Viele Firmen in Hessen suchen zum Start ins neue Lehrjahr noch dringend Azubis. Aber welcher Ausbildungsplatz passt? Bei dem großen Angebot fällt die Entscheidung vielen jungen Leuten schwer.
Zu Beginn des neuen Lehr- und Ausbildungsjahrs sind bei vielen Betrieben in Hessen noch Plätze für die jungen Bewerber unbesetzt. Schon lange hat sich der Ausbildungsmarkt gedreht, und den zahlreichen offenen Stellen stehen auch angesichts des demografischen Wandels immer weniger potenzielle Bewerber gegenüber – und die haben in der Regel die Qual der Wahl, in welchem Betrieb sie ins Berufsleben starten möchten. Einige Branchen stellt die Situation vor wachsende Schwierigkeiten, denn der Azubi-Mangel von heute ist der Fachkräftemangel von morgen. Woher kommen die Probleme und wie lässt sich gegensteuern?
Azubimangel in zahlreichen Berufen
Zuletzt waren hessenweit noch rund 13 500 Ausbildungsplätze zu haben – in etwa so viele, wie im Vorjahr um diese Zeit, wie Brigitte Scheuerle, Expertin für Aus- und Weiterbildung der Industrie- und Handelskammer (IHK) Frankfurt am Main sagt. Neue Zahlen will die Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit an diesem Freitag (30. August) veröffentlichen.
Zu kämpfen haben nach den Worten Scheuerles vor allem Betriebe aus Hotellerie, Gastronomie und Handel, während etwa Ausbildungsgänge in IT-Berufen oder als Mediengestalterinnen und -gestalter beliebt sind. Auch in der Pflege, im metallverarbeitenden Bereich und in einigen Handwerksberufen sind die Herausforderungen laut Regionaldirektion groß. Zudem spielt die regionale Lage der Firmen eine Rolle – in ländlichen Gegenden fänden Betriebe tendenziell etwas schwerer Azubis als die Unternehmen in Städten wie Frankfurt, Wiesbaden oder Darmstadt.
Betrieb beklagt mangelnde Eignung von Bewerbern
So geht es auch der Hassia Verpackungsmaschinen GmbH in Ranstadt im Wetteraukreis. Einen wichtigen Grund dafür sieht Personalleiterin Andrea Zink auch in einer mangelnden Eignung vieler Bewerber. „Das Niveau ist wirklich sehr, sehr gesunken.“ Zink führt das auch auf schulische Defizite als Folgen der Corona-Pandemie zurück. Acht Azubis hätte sie gerne für das neue Lehrjahr eingestellt, doch zwei sind es bisher nur geworden. Teils brächten Bewerber schlechte Zeugnisse mit, bei einigen seien auch Probleme wie Dyskalkulie oder eine Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) ein Thema. Wenig Verständnis hat Zink, wenn Bewerber einen von dem Unternehmen zur Verfügung gestellten Online-Eignungstest erst gar nicht absolvieren. In solchen Fällen winke man schon von sich aus ab, nach dem Motto „Nicht um jeden Preis“, wie die Personalverantwortliche sagt.
Auf der anderen Seite gebe es aber auch sehr gute Azubis, die ihre Karrierechancen nutzen – wie ein mittlerweile hervorragender Facharbeiter, der einst mit 14 als schüchterner Praktikant ins Unternehmen kam, wie sich Zink erinnert. Er habe seine Ausbildung in Ranstadt gemacht und stelle jetzt eigenverantwortlich weltweit Maschinen des Unternehmens auf. In die jungen Leute investiere man viel: Individuelle Coachings gehören ebenso dazu wie mögliche Auslandsaufenthalte im Rahmen der Ausbildung sowie Weiterbildungsmaßnahmen zum Techniker oder Meister, die das Unternehmen fördert. Für das kommende Jahr werde man die Aktivitäten nochmals verstärken und etwa Messeauftritte weiter ausbauen, um wieder mehr junge Menschen für eine Ausbildung gewinnen zu können, sagt Zink. „Wenn es passt“, würde sie aber auch für das bereits laufende Jahr noch Azubis einstellen. Die Hassia Verpackungsmaschinen mit rund 240 Beschäftigten gehört zur italienischen IMA Group.
Junge Leute pokern bei Ausbildungsplatzsuche
Das große Angebot führt derweil dazu, dass manche junge Leute bei der Ausbildungsplatzsuche pokern und gleich drei bis fünf Arbeitgebern zu- und dann ganz kurzfristig wieder absagen, wie man bei der Regionaldirektion weiß. Die Arbeitgeber stelle das teils vor handfeste Probleme, sagt ein Sprecher. Zusätzlich erschwert werde die Suche durch eine mangelnde Mobilität vieler Jugendlicher – Ausbildungsplätze in einer Entfernung von 30 Kilometern und mehr vom Wohnort kämen für viele Jugendliche nicht infrage. Außerdem werde vielen Jugendlichen im Elternhaus und in der Schule vermittelt, möglichst höherwertige Schulabschlüsse anzustreben. Wer seinen Hauptschulabschluss in der Tasche habe, werde zum Realschulabschluss gedrängt und Realschüler nach ihrem Abschluss zum Abitur.
Das macht auch die Nachwuchssuche am Bau schwierig. „In unserer Gesellschaft herrscht noch immer das Ideal vor, dass man nur mit einer akademischen Ausbildung Karriere machen beziehungsweise gut verdienen kann.“ Das gäben auch viele Eltern/Lehrer an die jungen Menschen weiter, erklärt eine Verbandssprecherin auf Anfrage. Bei Berufsorientierungsprogrammen in Gymnasien etwa gehe es vor allem darum geht, die Schülerinnen und Schüler auf das Leben an der Universität vorzubereiten. „Handwerksberufe finden kaum statt.“ Die Berufsschulen blieben zudem hinsichtlich der Förderung seit Jahren hinter der akademischen Bildung zurück – was sich in manchen Fällen „leider auch im Zustand der Berufsschulen widerspiegelt“, so die Verbandssprecherin.
Praktika als Entscheidungshilfe
Damit Betriebe und Azubis auch im jetzt beginnenden Ausbildungsjahr noch zusammenfinden, rät der Sprecher der Regionaldirektion vor allem, Praktika anzubieten beziehungsweise zu absolvieren. Unternehmen könnten sich dabei einen persönlichen Eindruck von den jungen Leuten verschaffen und die Jugendlichen wiederum bekämen durch Praktika Einblicke in Betriebe und damit eine wichtige Entscheidungshilfe. Arbeitgeber sollten zudem die besonderen Fähigkeiten der jungen Menschen in den Blick nehmen, sagte der Sprecher: Viele hätten aufgrund ihrer Erfahrungen mit Smartphone, Laptop und Tablet sehr gute EDV-Kenntnisse – eine wichtige Voraussetzung für viele Berufe.
Wer zeitnah eine Ausbildung beginnen will, aber bisher noch nicht den richtigen Platz gefunden oder Absagen kassiert hat, sollte indes nicht aufgeben. Die hessischen Industrie- und Handelskammern hatten erst kürzlich Unentschlossene noch einmal ermuntert, sich noch kurzfristig zu bewerben. Auch über den Stichtag 1. September hinaus und „bis weit in den Herbst hinein“ stellten viele Unternehmen und Betriebe in Hessen noch Azubis ein.