Ihre Kopfkissen sind für die Rentner Michael und Debbie Campell ein Stück Zuhause auf Reisen. Ihre Heimat Seattle haben sie gegen die Welt eingetauscht. Warum sie das Reisen jung hält.
Zwei Senioren, die in ihren Schaukelstühlen auf der Veranda sitzen, Kreuzworträtsel ausfüllen – so das typische Klischee eines amerikanischen Rentners. Doch Debbie und Michael Campbell beweisen, dass es nie zu spät im Leben ist, um in ein Abenteuer aufzubrechen. Statt ihren Ruhestand in ihrer Heimatstadt Seattle in den USA zu verbringen, haben die beiden ihre Autos und ihr Haus verkauft. Haben ein paar Lieblingsstücke eingelagert. Und behalten, was in zwei große Koffer passt. Sie reisen seit über zehn Jahren um die Welt – als Seniornomaden, wie sie sich selbst bezeichnen.
Bei 94 Ländern auf der Weltkarte können Michael und Debbie Campell eine Stecknadel einpiksen. Und 320 Airbnbs ihr Zuhause nennen. Doch auf eine Sache können sie nie verzichten: ihre eigenen Kopfkissen. Ihr Heimatland, die USA, sei teuer. Auf Reisen zu sein, lohne sich auch finanziell. „Wir lieben Seattle und haben Kinder und Enkelkinder dort. Aber ich denke, dass das Reisen unseren Körper sehr aktiv und fit hält“, erzählt Debbie im Gespärch mit dem stern. Apps auf dem Smartphone, Künstliche Intelligenz in der Reiseplanung – sie hätten immer Schritt gehalten. Sie lernen ihr Leben lang. „Wir hoffen, dass wir so unser Gehirn trainieren und es uns vor Demenz schützt.“
Als Rentner auf Reisen: Im Ruhestand in der Welt zu Hause
Michael und Debbie waren schon immer neugierig. „In der Schule haben wir die Geographie und Geschichte vieler Länder in einem Buch studiert. Durch unsere Langzeitreise können wir es mit eigenen Augen sehen und die Länder besuchen. Es ist also wie ein Puzzle, das plötzlich zusammenpass“,, beschreibt es Michael. Und die Reisen von Debbie und Michael Campell darf man sich nicht wie einen Städtetrip voller Sightseeing vorstellen, der in ein Wochenende gequetscht wird. Die beiden reisen langsam, bleiben zwei, drei Monate in Italien, fahren dann mit dem Bus weiter nach Spanien oder Österreich. Leben nur in Ferienwohnungen. Gehen an manchen Tagen einfach nur eine Runde spazieren oder in ein Café. Man kann sagen, sie genießen das Leben in den vielen Ländern dieser Welt.
„Es ist wirklich gut zu reisen, weil man versteht, dass die Menschen, egal ob man in Turkmenistan, Ruanda, Japan oder in Amerika ist, freundlich sind und das Gleiche für ihre Familie wollen“, sagt Debbie. Und das Leben unterwegs bereichert: „Wir lieben es, unsere Welt zu erweitern. Wenn du aber in Rente bist und zu Hause bleibst, schrumpft deine Welt. Du siehst im Alltag weniger Leute und triffst dich mit den Freunden, die noch leben“, erzählt Michael.
Michael und Debbie Campbell reisen schon seit über zehn Jahren – und fahren viele Strecken mit dem Zug. Von ihren Reisen berichten sie auf ihrem Blog
© Michael und Debbie Campbell
Einen Wermutstropfen hat das Reisen für Debbie und Michael Campbell – es gibt Freunde und Verwandte, die sie nicht so oft sehen. Würden sie in Seattle leben, wäre das anders. Dafür hängen die beiden in jeder Ferienunterkunft Bilder von ihren Liebsten an den Kühlschrank. Nervig finden Michael und Debbie unterwegs eigentlich nur, dass die immer das schwere Gepäck haben, es immer einen Umzugstag gibt und ihnen so manche Fernbedienung schon ein Rätsel aufgegeben hat. Aber Debbie konnte in über 300 Küchen kochen. Die beiden Senioren sehen in ihrer Langzeitreise eigentlich nur Vorteile, Nachteile gibt es aus ihrer Sicht nicht wirklich.
Fit bleiben als Seniornomade
Debbie und Michael glauben, dass sie mit 68 und 78 Jahren nur so fit sind, weil sie ihr festes Heim gegen die ganze Welt eingetauscht haben. Sie laufen viel, nutzen Bus und Bahn. Und wenn einmal etwas ist, vertrauen die beiden auf die Ärzte und Ärztinnen vor Ort. Zum Beispiel letzten Oktober in Indien. Dort war Michael wegen einer Bronchitis im Krankenhaus. Und Debbie war in Tunesien in der Notaufnahme. Sie seien in beiden Ländern sehr gut versorgt worden. Auf Reisen haben die beiden gemerkt, dass medizinische Behandlungen in anderen Ländern als den USA viel günstiger sind.
Vorstellen, sich an einem Ort niederzulassen, können sich Debbie und Michael Campbell auch nach über zehn Jahren unterwegs noch nicht. Doch einen Kompromiss haben sie geschlossen: Sie haben für eine Weile ein Haus in ihrer Heimatstadt Seattle gemietet und sind dort noch bis September in der Nähe ihres zweijährigen Enkelsohns. Danach brechen sie auf nach Europa, um in einige Lieblingsländer wie Italien zurückzukehren. Nach den Feiertagen verbringen sie den Winter in Mexiko, genauer San Miguel de Allende. Dort überwintern viele Amerikaner und Kanadier, sie werden von den Einheimischen Gringos genannt, erzählt Michael. Die Künstlerstadt hat es den beiden angetan. Wieder ein Ort, an dem sie in die Geschichte eintauchen können.