Nach dem mörderischen Messerangriff in Solingen werden auch weitreichende Konsequenzen in der Asylpolitik gefordert. Wer will was? Und was taugen die Vorschläge?
Der Schock von Solingen sitzt tief. Drei Tote, acht Verletzte. Und viele Fragen. Nicht zuletzt: Was folgt aus der tödlichen Messerattacke? Insbesondere die Union erhöht nun den Druck auf die Bundesregierung, auch in der Asylpolitik weitreichende Konsequenzen zu ziehen.
Am Samstagabend hatte sich ein 26 Jahre alter Syrer der Polizei gestellt und den Angriff gestanden. Ob der Tatverdächtige tatsächlich im Auftrag des sogenannten Islamischen Staates (IS) gehandelt hat, wie die Terrormiliz für sich reklamiert, wird noch ermittelt. Berichten zufolge hätte der Mann im vergangenen Jahr nach Bulgarien abgeschoben werden sollen, da sein Asylantrag abgelehnt worden war. Weitere Einzelheiten zum Tathergang und den mutmaßlichen Attentäter lesen Sie hier.
„Es reicht!“, klagt CDU-Chef Friedrich Merz und fordert nun eine Reihe von Konsequenzen. Welche Vorschläge jetzt auf dem Tisch liegen:
Aufnahmestopp für Geflüchtete aus Syrien und Afghanistan
„Nicht die Messer sind das Problem, sondern die Personen, die damit herumlaufen“, schlussfolgert Merz aus dem Anschlag in Solingen. In der Mehrzahl der Fälle seien dies Flüchtlinge, zumal mit islamistischem Motiv, schreibt er in seinem wöchentlichen Newsletter „#MerzMail“. Um weitere „Terroranschläge“ zu verhindern, bringt der CDU-Chef eine Art Aufnahmestopp für Geflüchtete aus Syrien und Afghanistan ins Spiel: Weitere Flüchtlinge aus diesen Ländern sollten nicht aufgenommen werden, fordert der Oppositionsführer.
Die Bundesregierung hält einen generellen Aufnahmestopp für verfassungswidrig. „Das würde gegen das Grundgesetz und mutmaßlich auch gegen EU-Menschenrechtsverordnungen verstoßen“, sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit.
Das individuelle Recht auf Asyl ist grundgesetzlich geschützt (Artikel 16a), folglich wäre eine Rechtsanpassung an hohe Hürden geknüpft und würde eine Zweitdrittelmehrheit im Bundestag und Bundesrat erfordern. Diese Möglichkeit hat Regierungssprecher Hebestreit praktisch ausgeschlossen: Er erkenne „keine Bestrebungen von denjenigen, die die Regierung tragen, an diesem Grundgesetz-Artikel etwas zu ändern“. Übersetzt: Die Ampel-Koalition macht da nicht mit.
Laut Sebastian Hartmann, innenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, werde eine Rechtsanpassung auch nicht gebraucht – stattdessen „schlicht Anwendung geltenden Rechts“. Gefragt seien hier auch die zuständigen Landesbehörden in Nordrhein-Westfalen, sagte Hartmann dem stern: „Warum wurde geltendes Aufenthaltsrecht nicht angewandt? Warum wurde der radikalisierte Extremist und spätere Täter von der Landespolizei nicht in den Blick genommen?“.
Der SPD-Innenpolitiker verweist damit auf die nicht erfolgte Abschiebung des Tatverdächtigen nach Bulgarien, die Berichten zufolge im Juni vergangenen Jahres stattfinden sollte. Weil die Behörden den 26-jährigen Syrer in seiner Flüchtlingsunterkunft in Paderborn allerdings nicht antreffen konnten, wie etwa der „Spiegel“ berichtete, sei daraufhin die sechs-monatige Überstellungsfrist nach EU-Recht abgelaufen. Die Folge, grob verkürzt: Deutschland wurde für den Fall zuständig, dem Verdächtigen später ein eingeschränkter Schutzstatus gewährt.
Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst kündigte eine umfassende Aufklärung an. „Wenn da irgendwo was schiefgelaufen ist, bei welcher Behörde auch immer, ob vor Ort in Bielefeld, in Paderborn oder bei Landes- oder Bundesbehörden, dann muss die Wahrheit da auf den Tisch“, sagte er.
