Editorial: Warum der Hype um Kamala Harris der Demokratie neues Leben einhauchen kann

Gregor Peter Schmitz wirft einen Blick ins neue Heft und darauf, was der Hype um Kamala Harris in den USA auslöst – oder auslösen kann.

Barack Obama war im Jahr 2008 ein US-Senator aus Illinois, er konnte nur wenige Jahre im Amt vorweisen, davor war er als Sozialarbeiter in Chicago tätig. Gewiss, er hatte ein erfolgreiches Buch geschrieben, er galt als guter Redner. Aber Obama war doch ein ziemlich unerfahrener Politiker.

Man muss das so nüchtern hinschreiben, weil Obama im Jahr 2008 so differenziert nicht mehr oft gesehen wurde. Und weil so etwas zu erwähnen, vielen Beobachtern damals fast wie eine Gotteslästerung vorgekommen wäre. Seine Wahl wirkte nicht einfach wie ein Sieg, sie wirkte wie die Erfüllung eines kollektiven Herzenswunsches.

Obama hat seine Rolle als Präsident im Weißen Haus ordentlich ausgefüllt, aber seine Bilanz fällt im Rückblick bestenfalls mittelmäßig aus. Nun entfacht sich ein ähnlicher Hype um Kamala Harris. Sie wird gefeiert wie eine Erlöserin. Die designierte Präsidentschaftskandidatin der Demokraten ist auf einmal cool im Internet, Welt-Popstars wollen für sie singen. Tim Walz, ihr auserkorener Vize, wird als klasse Wahl bejubelt, ein Ex-Lehrer zwar, aber offenbar einer von denen, die man immer haben wollte. Und ist Donald Trump nicht schon mächtig nervös, weswegen er Harris und Walz offen beschimpft?

Natürlich ist dieser Hype um Harris nicht gerechtfertigt. Sie war eine nicht sehr erfolgreiche Senatorin, eine gar nicht erfolgreiche Präsidentschaftskandidatin in den Vorwahlen 2019, eine kaum wahrnehmbare Vizepräsidentin.

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Dennoch ist diese Euphorie demokratisch wertvoll. Der politische Betrieb in den Vereinigten Staaten hat wahnsinnige Schwächen, angefangen beim Einfluss von Geld. Aber er kann auch wahnsinnig begeisternd sein. Diese Begeisterung ist verloren gegangen. Dank Trump, dem es erkennbar nur um sich selbst geht. Auch dank Joe Biden, dem es am Ende bloß um das eigene Denkmal zu gehen schien. Nun wirkt es wenigstens wieder, als gehe es um etwas. Lassen wir dies viele Amerikaner wenigstens kurz feiern – und feiern wir ruhig mit. Ernüchtert können wir noch früh genug sein. 

Wer weg will vom Lärm der Welt, ist bei Jonathan Franzen bestens aufgehoben. Der Star-Schriftsteller wohnt in Santa Cruz, nicht fern von San Francisco, von seiner Terrasse blickt er ins Weite. „Ein Großteil meines Lebens ist der Versuch, alles, was auf mich zukommt, leiser zu stellen“, sagte Franzen meiner Kollegin Viorica Engelhardt und mir im stern-Gespräch. Doch dem Mann, der Amerika in seinen Romanen so genau vermisst, gelingt das natürlich nicht immer. Daher erzählte er uns auch, wie er Joe Biden kurzzeitig „gehasst“ habe, dass er über ei-nen Schlaganfall bei Trump nicht restlos unglücklich wäre. Gleichzeitig stellte sich heraus: Der Mann, der Millionen Bücher verkauft hat, hat seit Monaten keine Zeile geschrieben. „Ich bin schon im Ruhestand. Der neue Roman entwickelt sich nicht. Seit April habe ich nur noch E-Mails geschrieben.“ Franzen liest viel, er schaut Vögel an, sein großes Hobby. Wir wären gern mit ihm auf der Terrasse sitzen geblieben. 

Vor einem Jahr erregte eine Recherche von stern und RTL News zu den widrigen Arbeitsbedingungen im Tesla-Werk in Brandenburg großes Aufsehen. Politisch ist seither kaum etwas passiert. Aber was am Markt passiert, müsste den Marktwirtschaftler Elon Musk schon interessieren. Er wird mit seinen kontroversen politischen Äußerungen offenbar zum Geschäftsrisiko. Den Plan eines deutschen Unternehmens, deshalb keine Autos der Marke Tesla mehr zu kaufen, findet laut einer Forsa-Umfrage für den stern fast die Hälfte der Bundesbürger richtig.