Der Sänger der Band „Prinzen“, Sebastian Krumbiegel, wirbt derzeit für die Demokratie und die SPD in Sachsen. Ein Gespräch über die Wut im Osten, Gender-Sprache und Lieder, die er nicht mehr singt.
Ein Nachmittag im sächsischen Zwickau. Im alten Gasometer, das jetzt ein Veranstaltungsort ist, macht der „Prinzen“-Sänger Sebastian Krumbiegel einen Soundcheck. Zwei Stunden später wird er auf der Bühne zwei seiner Solo-Lieder singen und dann mit rund 80 Menschen im Saal über Meinungsfreiheit diskutieren, organisiert von der Schrifststellervereinigung „PEN Berlin“.
Seit Tagen reist Krumbiegel quer durch Sachsen und Thüringen, um kurz vor den Landtagswahlen für die Demokratie zu werben. Was treibt ihn an? Für das Interview mit dem stern nimmt sich Krumbiegel Zeit.
Er spricht schnell und viel, man muss die Fragen wie kleine Bojen in seinen Redefluss werfen. Er hält sich nur kurz daran fest, umkreist sie und lässt sich vom nächsten Gedankenstrom weiter treiben. Dabei ringt er um die Worte, sie sind ihm wichtig. Er will Menschen erreichen, nicht vor den Kopf stoßen.
Sie sind in diesen Tagen unterwegs in Sachsen und Thüringen, um mit den Menschen über Demokratie und Meinungsfreiheit zu diskutieren. Darf man in unserem Land noch alles sagen?
Prinzipiell ja, solange man nicht gegen Gesetze verstößt oder andere Menschen herabwürdigt. Aber ich kann die Unsicherheit verstehen. Ich weiß auch manchmal nicht: Sage ich jetzt „People of Colour“ oder „Schwarze“, „Farbige“ oder „Dunkelhäutige“? Das mag stressig sein und manchmal wird es vielleicht auch übertrieben. Aber ich möchte niemanden beleidigen. Meine Mutter ist 82 und sagt mir „Ich habe mein Leben lang ‚Mohrenkopf‘ gesagt und möchte das auch weiter sagen.“ Ich habe ihr geantwortet: „Ich verstehe, dass du dich gemaßregelt fühlst. Aber wenn du genau weißt, dass du damit andere Leute beleidigst, dann sag doch einfach Schaumkuss.“ Das tut nicht weh. Das ist kein Sprechverbot, das ist Respekt und Rücksicht.
In Ihrem ersten kleinen Hit 1987 „Der schönste Junge aus der DDR„, damals noch mit Ihrer Band „Herzbuben“, heißt es: „Und alle Mädchen werden blass/und nicht nur um die Augen nass“. Könnte man heute nicht mehr singen, oder?
Ich singe das Lied nach wie vor. Aber ich sage vorher, dass da jetzt eine Strophe kommt, die ich heute nicht mehr so texten würde. Der Humor ist pennälerhaft, aber nicht beleidigend, sonst würde ich es heute nicht mehr singen.
Gibt es Lieder, die Sie nicht mehr singen?
Ja, eines von den Prinzen von 1998 mit dem Titel „Mein Hund ist schwul“. Wir haben damals mit Ressentiments gespielt. Das war null homophob gemeint. In den letzten Jahren bin ich dann aber mehrfach darauf angesprochen worden, dass das bei dem einen oder anderen so ankommt. Wir haben dann heftig in der Band diskutiert, waren und sind diesbezüglich nicht einer Meinung, weil es eben auch das Argument gab, dass es doch niemals homophob gemeint war und wir uns doch unseren Humor nicht verbieten lassen sollen. Aber schlussendlich singen wir es heute nicht mehr. Wir haben genug andere Lieder.
„Beim Gendern bin ich hin- und hergerissen“
Wie es ist mit dem Gendern?
Ich bin da hin- und hergerissen. Niemand kommt in Deutschland ins Gefängnis, wenn er nicht gendert. Aber es gibt Szenen, da wirst du sofort angekreischt, wenn du nicht genderst. In anderen Szenen wirst du gemieden, wenn du es tust. Ich verstehe beide Seiten. Aber wir sollten ruhig alle miteinander mehr aushalten.
