Gerhard Schröder rettete einst den Baukonzern Holzmann, Olaf Scholz eilt jetzt der Meyer-Werft zur Hilfe. Es geht um Jobs. Und darum, dem ewigen Koalitionsstreit Taten entgegenzusetzen.
Die Parallele ist unübersehbar. Gerhard Schröder war einst massiv in den Umfragen abgestürzt. Kurz vor einem SPD-Parteitag, der dem Kanzler ein Scherbengericht hätte bereiten können, rettete Schröder 1999 den taumelnden Baukonzern Holzmann, Tausende Arbeitsplätze – und seinen eigenen. „Holzmann saniert Schröder“, titelte die „taz“.
Olaf Scholz hängt knapp 25 Jahre später demoskopisch noch dramatischer in den Seilen. Sollte die SPD bei den bevorstehenden Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen womöglich erstmals aus einem Landtag fliegen, droht dem Kanzler eine intensive Debatte über seine Zukunft, die SPD und was beides miteinander noch zu tun haben soll. Nun reist Scholz am heutigen Donnerstag nach Papenburg, um die Rettung der angeschlagenen Meyer-Werft in Aussicht zu stellen.
Macht Olaf jetzt den Gerd?
Schröder hatte im November 1999 einen Deal mit den Gläubigern des maroden Baukonzerns verhandelt, darunter die wichtigsten deutschen Banken. Vereinbart wurde ein millionenschweres Hilfspaket. Der Bund gewährte einen Kredit über 150 Millionen sowie eine Bürgschaft über 100 Millionen Mark. Damit konnte sich Schröder als Retter von 17.000 Arbeitsplätzen in Deutschland feiern lassen.
Jubel, Freudentränen und „Gerhard, Gerhard“-Rufe
Am Abend des 24. November verkündete Schröder das Ergebnis mit den Worten: „Liebe Freunde, wir haben es geschafft!“ Im Frankfurter Bankenviertel, einem Herzstück des deutschen Kapitalismus, wurde Schröder mit „Gerhard, Gerhard“-Rufen gefeiert. Freudentränen der Holzmann-Arbeiter wässerten später die Fernsehberichte.
Bei Scholz geht es heute immerhin um mehr als 3000 Arbeitsplätze. Und anders als beim Baukonzern Holzmann, der wenige Jahre später doch pleite ging, hat die Meyer-Werft realistische Aussichten auf eine gute wirtschaftliche Zukunft. Denn die Auftragsbücher für die nächsten Jahre sind voll, was fehlt, ist eine Art Zwischenfinanzierung.
Laut Norddeutschem Rundfunk sollen der Bund und das Land Niedersachsen nicht nur mit jeweils rund 900 Millionen Euro bürgen, sondern auch mit 80 bis 90 Prozent die Mehrheitsanteile an der Werft übernehmen. Für einen bis 2027 befristeten Zeitraum würde die Meyer Werft damit zu einem Staatskonzern. Später soll dann die Familie Meyer ihre Anteile zurückkaufen können.
Scholz wird schon vom Temperament her nicht in der Lage sein, sich als Arbeiterführer zu inszenieren, wie es einst Schröder tat. An jenem kalten Novemberabend rief der Kanzler der Holzmann-Belegschaft zu, dass schließlich bald Weihnachten sei. Er wolle dafür sorgen, dass die Arbeiter „etwas unter dem Weihnachtsbaum haben“. Von einem „genial-derben Volkstheater“ schrieb seinerzeit die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“.
Scholz will für eine zupackende Industriepolitik stehen
Bei Scholz dürften ein kurz- und ein langfristiges Motiv eine Rolle dafür spielen, dass er persönlich ins Emsland fliegt und auch an der Pressekonferenz mit Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (ebenfalls SPD) teilnimmt. Zum einen weiß der Kanzler, dass er dem fortwährenden Gestreite in der Berliner Koalition und der dazugehörigen Berichterstattung nur mit konkreten Taten entgegenwirken kann. Schon in den vergangenen Tagen hatte er wiederholt darauf hingewiesen, dass der Pulverdampf auf dem Schlachtfeld (O-Ton-Kanzler) die Sicht auf die konkreten Ergebnisse der Regierungsarbeit mindere.
Zum anderen passt die Rettung der Meyer-Werft in das Bild, das Scholz grundsätzlich von seiner Wirtschaftspolitik zeichnen möchte: ein zupackender Kanzler, der gerade in der Industriepolitik nicht nur redet, sondern handelt. Erst vor wenigen Tagen reiste Scholz zum ersten Spatenstich für ein neues Werk des Halbleiter-Herstellers TSMC nach Dresden. Fünf Milliarden Euro Subventionen erhält der taiwanesische Konzern aus der Kasse des Bundes. Scholz rechtfertigte das mit der notwendigen sicheren Versorgung deutscher Unternehmen mit Halbleitern und der Förderung gut bezahlter und sicherer Arbeitsplätze. Nur die Rückbesinnung auf klassische sozialdemokratische Themen kann den Vertrauensverlust des Kanzlers noch stoppen: Industrie, Arbeitsplätze, Zukunftsperspektive.
Nach der Rettung des Holzmann-Konzerns gab es seinerzeit auch skeptische Stimmen. Sogar Schröders eigener Wirtschaftsminister Werner Müller warnte vor einem Präzedenzfall. Der Staat könne „nicht generell der Reparaturbetrieb für angeschlagene Firmen sein“. Tatsächlich aber erlagen auch trotz der späteren Holzmann-Pleite verschiedene Bundesregierungen immer wieder mal der Versuchung. Als gelungene Beispiele gelten Lufthansa und die Commerzbank. Opel und vor allem Karstadt hingegen als gescheitert.
Was Robert Habeck heute wohl zur Rettung der Meyer-Werft zu sagen hat? Auch ist noch nicht bekannt, woher Finanzminister Christian Lindner eigentlich das Geld für die Rettung nehmen wird. Es wird sich noch zeigen müssen, ob Scholz‘ Koalitionspartner dem Kanzler den Auftritt als Arbeiterführer nicht auch wieder vermasseln.