Die Leute, die auf Sylt „Ausländer raus“ gegrölt haben, stehen seit Tagen im Shitstorm, haben ihre Jobs verloren. Verdient oder nicht? Unsere Autoren sind unterschiedlicher Meinung.
Pro: Warum die Sylt-Gröler eine zweite Chance verdient haben
Als Studentin, Anfang der 1990er Jahre, berichtete ich für eine Lokalzeitung über Schützenfeste. Dort wurde Ähnliches gegrölt wie jetzt auf Sylt. Handys mit eingebauten Kameras gab es noch nicht. Das Gegröle war mir keine Zeile wert, fast jedes Mal hätte ich über solche Ausfälle schreiben können.
Die Zeiten haben sich geändert. Solche Ausfälle werden gefilmt und finden den Weg übers Netz in die Weltöffentlichkeit. Niemand kann sich so etwas mehr erlauben. Das hat Vorteile, aber auch Nachteile. Der Gegenwind bläst den „Champagner-Nazis“, wie es auf dem aktuellen stern-Titel heißt, nun eiskalt ins Gesicht. Ihre Namen, ihre Gesichter sind nun in aller Welt bekannt. Sie haben ihre Jobs verloren, ihr Ruf ist ruiniert. Vermutlich werden sie bedroht. Alles, weil sie im betrunkenen Zustand in ekelhafter Form die Sau rausgelassen haben. Klar, Champagner ist keine Entschuldigung für das Grölen von Nazi-Parolen. Dafür gibt es überhaupt keine Entschuldigung.
Trotzdem sind diese Leute nun genug gestraft. Diese Nacht auf Sylt wird sie ein Leben lang begleiten. Die Hochschule, an der die Frau studiert, die mitgerölt hat, hat ihr gerade ein zweimonatiges Hausverbot erteilt. Geht’s noch? Fraglich, ob das rechtlich haltbar ist. Klug ist es nicht. Dass an der Uni Rassismus kein Platz hat, ist selbstverständlich. Der Lehrkörper sollte versuchen, mit der Studentin zu reden anstatt ihr jetzt die Tür zu weisen.
Die Gröler von Sylt haben eine zweite Chance verdient. Denn, so steht es schon in der Bibel: „Wer von euch noch nie eine Sünde begangen hat, soll den ersten Stein auf sie werfen.“ Und auch das Strafrecht hat die Resozialisierung zum Ziel. Wer keine zweite Chance bekommt, wird in die Ecke gedrängt. Und zwar in die falsche. Daher müssen sie zurück in unsere Mitte.
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Man wünscht den „Sylt-Schnöseln“ („Bild“), dass sie den Pranger des öffentlichen Shitstorms als Chance begreifen, mal über sich und ihr privilegiertes Leben nachzudenken. Über jene, die nicht mit dem Silberlöffel im Mund zur Welt gekommen sind. Die Geldstrafe, die sie womöglich erwartet, werden sie locker bezahlen können. Auch neue Jobs werden sie finden. Vielleicht sollten sie mal in einem Behindertenwohnheim aushelfen. Hilfsbedürftige Menschen füttern oder ihnen den Po abwischen. Sich wirklich nützlich machen – im Stillen, ohne Handykameras. Und was übers echte Leben lernen. Daher: Trotz allem: alles Gute!
Kerstin Herrnkind
Pro: Warum die Sylt-Gröler jetzt nicht auch noch Verständnis brauchen
Deutschland den Deutschen, Ausländer raus! Hoch mit dem Arm zum Hitlergruß! Finger an die Oberlippe, beim Barte des Führers!
Das ist weder witzig, noch macht es gute Laune. Trotzdem feierten einige Dutzend Menschen am Sonntag im „Pony“-Club auf Sylt Pfingsten, die Sonne, und den Luxus, am nächsten Tag ausschlafen zu können. Und weil es so schön war, teilte man die Sause per Partyvideo in den sozialen Netzwerken. Aber nicht nur in Kampen steppte der Braunbär, auch in anderen Städten Deutschlands wurde zum Song „L’Amour toujours“ am Wochenende rassistische Texte gesungen. Ist ja alles nicht strafbar.
Nun hat es einige der Menschen, die man auf dem Video feiern sieht, trotzdem getroffen. Sie werden in den sozialen Medien verurteilt, mindestens zwei Personen wurden entlassen – eine arbeitete selbst in den sozialen Medien: für eine Influencerin mit Migrationsgeschichte.
Euer Sylter Albtraum ist mein Alltag 1625
Ist das alles fair? Sollte hier nicht die Unschuldsvermutung gelten, bis genau geklärt ist, wer was gesagt hat? Das Problem: Die Gäste solcher Partys ziehen sich mit ihren Parolen in einen Raum zurück, wo das schwierig bis unmöglich ist: Der Chor „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus!“ ist nicht zu überhören, aber wenn sich einige empören, will es niemand gewesen sein.
Oder ist es eine Dummheit, die leider nur allzu menschlich ist? Diese Menschen könnten wissen, dass rassistische und rechte Straftaten und Sprüche zuletzt dramatisch zugenommen haben. Und auch, was die Verbreitung solcher Menschenverachtung im Netz anrichten kann. Wer hier mitmacht, muss mit Blessuren rechnen. Selbst schuld: Das gehört zum Berufsrisiko, wenn man mit Begeisterung das Arschloch spielt.
Oliver vom Hofe