Muss man als Linker Positionen der AfD aushalten? Und umgekehrt?
Grundsätzlich sollte man andere Positionen aushalten. Aber die AfD sorgt dafür, dass die Grenzen des Sagbaren verschoben werden. Jetzt brüstet sich selbst Olaf Scholz damit, dass er „massiv abschieben“ will, von Friedrich Merz und seinen Sprüchen über „kleine Paschas“ ganz zu schweigen. Das finde ich bedenklich. Das ist Populismus light und ein billiger Versuch, Wählerstimmen zu fischen.
Man sollte mit den Menschen Gemeinsamkeiten suchen, haben Sie einmal gesagt: „Außer es sind Mistfinken.“ Wann ist jemand aus Ihrer Sicht ein „Mistfink“?
Die Formulierung habe ich mir von Helge Schneider abgeguckt. Die Grenze ist da, wo es justiziabel wird. Wenn jemand den Holocaust leugnet, dann rede ich nicht mehr mit ihm. Eine andere Grenze ist für mich Antisemitismus.
„Beim Antisemitismus ist die linke Szene stumm“
Der ist gerade im Zuge des Gaza-Krieges nicht nur bei Islamisten und Rechtsradikalen stark verbreitet, sondern auch in Teilen der linken Szene.
Was im Gazastreifen gerade passiert, ist gruselig. Es muss möglich sein, die Politik der israelischen Regierung zu kritisieren. Völlig inakzeptabel ist aber, wenn das als Vorwand für Antisemitismus genutzt wird. Das gilt insbesondere für uns in Deutschland. Aber ich muss feststellen: Gerade beim Thema Antisemitismus ist die linke Szene fürchterlich stumm. Was am 7. Oktober 2023 passiert ist, ist an Brutalität und Menschenfeindlichkeit nicht zu überbieten. Dass das im medialen linken Diskurs um diesen fürchterlichen Krieg kaum eine Rolle gespielt hat, kann ich nicht verstehen. Die Band „Antilopen Gang“ hat ein ganz großartiges Lied darüber gemacht, „Oktober in Europa“. Da heißt es in einer Zeile: „Ich wollte gern zur Antifa-Demo gegen Judenhass/Aber gab keine in Berlin/Gute Nacht.“ Das trifft es. Wenn „From the river to the sea“-Rufe links sind, dann bin ich nicht links.
Mit Blick auf den Ukraine-Krieg vertreten Sie eine eher „linke“ Position, lehnen Waffenlieferungen ab.
Das ist nicht ganz richtig, ich bin da gerade total am Zweifeln. Am Anfang fand ich es falsch, Waffen an die Ukraine zu liefern und die Bundeswehr aufzurüsten. Aber inzwischen verstehe ich, dass in Kiew gerade auch unsere Freiheit verteidigt wird, anders als damals in Afghanistan, wo ich das nur einen Spruch fand. Das Putin-Verstehertum von einigen Friedensbewegten geht mir auf den Keks. Deshalb habe ich auch den Löwenherz-Friedenspreis von der Organisation Human Projects abgelehnt. Einige der Mitglieder der Organisation haben Kreml-Narrative unzerstützt. Das hilft dem Frieden nicht.
Sebastian Krumbiegel: „Ich weiß oft nicht, was richtig ist“
Aber Sie singen in Ihrem Lied „Krieg“: „Nie im Leben zieh ich mir eine Uniform an“.
Ja, bitte zum Mitschreiben: Ich widerspreche mir und das permanent. Weil ich oft auch nicht weiß, was richtig ist. Ich kann dieses Lied doch keiner Frau vorsingen, deren Mann im Krieg für die Freiheit der Ukraine kämpft. Wissen Sie, was meine Frau zu mir gesagt hat, als sie das Lied zum ersten Mal hörte? „Und die Drecksarbeit lässt du die anderen machen.“ Sie hat recht. Das Leben ist kompliziert.
Sie sind kein SPD-Mitglied, unterstützen die Partei aber in Sachsen in ihrem Landtagswahlkampf. Warum?
