Das ist ungewöhnlich: In der Presse findet sich kaum Kritik an Nagelsmanns 27-köpfigem EM-Kader. Es überwiegt Lob für die ausgewogene Auswahl – sowie Verständnis für die Ausbootung von Hummels und Goretzka. Besonders herausgehoben wird Toni Kroos.
Mit „hohem Energielevel“ und komplett bereit für ein neues Sommermärchen verkündete Julian Nagelsmann am Donnerstag seinen Plan für die Heim-EM. Nach fast vier Tagen Social-Media-Feuerwerk mit bereits 18 zugesagten EM-Tickets reichte der Bundestrainer noch neun Tickets nach und erläuterte engagiert, emotional, aber auch einfühlsam, warum für Mats Hummels und Leon Goretzka als „total enttäuschte“ Routiniers kein Platz sei.
Gleichzeitig schürte Nagelsmann 29 Tage vor dem wegweisenden Eröffnungsspiel gegen Schottland am 14. Juni hohe Erwartungen. „Wir versuchen, den Titel zu gewinnen, das kann ich euch versprechen; dafür werden wir alles tun.“ Doch wie kommt die „Super-Truppe“, wie Nagelsmann sein Aufgebot nennt, in der Presse an?
Ein Blick in die Zeitungsspalten der Republik.
Viel Lob für Nagelsmanns EM-Kader
„Schwäbische Zeitung„: „Als ausgewiesener Taktikexperte versteht es Julian Nagelsmann, den einen oder anderen Gegner auf dem Fußballplatz zu überrumpeln. Bei der Nominierung seines Kaders für die Heim-EM blieb der Überraschungseffekt hingegen aus(…), weil Nagelsmann konsequenterweise bei seiner Ankündigung blieb, jenen Spielern das Vertrauen für das so wichtige Heim-Turnier zu schenken, die bei den jüngsten Länderspiel-Erfolgen gegen Frankreich und die Niederlande nach Jahren der Tristesse endlich wieder Euphorie rund um die Nationalelf entfacht haben. Eine weise Entscheidung.“
„Kicker“: „Für Goretzka und noch mehr für den zuletzt in beeindruckender Form verteidigenden Hummels mag sich diese Ausmusterung bitter und – wenn man allein das Leistungskriterium zur Hand nimmt – auch ungerecht anfühlen. Aber Nagelsmanns Argument, dass diese beiden – in ihrem Selbstverständnis – Platzhirsche sich mit der zugedachten Rolle als Herausforderer und Ergänzungsspieler schwertun könnten, ist nicht von der Hand zu weisen. (…) Diese Zuführung an jungen, hungrigen und unbelasteten Kräften hatte die über die Jahre zunehmend gefrustete und verunsicherte Nationalmannschaft bitter nötig.“
„Süddeutsche Zeitung“ (München): „Nagelsmann hat bei der Nominierung seines ersten Turnierkaders gezeigt, dass er kontroverse Entscheidungen nicht scheut, im Gegenteil. Trotzdem liegt es in der Natur der Sache, dass Trainer nach besonderen Entscheidungen auch besonders in die Verantwortung genommen werden. Sollte im Laufe eines langen Turniers ein Abwehrspieler einen Fehler machen oder verletzt ausfallen, kann man sich die Debatten jetzt schon ausmalen. Dann ist Nagelsmann nicht mehr der Bundestrainer der harten Entscheidungen, sondern der, der sich davor scheute, starke Charaktere zu moderieren. Das ist ein Risiko. Aber Nagelsmann hat in seiner gar nicht mal so kurzen Trainerkarriere gezeigt, dass er wenig weniger scheut als das Risiko.“
EM-Kader: Diese Spieler sind bereits nominiert 22.22
Entscheidend am Kader ist die Rückkehr von Toni Kroos
„Frankfurter Allgemeine Zeitung“: „Die Rückkehr von Toni Kroos, so viel kann man jetzt schon sagen, hat das Nationalteam in seinem Innersten verändert. Er ist die Figur, die der ganzen Mannschaft einen neuen Bezugs- und Bedeutungsrahmen verliehen hat, die Rolle, von der aus alle anderen sich (neu) ableiten. Das gilt konkret für die Offensive, wo Wirtz, Musiala und andere nun befreit von der Last der Verantwortung aufspielen können, es strahlt indirekt aber auch ab in alle anderen Bereiche, weil Nagelsmann insgesamt mehr Freiheit verspürte, auf die Zukunft zu setzen. Kroos könnte sich somit als der große Glücksfall für den Bundestrainer erweisen, wobei man hinzufügen muss, dass er in dieser Form vielleicht auch nur möglich war, weil erst unter Hansi Flick, dann unter Nagelsmann selbst jede Gewissheit, jede Struktur verloren gegangen war.“
„Neue Osnabrücker Zeitung“: „So ergibt sich ein spannender Kader, bei dem der Hunger auf Erfolg groß ist: Bei den Alteingesessenen, weil sie – mit Neuer, Kroos und Thomas Müller als Ausnahmen – bei großen Turnieren noch nie etwas gerissen und damit etwas zu beweisen haben sowie bei den Neuen, weil sie zeigen wollen, dass sie bereit sind, für Deutschland zu spielen. Das ist eine gute Mischung, vor allem mit einem Trainer, für den irgendwie beides gilt. (…) Der 36-Jährige muss zeigen, dass er für die große Bühne geeignet ist. Mit der Kader-Auswahl hat er bislang vieles richtig gemacht: Er hat Mut bewiesen und gleichzeitig für den DFB überraschend logische, zukunftsgerichtete Entscheidungen getroffen.“