März 2009 lautet die Anklage gegen das „Inzest-Monster“, wie Josef Fritzl von den Medien genannt wird, auf Mord durch Unterlassen, Vergewaltigung, Freiheitsberaubung, schwere Nötigung, Sklaverei und Blutschande. Das Urteil: Lebenslange Haft. Nach Darstellung von Fritzls Anwalt war der Wunsch nach einer Zweitfamilie ein wichtiges Motiv für das Handeln seines Mandanten.
10 Jahre nach der Inzesthölle: So geht es Fritzls Tochter heute_11.20
Mittlerweile lebt er in der forensischen Psychiatrie in der Justizvollzugsanstalt Stein unter anderem Namen. Ehefrau Rosemarie hat sich kurz nach Bekanntwerden der Tat von ihm scheiden lassen und den Kontakt abgebrochen. Seine Anwältin Astrid Wagner hat Fritzls Memoiren bearbeitet und als Buch herausgebracht. Wie sie vergangenes Jahr im Gespräch mit dem stern verriet, ist er auch in seiner Zelle immer gut gekleidet und hat die Haare schön frisiert. Sein Sexualtrieb hat dem jüngsten Gutachten zufolge altersbedingt stark nachgelassen und er gilt als nicht weiter therapierbar. Weil er glaubt, dass der Fernseher mit ihm spricht, hat der Richter einen Antrag auf Entlassung abgelehnt, ohne auch nur ein neues psychiatrisches Gutachten zu bestellen. Im Juni 2022 entscheidet das Oberlandesgericht in Wien zunächst, dass der heute 89-jährige Fritzl nicht in ein normales Gefängnis in Österreich verlegt werden darf. Im Mai dieses Jahre fällt jedoch die Entscheidung, dass er in den Normalvollzug wechseln darf. Es gehe keine Gefährlichkeit mehr aus, die eine Unterbringung in einem forensisch-therapeutischen Zentrum erforderlich mache, heißt es. Der Häftling leide unter fortschreitender Demenz und habe körperlich so abgebaut, dass die der Einweisung zugrunde liegende Persönlichkeitsstörung inzwischen „begraben“ sei, hieß es.
Eine bedingte Entlassung aus dem Normalvollzug – und somit eine Entlassung in Freiheit – sei jedoch aus spezialpräventiven Gründen derzeit nicht möglich. Zwar sei Fritzl nicht mehr gefährlich, aber es sei immer noch fraglich, ob er künftig keine Straftaten mehr begehen würde.
Fritzls Kellerverlies wird 2013 mit 300 Tonnen Spezialbeton verfüllt, die Wohnungen darüber werden später neu vermietet.
Elisabeth lebt inzwischen mit ihren Kindern unter einem neuen Namen in einem Dorf in Österreich. Das zweistöckige Haus der Familie, dessen Adresse geheim gehalten wird, wird ständig videoüberwacht und von Sicherheitsleuten bewacht.
Sehen Sie im Video die Chronik des Verbrechens: Das unfassbare Doppelleben des Josef Fritzl begann Anfang der 1980er Jahre. Fritzl baute im Keller seines Hauses ein Gefängnis für seine eigene Tochter.
Quellen: Archivmaterial von stern und DPA, The Horrific Case of Elisabeth and Josef Fritzl, „Kurier“