Die Ozeane sind so warm wie nie zuvor. Diese Energie könnte sich im Herbst in heftigen Unwettern entladen. In Deutschland steigt damit das Risiko für Orkane und Hochwasser.
Dass die Lufttemperatur auf der Erde durch den menschengemachten Klimawandel einen Rekord nach dem anderen aufstellt, ist hinlänglich bekannt. Die Erwärmung der Meere schreitet deutlich langsamer voran – zumindest bis zum vergangenen Jahr. 2023 registrierten Institute weltweit Rekorde in nie geahnten Höhen. Das gilt besonders auch für den Nordatlantik.
Meere sind für die Entwicklung des Wetters einer der wichtigsten Einflussfaktoren, denn sie stellen gigantische Energiespeicher dar. Im Vergleich zur Luft ist die Wärmekapazität des Wassers, also die Fähigkeit, Energie zu speichern, gut viermal so groß. Soll Wasser um einen Grad erwärmt werden, braucht es also viermal so viel Energie, welche dann aber auch in vierfacher Stärke abgegeben werden kann.
Es brauchte folglich einige Jahre der voranschreitenden Klimakrise, um die Meere derart aufzuheizen. Wir erleben eine Kaskade: Die aktuellen marinen Hitzerekorde wären ohne die Wärme des vergangenen Jahres nicht möglich gewesen. Gleichzeitig wurde und wird das warme Oberflächenwasser immer mehr bis in tiefere Schichten durchmischt. Das Energie-Reservoir wächst.
Steigende Unwettergefahr in Europa durch wärmere Meere
Gefährlich wird es, wenn sich die Energie schwallartig entlädt. Dieses Risiko ist besonders dann groß, wenn sich im Herbst die kalten Luftmassen gen Süden voran arbeiten und auf das im Schnitt noch gut 24 Grad warme Wasser treffen (Mittel von 1982 bis 2011). Selbst im Oktober sind es im Monatsmittel noch rund 22 Grad. Die vergangenen Jahre erhöhten diesen Kontrast: Rund 26 Grad im September und nahe 25 im Oktober. Diese wachsenden Gegensätze können massive Unwetterlagen auslösen.
STERN PAID 35_24 Hitzeprotokolle
Das Meer heizt die Atmosphäre von unten auf und befeuchtet sie gleichzeitig durch die mit der Temperatur steigenden Verdampfung. Die höheren Atmosphärenschichten bleiben kalt. Das löst eine intensive Dynamik aus, denn sowohl wärmere als auch feuchtere Luftmassen sind leichter als kühlere und trockenere Luft. Das Aufsteigen lässt gewaltige, wasserreiche Gewittertürme mit Starkregen, Sturmböen und nicht selten auch Tornados entstehen. Verläuft der Jetstream fernab des Mittelmeers, können sich die Unwetter zu Gewittertiefs organisieren. Ähnlich der Entstehung von Hurrikans können sich diese Tiefs zu heftigen Stürmen, sogenannten Medicanes, weiterentwickeln.
Dass diese Entwicklungen nicht nur bloße Theorie sind, zeigte unter anderem das vergangene Jahr. Am westlichen Mittelmeer gab es ein heftiges Sturmtief, welches von Frankreich bis Algerien alle Anrainer auf einmal in Atem hielt. Der Medicane Daniel setzte neue Maßstäbe mit mehr als 1000 Litern Regen in kürzester Zeit in Griechenland und tödlichen Fluten. Wenig später sorgte der gleiche Sturm für eine historische Flutkatastrophe in Libyen.
Kritische Ausgangslage mit noch unklarer Modelllage
Dass Deutschland vor Kurzem einen neuen Regenrekord für die zwölf nassesten Monate in Folge aufgestellt hat, steht auch mit den wärmeren Meeren in Verbindung. Die Feuchtigkeit des Mittelmeers sorgt ebenso in Deutschland für ein erhöhtes Starkregenrisiko. Gleichzeitig spielt der zu warme Atlantik in unserem Westwind-Wetter eine entscheidende Rolle. Das Dauerhochwasser des vergangenen Winters in weiten Teilen Norddeutschlands entstand durch die Kombination aus feuchterer Atlantikluft und – mal wieder – eingefahrenen Wetterlagen.