Unbegrenzter Abschiebegewahrsam
Eine weitere Forderung von CDU-Chef Merz: „Wir nehmen jeden ausreisepflichtigen Straftäter in zeitlich unbegrenzten Abschiebegewahrsam.“ Was ist das – und was soll das bringen?
Zunächst muss man zwischen Ausreisegewahrsam und Abschiebehaft unterscheiden. Das Ausreisegewahrsam darf maximal 28 Tage dauern und kann angeordnet werden, wenn eine Fluchtgefahr besteht. Erst zu Beginn des Jahres hatte die Ampel die mögliche Dauer von zehn auf 28 Tage ausgedehnt. Das Ziel: Den Behörden mehr Zeit zu verschaffen, um Abschiebungen vorzubereiten und ein Untertauchen der Abzuschiebenden vorzubeugen.
Die Abschiebungshaft (Paragraf 62, Aufenthaltsgesetz) hingegen kann in Form einer sogenannten Sicherungshaft von bis zu sechs Monaten angeordnet und dann noch einmal um maximal zwölf Monate verlängert werden. Jedoch nur, wenn die Gründe, dass jemand nicht abgeschoben wird, bei den Betroffenen selbst liegen und nicht an den Behörden.
Schon jetzt ist es also möglich, Ausreiseverpflichtete unter bestimmten Bedingungen 18 Monate lang in Sicherungshaft zu nehmen. Zugleich gibt es von Flüchtlingsorganisationen wie ProAsyl viel Kritik an den Haftbedingungen in den Abschiebegefängnissen.
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Eine Ausweitung wäre daher wohl in mehrfacher Hinsicht schwierig und würde effektiv nichts daran ändern, dass die Zahl der vollzogenen Abschiebungen zwar in diesem Jahr um etwa 30 Prozent gestiegen, aber immer noch niedrig ist.
Und wie gesagt: Im Fall des mutmaßlichen Attentäters von Solingen scheiterte die Abschiebung offenbar daran, dass er im Juni 2023 bei seiner damaligen Meldeadresse, einer Flüchtlingsunterkunft in Paderborn, nicht angetroffen wurde. Zu klären ist daher nun, warum kein neuer Versuch unternommen wurde, nachdem er wieder auftauchte.
Zwar läuft die Überstellungsfrist nach sechs Monaten ab. Sie kann aber auf 18 Monate verlängert werden, wenn der Betroffene untergetaucht ist. Laut Informationen des „Spiegel“ kam es nicht zur Abschiebung, weil der Tatverdächtige als unauffällig galt und nicht genügend Abschiebehaftplätze vorhanden waren. Auch hier würde eine verlängerte Abschiebehaft wohl nichts bringen.
Abschiebungen nach Syrien und Afghanistan
Schwerstkriminelle und terroristische Gefährder sollen rasch abgeschoben werden – „auch, wenn sie aus Syrien und Afghanistan stammen“: Das sagte Kanzler Olaf Scholz schon nach einer tödlichen Messerattacke in Mannheim vor drei Monaten.
Das Vorhaben rückt unter dem Eindruck des jüngsten Messerangriffs nun wieder in den Fokus, obwohl der tatverdächtige Syrer nach aktuellem Kenntnisstand nicht in diese Kategorie fällt: Er hätte nach europäischem Asylrecht nach Bulgarien überstellt werden müssen, zumal er wohl erst in Deutschland straffällig wurde. Trotzdem bekräftigte der Kanzler bei einem Besuch in Solingen nun sein Vorhaben, konsequenter abzuschieben.
An der schwierigen Ausgangslage hat sich mit Blick auf Syrien und Afghanistan jedoch nichts geändert. Rückführungen nach Afghanistan sind seit August 2021 ausgesetzt, seinerzeit als Reaktion auf die Machtübernahme der Taliban. Auch nach Syrien, wo Diktator Assad seit 2011 einen Krieg gegen seine Bürger führt, wird nicht abgeschoben. Das Auswärtige Amt verwies erneut darauf, dass keine diplomatischen Beziehungen mit beiden Ländern bestünden und etwa in Syrien überall gekämpft werde.
