Was hilft gegen Terror? Konstantin Kuhle (FDP) fordert nach dem Anschlag in Solingen ein Umdenken in der Migrationspolitik. Gleichzeitig warnt der Fraktionsvize vor Aktionismus.
Herr Kuhle, der Bundeskanzler hat nach dem Messerangriff in Solingen eine Verschärfung des Waffenrechts angekündigt. Das geht nur, wenn die FDP mitspielt. Tut sie das?
Sinnvolle Veränderungen beim Waffenrecht sind kein Tabuthema. Sie bringt aber weder mehr Ordnung und Kontrolle in der Migrationspolitik, noch helfen sie bei der Bekämpfung des gewaltbereiten Islamismus. Genau diese Themen müssen jetzt jedoch im Fokus stehen.
Den Vorschlag von Bundesinnenministerin Nancy Faesers, Messer mit mehr als sechs Zentimetern Klingenlänge zu verbieten, nannten sie zuletzt „nicht überzeugend“.
Dabei bleibe ich. Bei Veranstaltungen wie Stadtfesten gibt es schon jetzt ein Messerverbot. Auch der Täter in Solingen hätte kein Messer mitführen dürfen. Wir können über vernünftige Vorschläge zum Waffenrecht reden. Aber die Menschen erwarten jetzt keine Pseudomaßnahmen.
Sprechen wir über Migrationspolitik. Was muss sich ändern?
Die Ampel-Koalition hat am Anfang des Jahres Abschiebungen erleichtert. Aber Bund und Länder müssen sich besser und enger abstimmen. Menschen ohne Aufenthaltstitel müssen Deutschland schneller verlassen.
Die Durchführung von Abschiebungen ist Ländersache.
Wenn einzelne Bundesländer dazu nicht in der Lage sind, müssen wir über mehr Kompetenzen für den Bund nachdenken. Zum Beispiel, dass die Bundespolizei in Zukunft in eigener Zuständigkeit Abschiebungen durchführt. Aber es braucht auch mehr staatlichen Druck auf ausreisepflichtige Ausländer. Darüber müssen wir in der Koalition dringend sprechen.
Den Schuh des Blockierers ziehe ich mir nicht an
Was meinen Sie damit?
Ich verstehe überhaupt nicht, warum wir weiter Geld an Menschen zahlen, von denen wir erwarten, dass sie das Land verlassen. Wenn jemand nicht hier bleiben darf, darf er auch keine Sozialleistungen bekommen.
Die Grünen dürften davon nicht begeistert sein.
Jetzt ist nicht die Zeit für Dogmatismus. Die Bürger erwarten, dass wir über die erforderlichen Maßnahmen nachdenken und diese auch umsetzen. Das gilt für alle Koalitionspartner.
Wie stark steht die Ampel unter Handlungszwang?
Alle staatlichen Ebenen sind unter Handlungsdruck. Doch wir müssen einen kühlen Kopf bewahren und dürfen als Gesellschaft nicht den Verstand verlieren. Sonst spielen wir den Terroristen in die Karten, die Unruhe und Unfrieden schüren wollen.
Der FDP eilt der Ruf als Blockierer in Sicherheitsfragen nach. Muss sich ihre Partei bewegen?
Im Koalitionsvertrag haben wir einige sicherheitspolitische Maßnahmen vereinbart: eine gesetzliche Grundlage für das Terrorabwehrzentrum, klare Regeln für V-Personen und eine Neufassung des Nachrichtendienstrechts. Dass wir da nicht vorankommen, liegt nicht an der FDP. Den Schuh des Blockierers ziehe ich mir deshalb nicht an.
Klingt, als folgt jetzt ein ‚aber‘.
Als Liberale sind wir den Freiheits- und Bürgerrechten besonders verpflichtet. Dazu gehört, dass wir nicht wenige Tage nach einem Terroranschlag blind zu jedem Vorschlag für Bürgerrechtseinschränkungen und Gesetzesverschärfungen ‚ja‘ sagen. Erst müssen wir schauen, wie wir bestehende Gesetze besser umsetzen können.
