Im US-Wahljahr steht viel auf dem Spiel. Für Donald Trump, die Vereinigten Staaten und die ganze Welt. Nun entscheiden zwölf ganz normale Leute über das Schicksal des einst mächtigsten Mannes.
Donald Trump wurde in New York geboren und eroberte seine Heimatstadt als Immobilienmagnat. Er zog die Strippen in seinem weitläufigen Unternehmensgeflecht, prägte nach seinem Sensationssieg bei der Präsidentschaftswahl 2016 die US-Politik und kontrolliert die republikanische Partei bis heute. Trump gibt den Ton an – eigentlich immer. Nur nicht hier: Im Gericht in Manhattan, in dem sein Schicksal nun in den Händen von zwölf ganz normalen New Yorkern liegt. Die Geschworenen sollen urteilen, ob der Präsidentschaftsbewerber ein Verbrecher ist. Verpflichtet sind sie nur ihrem Gewissen.
Der Prozess mit dem juristischen Titel „Die Menschen des Staates New York gegen Donald J. Trump“ markiert ein Novum in der Geschichte der Vereinigten Staaten. Niemals zuvor wurde ein ehemaliger US-Präsident in einem Strafprozess angeklagt. Trump soll die Zahlung von 130.000 Dollar Schweigegeld an die Pornodarstellerin Stormy Daniels verschleiert haben, um seine Chancen auf einen Sieg bei der Präsidentenwahl 2016 zu wahren. Der heute 77 Jahre alte Republikaner, der im November erneut ins Weiße Haus einziehen will, bestreitet dies.
Seit Mitte April herrscht rund um das Gerichtsgebäude in Downtown Manhattan absoluter Ausnahmezustand. Die Straßen sind weiträumig abgesperrt, wenn Trump aus seinem Hochhaus an der 5th Avenue mit einer Fahrzeugkolonne anrückt. Für einen Platz im Gericht steht so mancher schon mitten in der Nacht an. Demonstranten brüllen Slogans entweder für oder gegen den 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten.
Falls die Geschworenen sich nun einigen können und ihn schuldig sprechen, droht Trump sogar eine Haftstrafe. Zwar könnte er selbst dann noch bei der bevorstehenden Wahl antreten und ein zweites Mal ins Duell mit dem demokratischen Amtsinhaber Joe Biden gehen. Das Urteil dürfte den Wahlkampf in den USA aber in jedem Fall begleiten. Trump äußerte immer wieder Zweifel, dass er in New York eine neutrale Jury bekommen könnte – wohlwissend, dass im liberalen Manhattan bei der Wahl 2020 nur gut 12 Prozent für ihn stimmten.
Den Prozess begleiteten US-Medien in den vergangenen sechs Wochen wie ein sportliches Großereignis. Sechs Highlights:
Das „System Trump“: Wie Berichte unterdrückt werden sollten
Im Zentrum des Falls steht ein Treffen dreier Männer, das von der Staatsanwaltschaft als „Verschwörung“ oder „Komplott“ wie in einem Mafiafilm beschrieben wurde. Im Jahr 2015 trafen sich den Aussagen zufolge Trump, sein damaliger persönlicher Anwalt Michael Cohen und der ehemalige Herausgeber des Boulevardblattes „National Enquirer“, David Pecker, im New Yorker Trump Tower. Der Publizist soll sich bei dem Gespräch bereiterklärt haben, dem Präsidentschaftsbewerber beim Aufspüren unvorteilhafter Geschichten über ihn zu helfen – mit dem Ziel, sie niemals ans Licht der Öffentlichkeit gelangen zu lassen.
In der Folge kaufte der „National Enquirer“ nach Aussage Peckers tatsächlich die Rechte an mehreren Geschichten, die das Blatt letztlich nie veröffentlichte. Für die Vertraulichkeitsvereinbarung mit Stormy Daniels aber bezahlte Cohen selbst, wie Zeugen und Unterlagen bestätigen sollen. Vieles hängt davon ab, ob die Geschworenen überzeugt davon sind, dass die Zahlung an Daniels tatsächlich das Ziel hatte, Trumps Wahlchancen zu verbessern – und nicht etwa seine Ehe zu retten.
Glaubt die Jury einem „Serienlügner“?
Keine Staatsanwaltschaft der Welt dürfte über einen Kronzeugen wie Cohen glücklich sein. Doch der ehemalige Vertraute und rechtliche „Ausputzer“ Trumps ist trotz seiner langen Historie an öffentlich breitgetretenen Unwahrheiten der Einzige, der den Ex-Präsidenten mit den beanstandeten Zahlungen in Verbindung bringen kann. Der Prozess steht und fällt also damit, ob die Jury dem mehrfach überführten „Serienlügner“ (O-Ton „New York Times“) glaubt.