Dennoch will Bundesinnenministerin Nancy Faseser (SPD) weiterhin auf Abschiebe-Abkommen mit den beiden Ländern setzen. Die Ministerin sei der Überzeugung, dass es Mittel und Wege gebe, dies zu ermöglichen, sagte eine Sprecherin ihres Hauses. Verhandlungen mit unterschiedlichen Staaten seien im Gange. Gemeinsam mit den Ländern arbeite man intensiv daran, „Abschiebungen gerade von Gefährdern und Gewalttätern nach Afghanistan und Syrien“ wieder durchsetzen zu können.
Nach raschen Ergebnissen klingt das nicht. Außerdem hatte die SPD-Politikerin schon Ende Juli angekündigt, in vertraulichen Verhandlungen mit anderen Staaten zu sein, damit Syrer und Afghanen über Nachbarländer in ihre Heimat abgeschoben werden können. Die Gespräche gestalten sich offenkundig schwierig.
Stärkere Grenzkontrollen
Immer wieder wurden in den vergangenen Monaten verschärfte Kontrollen an den deutschen Grenzen gefordert, um irreguläre Migration zu verringern. Nach dem Anschlag von Solingen bekräftigt Alexander Throm, innenpolitischer Sprecher der Unionsfraktion, diese Forderung. Er spricht sich für die Wiedereinführung von Kontrollen an allen deutschen Landesgrenzen aus.
In den vergangenen Monaten hatte Innenministerin Faeser die Grenzkontrollen an deutschen Grenzen bereits ausgeweitet. Eigentlich waren diese innerhalb der EU abgeschafft worden, sodass sich Personen im sogenannten Schengen-Raum frei bewegen können – davon kann es allerdings Ausnahmen geben, wenn etwa die öffentliche Ordnung ernsthaft bedroht ist.
So gibt es an der deutsch-österreichischen Grenze seit dem Flüchtlingssommer 2015 vorübergehende stationäre Kontrollen, die seither immer wieder verlängert worden sind. Im vergangenen Oktober dann führte Faeser, nach langem Zögern, solche Kontrollen auch an den Grenzen zu Polen, Tschechien und der Schweiz ein, als Reaktion auf stark gestiegene Flüchtlingszahlen.
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Mit einigem Erfolg, so zumindest die Bilanz der Innenministerin im April: „Bei unseren Grenzkontrollen haben wir seit Oktober 708 Schleuser festgenommen und 17.600 unerlaubte Einreisen verhindert.“ Als dann während der Fußball-Europameisterschaft an allen deutschen Grenzen kontrolliert wurde – also auch zu Frankreich, Dänemark und den Niederlanden – forderten nicht nur die Opposition, sondern auch Politiker der Ampelparteien, diese Maßnahme auch über das Sportereignis hinaus zu verlängern.
Auf dem Papier geht das eigentlich nicht so einfach: Für jede neue Verlängerung der Kontrollen um sechs Monate muss die Bundesregierung eine ernsthafte Bedrohung nachweisen, welche die Maßnahme rechtfertigt. In der Praxis jedoch schaue die EU-Kommission nicht so genau hin, aus politischen Gründen, sagte der Rechtswissenschaftler Walther Michl von der Universität der Bundeswehr in München dem „Spiegel“. „Als neue Bedrohung wird akzeptiert, wenn zwischen Drogenschmuggel, Menschenhandel und sogar weltpolitischen Großlagen wie der Situation im Nahen Osten einfach abgewechselt wird.“ Eigentlich könnte die Kommission dem Juristen zufolge ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland einleiten.
In jedem Fall steht fest: Würde vorübergehend wieder an allen deutschen Landesgrenzen kontrolliert werden, wäre das personalaufwendig. Innenministerin Faeser sprach bereits während der EM von einem „riesigen Kraftakt“. Ähnliches gilt für die Forderung von CSU-Chef Markus Söder, dass flächendeckend eine Grenzpolizei zusätzlich zur Bundespolizei vorgehalten werden solle, wie es in Bayern schon Praxis ist.