Ein pauschaler Aufnahmestopp wäre nicht durchsetzbar
Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz fordert einen Aufnahmestopp für Syrer und Afghanen. Was halten Sie davon?
Ich teile seine Sicht, dass sich in der Migrationspolitik etwas fundamental ändern muss. Aber man sollte keine Maßnahmen fordern, von denen man weiß, dass man sie nicht umsetzen kann. Davon haben die Menschen wirklich die Nase voll. Ein pauschaler Aufnahmestopp wäre verfassungs- und europarechtlich nicht durchsetzbar. Richtig ist, dass wir darüber nachdenken, wie wir Abschiebungen nach Syrien und Afghanistan ermöglichen können. Und wir müssen die Zahlen senken.
Brauchen wir stärkere Grenzkontrollen?
Offene Grenzen innerhalb der Europäischen Union müssen immer unser Ziel sein. Solange wir aber keine wirksame Kontrolle der EU-Außengrenze haben, müssen wir die deutschen Grenzen stärker schützen. Deshalb finde ich es richtig, die Grenzschutzmaßnahmen jetzt zu verlängern.
Solingen AfD Landtagswahlen 1500
Viele islamistischen Täter, wohl auch der in Solingen, radikalisieren sich im Internet. Sind unsere Behörden darauf ausreichend vorbereitet?
Unsere Sicherheitsbehörden können bekannte islamistische Gefährder beobachten. Das große Problem sind diejenigen, die die Behörden nicht auf dem Schirm haben. Auch in Solingen scheint das der Fall gewesen zu sein. Wir müssen darum die Quelle der Radikalisierung austrocknen.
Wo liegt diese Quelle?
In sozialen Medien werben Influencer gezielt junge Musliminnen und Muslime an. Diesen Influencern müssen wir das Handwerk legen. Viele von ihnen leben in Deutschland. Sofern möglich, müssen wir sie ausweisen. Wir müssen auch mehr Präventionsarbeit leisten. Und natürlich müssen die Social-Media-Plattformen endlich ihrer Verantwortung besser nachkommen.
Müssten die Sicherheitsbehörden das Internet nicht besser überwachen?
Wie sollte denn so eine Überwachung konkret aussehen?
Der Staat kann nie hundertprozentige Sicherheit garantieren
Eine Möglichkeit wäre die anlasslose Vorratsdatenspeicherung, wie sie die Innenministerin fordert. Ihr Parteikollege, Justizminister Marco Buschmann, ist dagegen.
Die anlasslose Vorratsdatenspeicherung hätte Solingen nicht verhindert, weil die Behörden den Täter ja gar nicht kannten. Selbst wenn sie alle Daten gespeichert hätten, hätten sie ja gar nicht gewusst, wessen Daten ausgewertet werden sollen.
Welche Maßnahmen bringen denn dann etwas?
Die Nachrichtendienste müssen nach Art einer digitalen Streife stärker selbst in den digitalen Foren präsent sein, Nachrichten sammeln und die Radikalisierung im Netz besser im Blick haben. Das wird schon heute gemacht, muss aber ausgebaut werden. Das braucht mehr Ressourcen und muss daher eine Priorität bei den bevorstehenden Haushaltsverhandlungen sein.
Also mehr Geld für die Nachrichtendienste?
Mehr Personal und eine bessere finanzielle Ausstattung bringen mehr als neue Überwachungsbefugnisse. Finanzminister Christian Lindner hat ja im Zuge der Haushaltsaufstellung bereits Zugeständnisse an Nancy Faeser gemacht. Beide tauschen sich gut darüber aus, wie man Nachrichtendienste und Bundespolizei hinreichend ausstatten kann.
Ließe sich eine Tat wie die in Solingen dann verhindern?
Der Staat kann in einer freien Gesellschaft nie hundertprozentige Sicherheit garantieren. Aber er hat die Pflicht, die Wahrscheinlichkeit für solche Taten drastisch zu reduzieren.