Die Schweigegeldzahlungen an Daniels beschäftigen die US-Justiz schon seit Jahren. Cohen wurde in diesem Zusammenhang bereits 2018 schuldig gesprochen und saß unter anderem wegen Falschaussage eine Haftstrafe ab. Damals war Trump noch Präsident und wurde von der Staatsanwaltschaft nicht strafrechtlich verfolgt.
Nun geriet Cohens Kreuzverhör durch Trump-Anwalt Blanche teilweise zum konfrontativen Schlagabtausch. „Sie haben mich auf Tiktok einen weinenden kleinen Mistkerl genannt, kurz bevor dieser Prozess begann?“, fragte Blanche. „Klingt nach etwas, das ich sagen würde“, entgegnete Cohen. Die Anklage wiederum setzte alles daran, die Aussagen des 57-jährigen Kronzeugen so weit wie möglich mit Dokumenten, Schecks, Telefondaten oder andere Zeugenaussagen zu stützen.
Kurzes Intermezzo ohne Kondom
Während des Prozesses wären einige Dinge „besser ungesagt“ geblieben, kommentierte Richter Juan Merchan nach der Daniels‘ Aussage zerknirscht. Zuvor hatte die 45-jährige Pornodarstellerin äußerst detailliert geschildert, wie Trump sich bei einem Golfturnier 2006 an sie herangemacht habe. Der spätere Geschlechtsverkehr in Trumps Suite sei dann ein kurzes Intermezzo gewesen, sie habe es über sich ergehen lassen. Trump habe kein Kondom benutzt.
Warum sie den Multimillionär nicht abblitzen ließ, nicht klar Nein gesagt habe? „Weil ich überhaupt nichts gesagt habe“, so schilderte es Daniels – doch den Sex habe sie eigentlich nicht gewollt. Danach habe sie so gezittert, dass sie Probleme gehabt habe, sich wieder anzuziehen. Die Verteidigung scheiterte mit einem Antrag, der darauf abzielte, den Prozess wegen der Aussagen zum Platzen zu bringen.
Gericht als Wahlkampfbühne
An jedem Sitzungstag verwandelte Trump den düsteren Gang vor Raum 1530 zu einer kleinen Wahlkampfbühne, auf der er den Prozess kameratauglich als politisch motivierte Farce bezeichnete. Was sich aber auch zeigte: Trump kann sich zusammenreißen, wenn er will. Im Falle wiederholter Kommentare über Prozessbeteiligte hätte ihm Gefängnis gedroht. Er ließ es bleiben.
Zudem verwandelte Trump den Prozess in einen Loyalitätstest für seine republikanische Gefolgschaft. Neben dem Sprecher des Repräsentantenhauses, Mike Johnson, und populistischen Abgeordneten wie Matt Gaetz kamen auch Bewerber für das Amt des Vize-Präsidenten wie Senator J.D. Vance und Geschäftsmann Vivek Ramaswamy angereist.
Wenn selbst der Richter die Fassung verliert
Merchan gilt als „no nonsense“-Richter, der sich nichts gefallen lässt. Das durfte auch Robert Costello erfahren, der von der Verteidigung als Entlastungszeuge aufgerufen wurde. Der einstige Rechtsberater Cohens kommentierte einen stattgegebenen Einspruch der Anklage vernehmlich mit „Jeesh“ – übersetzbar etwa mit einem abfälligen „Oh mein Gott“. Merchan ließ die Geschworenen in der Folge aus dem Saal bringen und wies Costello zurecht. Als dieser den Richter dann fortwährend finster und mit rotem Gesicht fixierte, platzte es aus Merchan hörbar verärgert heraus: „Starren Sie mich nieder?“ Den Saal ließ er daraufhin vorübergehend räumen.
Die Eine, die fehlt
Es verwundert nicht, dass Trumps Frau Melania einem Prozess fernblieb, in dem es zu einem guten Teil um die angeblichen außerehelichen Affären ihres Mannes geht. Von ihr gab es – wie auch von Tochter Ivanka – während der gesamten Dauer des Verfahrens kaum ein Lebenszeichen. Und erst recht keine offene Unterstützung. Zu ihrem 54-jährigen Geburtstag gratulierte Trump Melania vor den Kameras im Gericht. Die Schulabschlussfeier des gemeinsamen Sohnes Barron besuchte das Paar zusammen. Melania trug dabei einen Hut mit breiter Krempe, der ihre Augen die meiste Zeit verdeckte.