Ich bin zwar in der DDR groß geworden, aber mein Vater war Willy-Brandt-Fan. Ich bin also quasi SPD-sozialisiert. Zur Zeit mache ich aber ein richtiges Parteien-Hopping. Ich habe in Berlin Bettina Jarasch von den Grünen unterstützt, mache jetzt für die SPD Wahlkampf, habe mich auch schon mal für eine Linke ausgesprochen und sogar bei einer Stichwahl zwischen einem CDU-Kandidaten und einem von der AfD dazu aufgerufen, den CDU-Politiker zu wählen. Am Ende sind das alles Demokraten. Ich frage mich ja selbst, ob das richtig ist, oder ob es nach außen vielleicht beliebig wirkt, komme aber immer wieder zu dem Schluss, dass es darum geht, die Demokratie zu verteidigen gegen ihre Feinde.
Bei den drei Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg im September könnte die AfD stärkste Kraft werden. Sie engagieren sich schon seit Jahren für Demokratie und gegen Rassismus, insbesondere im Osten. Kommt man sich da nicht manchmal wie Sisyphos vor?
Da muss ich nochmal die „Antilopen Gang“ zitieren: „Wenn sich die Mehrheit faschisiert, muss du Minderheit sein.“ Das unterschreibe ich. Wenn der ehemalige Lehrer Björn Höcke Inklusion an Schulen abschaffen will, ist das gruselig. Das wäre der Startschuss in eine fatale Richtung, denn sowas hatten wir schon mal. Die Unterscheidung von wertem und unwertem Lebens ist unmenschlich und unsolidarisch, da sollten unser aller Alarmsirenen angehen, da müssen wir wirklich den Anfängen wehren. Dagegen werde ich immer kämpfen
Warum verfangen die Parolen der Rechtspopulisten trotzdem immer mehr?
Ich glaube, das hat verschiedene Gründe. Die AfD ist sehr gut aufgestellt, was die eigene Vermarktung betrifft, zum Beispiel auf Tiktok. Propaganda haben Nazis immer schon gut gekonnt. Joseph Goebbels war ein Profi: Er hat die Reichskulturkammer gegründet, hat den Volksempfänger erfunden. Die perfekte Inszenierung der AfD trifft auf Abstiegsängste in der Bevölkerung und zwar nicht nur bei den Armen, sondern auch bei der Mittelschicht. Der dritte Grund ist, dass die Regierenden – sowohl die Groko früher als auch jetzt die Ampel – viele Fehler machen und oft kopflos und überfordert wirken.
Inwiefern überfordert?
Na ja, die Ampelparteien haben die Wahl gewonnen und waren plötzlich, zack, mit dem Ukraine-Krieg konfrontiert. Was machst du da als pazifistische Partei wie die Grünen? Ich finde es einen Fehler, wenn Annalena Baerbock von „Kriegsmüdigkeit“ spricht oder wenn Boris Pistorius fordert, dass wir „kriegstüchtig“ werden müssen. Das finde ich ein falsches Wording. Wir müssen „verteidigungsbereit“ werden. Mit Worten geht doch alles los. Sie bestimmen, was später passiert.
„Das war ein Fehler von mir“
Sie selbst haben einmal einen Riesen-Shitstorm erlebt, weil Sie in einem Interview nach der Kölner Silvesternacht, in der es vor dem Dom zu zahlreichen Übergriffen auf Frauen durch Migranten kam, gesagt haben: „Wenn viele betrunkene junge Männer zusammenkommen, können schlimme Dinge passieren“. Bereuen Sie diese Worte?
Das war ein Fehler von mir. Ich hätte als erstes sagen müssen: „Das ist schrecklich, was da passiert ist.“ Aber ich wurde am Rande einer Anti-Nazi-Demo befragt und außerdem war noch nicht so richtig klar, was da in Köln eigentlich passiert war. Fakt ist: Es gibt überall Mistfinken. Die können Mohammed oder Ali, aber auch Torsten oder Sebastian heißen. Was Rechte dann damals aus meiner Bemerkung gemacht haben, war natürlich unterirdisch. Bis heute kursieren in den sozialen Netzwerken Bilder von mir mit dem Zusatz „Sebastian Krumbiegel, Vergewaltigungs-Befürworter“.
