Während der Eiszeit in Europa verschwanden Wälder und Graslandschaften, und auch viele der dort lebenden Steinzeitmenschen. Was mit ihnen passiert ist, haben Forscher nun rekonstruiert.
Während der letzten Eiszeit vor etwa 45.000 Jahren wanderten die ersten anatomisch modernen Menschen von Afrika und dem Nahen Osten nach Europa ein. Damit begann dort die Ära der Jungsteinzeit. Auch wenn es zunächst nur kleine Gruppen von Menschen waren, besiedelten sie nahezu den gesamten europäischen Kontinent, selbst während des sogenannten „Glazialen Maximums“ vor etwa 25.000 Jahren, als Gletscher einen Großteil Nord- und Mitteleuropas bedeckten. Ammoniten 13.53
Doch welchen Einfluss hatten diese dramatischen Klimaveränderungen und die damit einhergehenden neuen Umweltbedingungen auf die demografische Entwicklung der damaligen Jäger und Sammler? Aus dieser Zeit existieren nur sehr wenige verfügbare Fossilien, und die darin enthaltene DNA ist oft schlecht erhalten. Daher sei es sehr schwer, aus dem Genom Rückschlüsse auf Migration, Bevölkerungswachstum, -rückgang und -aussterben zu ziehen, sagt Hannes Rathmann vom Senckenberg Centre for Human Evolution and Palaeoenvironment an der Universität Tübingen.
Zahndaten zur Erforschung der genetischen Beziehungen unter Eiszeit-Menschen
Drei menschliche Schädel aus der Hohlenstein-Stadel-Höhle in Süddeutschland, datiert auf etwa 8.500 Jahre vor heute. Wahrscheinlich handelt es sich um eine Familie: ein Mann (links), eine Frau (rechts) und ein Kind (mittig)
© Osteologische Sammlung, Universität Tübingen
Rathmann wählte daher mit einem Forschungsteam aus Italien, den USA und Deutschland eine alternative Methode: Anstelle der nur spärlichen DNA von Individuen aus dieser Zeit untersuchten sie deren Zähne. Zähne sind das härteste Gewebe im menschlichen Körper und werden daher besonders häufig bei Ausgrabungen gefunden. Dinosaurier im Boden 9:02
Insgesamt sammelten die Forscher Zahndaten von 450 prähistorischen Menschen aus ganz Europa. Die ältesten Funde sind 47.000 Jahre alt. Die jüngsten gehören zu Menschen, die vor etwa 7000 Jahren lebten. Die Forscher konzentrierten sich auf morphologische Zahnmerkmale, kleine Varianten innerhalb des Gebisses, wie die Anzahl und Form der sogenannten Kronenhöcker, Kamm- und Rillenmuster auf der Kaufläche oder das Vorhandensein oder Fehlen von Weisheitszähnen. „Diese Merkmale sind vererbbar, was bedeutet, dass wir sie nutzen können, um genetische Beziehungen unter den Eiszeit-Menschen zu verfolgen“, erklärt Rathmann.
Steinzeitmenschen: Zähne verraten die Verwandtschaftsverhältnisse
Und da sie mit bloßem Auge beobachtet werden können, begutachtete das Team zusätzlich hunderte veröffentlichte Fotos von Fossilien. „Die Untersuchung historischer Fotografien auf Zahnmerkmale war besonders spannend, da sie es uns ermöglichte, wichtige Fossilien einzubeziehen, die leider nicht mehr existieren, wie solche, die im Zweiten Weltkrieg verloren gingen oder zerstört wurden“, sagt Rathmann.
Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass die Populationen in West- und Osteuropa vor etwa 47.000 und auch noch vor etwa 28.000 Jahren gut vernetzt waren. „Diese Erkenntnis stimmt mit unserem bisherigen Wissen aus archäologischen Studien überein, die weit verbreitete Ähnlichkeiten bei Steinwerkzeugen, Jagdwaffen oder auch tragbarer Kunst aus den verschiedenen Regionen identifizierten“, erklärt Ko-Autorin Judith Beier von der Universität Tübingen.
Die Zeit der Großwildjäger
Während dieser Zeit war Europa größtenteils durch offene Steppenlandschaften geprägt, die große Herden von Säugetieren – die Hauptnahrungsquelle der Jäger und Sammler – ernähren konnten. Diese Bedingungen begünstigten wahrscheinlich eine Vernetzung der Populationen.
PAID Eiszeitkunst Interview 15.58
In der nachfolgenden Periode, die vor etwa 14.700 Jahren endete, fanden die Forscher und Forscherinnen dagegen keine genetischen Verbindungen zwischen West- und Osteuropa. Zudem zeigen die Analysen, dass sich in beiden Regionen die Populationen deutlich verkleinerten, was zu einem Verlust der genetischen Vielfalt führte. Auslöser dafür waren vermutlich massive Klimaveränderungen: Die Temperaturen fielen in diesem Zeitabschnitt auf die niedrigsten Werte während der gesamten Jungsteinzeit, zugleich erreichten die europäischen Eisschilde ihre maximale Ausdehnung und bedeckten den größten Teil Nord- und Mitteleuropas.
„Das sich verschlechternde Klima verursachte eine Verschiebung der Vegetation von einer Steppen- zu einer überwiegend Tundrenlandschaft, was die Lebensräume der Beutetiere und folglich der von ihnen abhängigen Jäger und Sammler beeinflusste“, erklärt Rathmann. Die Ergebnisse unterstützten die Theorie, dass Populationen nicht nur durch vorrückende Eisschilde nach Süden getrieben wurden, sondern auch in weitgehend isolierte Refugien mit günstigeren Umweltbedingungen aufgeteilt wurden, ergänzt Judith Beier.
Auf dem Höhepunkt der Eiszeit starben in Westeuropa sogar ganze Populationen aus. Erst als die Temperaturen wieder stetig anstiegen und sich die Gletscher zurückzogen und die Steppen- sowie Waldvegetation zurückgekehrt waren, gelang es Menschen, zuvor verlassener Gebiete wieder zu besiedeln. Die zuvor isolierten und stark reduzierten Populationen in West- und Osteuropa wuchsen wieder stark an und vermischten sich wieder miteinander.
„Unsere Studie liefert wichtige Einblicke in die demografische Geschichte der Eiszeit-Europäer und hebt die tiefgreifenden Auswirkungen von Klima- und Umweltveränderungen auf das Leben prähistorischer Menschen hervor. Wir sollten dringend aus unserer Vergangenheit lernen, wenn wir den komplexen Umweltproblemen der Zukunft begegnen möchten“, schließt Rathmann.