Wann es wo genau zu welchem Extremwetter kommt, ist noch fraglich. Grundsätzlich wächst die Gefahr im Laufe des Septembers und hat ihren Höhepunkt von Oktober bis November. Eine erste Abschätzung für dieses Jahr liefern die experimentellen Langfristmodelle. Dabei sieht die amerikanische NOAA tatsächlich im Monatsmittel kühlere Luft von Nordwest- bis Südwesteuropa und dementsprechend nasse Zeiten am Mittelmeer, allerdings auch bis zu uns nach Deutschland. Das Europäische EFFIS-Modell zeigt in den letzten Berechnungen ähnliche Tendenzen.
Für Deutschland könnte dieses Szenario durchaus gefährlich werden. Sogenannte Vb-Tiefs nehmen am Mittelmeer viel Feuchtigkeit auf und ziehen dann über Österreich und Ungarn in Richtung Tschechien und Polen. Dabei regnet es dort – aber auch bei uns – an den Alpen sowie in den östlichen Mittelgebirgen extrem viel. Bekannteste Beispiele sind die Jahrhundertflut an Elbe und Oder 2002 oder die Jahrtausendflut an der Donau 2013.
Klima und Flugzeugtechnik 10.12
Gefahr von heftigen Orkanen und Hochwasser in Deutschland
Der Blick weiter hinein in den Herbst zeigt in den Langfristmodellen – mit aller Vorsicht – eher eine Stabilisierung am Mittelmeer. Dagegen wird es wohl in Mittel- und Nordeuropa sehr unruhig und nass durch die sehr feuchte Luft vom Atlantik. Es sollte uns in Deutschland nicht überraschen, wenn der kommende Winter ähnlich verläuft wie der vergangene. Gleichzeitig sind heftige Orkanlagen möglich. Auch am Atlantik und in Nord- und Ostsee gilt die Regel: Je mehr Energie im System steckt, desto kräftiger werden die Stürme.
Was das bedeutet, haben wir im vergangenen Jahr an der Ostsee gesehen. Ein Tief intensivierte sich über dem warmen Wasser plötzlich so stark, dass es in Teilen Schleswig-Holsteins ein Rekord-Sturmhochwasser mit erheblichen Schäden gab. Von den Britischen Inseln bis nach Skandinavien zog ein Orkan nach dem anderen durch. Höhepunkt waren die Orkane „Dagmar“ und „Ingunn“, welche mit Rekord-Windgeschwindigkeiten von mehr als 200 Kilometern pro Stunde selbst in Norwegen ungewöhnlich heftige Schäden anrichteten. Behalten die Berechnungen der Langfristmodelle recht, steht Ähnliches im kommenden Winter zu befürchten.
Man muss auch als Experte mittlerweile oft tief durchatmen, wenn man sieht, welche Kapriolen das Wetter auf der Welt schlägt. Und wenn man mit diesem vorausschauenden Blick vor den nächsten Gefahren warnt. Die Rechnung ist ganz einfach: Drehe ich die Herdplatte immer weiter auf, brennt mir das Essen an. Schraube ich die Wärme in der Luft und in den Meeren immer weiter nach oben, wird es auch beim Klima immer brenzliger. Mehr Energie führt zu heftigeren Entladungen.
20: Mehr als 800 Brände wüten in Kanada – db701684a9984bc7
Diese vergleichsweise simplen physikalischen Berechnungen haben Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen schon vor vielen Jahrzehnten durchgeführt. Sie haben vor den Entwicklungen gewarnt, die heute messbare Realität sind. Schreitet der menschengemachte Klimawandel weiter voran, werden die Auswirkungen um ein Vielfaches schlimmer. Denn viele physikalische Energieprozesse sind nicht linear, sondern exponentiell und mit Kipppunkten versehen. Passen wir uns gleichzeitig weiterhin viel zu langsam an den Klimawandel und dessen Folgen an, schlagen die kommenden Unwetter mit voller Wucht zu und werden zu neuen, größeren Katastrophen.
Dieser Artikel erschien zuerst bei ntv.de.