Nun hat ein Mohammed, der übers Mittelmeer gekommen ist, aber eine ganz andere Sozialisierungserfahrung als ein Sebastian, der im behüteten Thomanerchor Bach gesungen hat. Glauben Sie, dass das keine Rolle spielt?
Natürlich. Ich bin selbst einmal nach Mali gereist um den Weg der Boat-People zu dokumentieren und habe dort in einem Dorf erlebt, wie die jungen Männer ausgewählt werden. Da sagt dann der Dorfälteste: „Du bist jung und der Kräftigste. Du musst nach Europa, damit wir hier unseren Brunnen bauen können.“ Und wenn man dann sagt „Das ist aber wahnsinnig gefährlich“, dann heißt es „Allah wird uns schon helfen“. Und klar, diese unterschiedlichen Hintergründe führen auch teilweise zu Konflikten. Die muss man benennen. Und sich trotzdem denen entgegenstellen, die das für rassistische Inhalte missbrauchen. Wir sollten nicht die einen gegen die anderen ausspielen.
„Das überfordert viele massiv“
Einer der größten Irrtümer von uns Westdeutschen war, dass wir glaubten, unser System mit seiner Freiheit würde nur auf Begeisterung im Osten treffen. Stattdessen erleben wir eine wachsende Demokratieverdrossenheit. Warum?
Das hat viel mit der sozialen Lage zu tun. Ein Beispiel: Der Anteil an der Erbschaftssteuer in Deutschland liegt im Osten bei zwei Prozent. Im Osten wird praktisch nichts vererbt. Die Immobilien im Leipzig sind zu 13 Prozent im Besitz von Leipziger:innen, der Rest gehört Westdeutschen. Das lässt sich durch alle Bereiche deklinieren. Die Zahl der Ostdeutschen in Vorständen etwa. Die Siegermentalität der Bundesrepublik war nicht gut. Dazu kommt, dass Demokratie anstrengend ist und kein Selbstläufer. Das haben viele im Osten sicher unterschätzt. Und drittens hat sich auch die Welt im allgemeinen extrem verändert. Völlig unabhängig von Ost- und Westdeutschland haben wir alle mit vielen Krisen zu tun: die Finanzkrise, der Klimawandel, all die Kriege weltweit und damit einhergehend die Flucht vieler Menschen aus diesen Krisengebieten. Das überfordert viele Menschen massiv, all das generiert Ängste, vor allem im Osten, weil dort die Leute andere Erwartungen hatten, die nun enttäuscht werden.
Lassen sich diese Wunden noch heilen?
Dafür brauchen wir eine ehrliche ernsthafte Aufarbeitung. Bücher wie „Ungleich vereint“ vom Soziologen Steffen Mau sind ein guter Anfang. Ich habe auch nicht auf alles Antworten. Aber was ich weiß: Wir müssen aufhören, so zu tun, als ob das ein „Ossi-Problem“ sei, und darüber reden.
Was treibt Sie an bei Ihrem gesellschaftspolitischen Engagement? Ist das auch ein bisschen schlechtes Gewissen, weil Sie sich am 9. Oktober 1989 in Leipzig nicht zur großen Demo gegen das Regime trauten, wie Sie in Ihrer Biografie schreiben?
Nein. Ich war am Montag zuvor bei der Demo gewesen und hatte gesehen, mit welcher Brutalität die Polizei die Menschen zusammenknüppelte. Ich erzähle das oft bei meinen Auftritten im Westen, um den Leuten klarzumachen: Die Montagsdemos damals waren alles andere als ein Spaziergang. Da waren mutige Menschen auf der Straße. Ich war es am 9. Oktober nicht. Aber meine Motivation ist eine andere.
„Ich weiß nicht, was ich damals getan hätte – aber was ich jetzt tue“
Und zwar welche?
Als ich 15 war, hat mir meine Großmutter erzählt, dass sie in der Reichspogromnacht am 9. November in Leipzig gesehen hat, wie jüdische Geschäfte geplündert und angesteckt und jüdische Menschen verhaftet wurden. Sie hat damals nichts unternommen und sagte mir unter Tränen: „Ich schäme mich, dass ich wie viele andere weggeguckt habe.“ Das hat mich echt angeknipst. Ich weiß nicht, was ich damals getan hätte. Aber ich weiß, was ich heute mache.