Es begann mit einer Abmahnung durch Hamburger Lebensmittelkontrolleure. Fünfeinhalb Jahre lang kämpfte Lemonaid für das Recht, seine Getränke Limonade nennen zu dürfen. Nun hat sich das Unternehmen durchgesetzt.
Limonade muss künftig keine Mindestmenge an Zucker (oder Süßstoff) mehr enthalten. Das entschied die Deutsche Lebensmittelbuch-Kommission (DLMBK). Damit endet ein fünfeinhalb Jahre währender Kleinkrieg des Hamburger Getränkeherstellers Lemonaid gegen die deutschen Kennzeichnungsregeln für Lebensmittel.
Es ist ein kleiner Absatz in den alten Leitsätzen für Erfrischungsgetränke, der Lemonaid-Gründer Paul Bethke das Leben schwer machte. Darin ist festgelegt: Limonaden „weisen einen Gesamtzuckergehalt von mindestens 7 Gewichtsprozent auf“. Er könne bei Diätlimos „teilweise oder ganz durch Süßstoffe ersetzt“ werden. Aber weniger süß, das geht nicht.
Limonaden-Leitsatz: 5,5 bis 6,8 Prozent Zucker sind zu wenig
Als Paul Bethke und Felix Langguth vor fünfzehn Jahren Lemonaid gründeten, wollten sie eine besondere Limonade auf den Markt bringen, sich unterscheiden: weniger Zucker, aber keine Süßstoffe; gute Zutaten in Bioqualität – und möglichst aus fairem Handel. Außerdem sollte ein Teil des Erlöses an gute Zwecke gehen. Am Ende enthielten die neu komponierten Getränke der Sorten Maracuja, Limette oder Blutorange 5,5 bis 6,8 Prozent Zucker. Das ist ungefähr so viel wie in Saftschorlen und viel weniger als in traditionellen Limonaden.
Das ging eine Weile gut. Am 26. September 2018 aber traf ein Schreiben vom Fachamt für Verbraucherschutz des Bezirkes Hamburg-Mitte ein. Darin bemängelte das Amt den niedrigen Zuckergehalt der Lemonaid-Limonade Limette von sechs Prozent: „Sofern die Rezeptur der Probe unverändert bleibt“, sei „die Bezeichnung als ‚Limonade‘ nicht möglich“. Für Paul Bethke, so erzählt er heute dem stern, war das ein Schock: „Ich bin im Traum nicht darauf gekommen, dass es eine Mindestregelung für Zucker gibt.“
Öffentliche Anteilnahme hemmt Verbot
Zunächst habe man versucht, das mit dem Amt zu regeln. Dann wandte sich Lemonaid Anfang 2019 an den stern. Die Aufmerksamkeit führte dazu, dass die damalige Hamburger Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD) das Fachamt anwies, die Limonade nicht weiter zu beanstanden. Auch mahnte die Senatorin eine Änderung der Regel an.
Doch eineinhalb Jahre später beanstandete das nächste Verbraucherschutzamt eine Lemonaid-Limo – diesmal das in Bonn. Nun eskalierten Bethke und Langguth das Problem bis zum Bundesernährungsministerium, stellten sogar ein Abbild der Ministerin Julia Klöckner (CDU) aus Zucker vors Ministerium. Das war schwierig für Klöckner, denn schon länger führte das Ernährungsministerium Kampagnen gegen den hohen Zuckerkonsum der Deutschen.
Nicht die Politik steht im Weg, sondern eine Lebensmittelkommission
Die eigentliche Hürde für Lemonaid war aber nicht die Politik, es war eine Kommission: die Deutsche Lebensmittelbuchkommission (DLMBK). Sie analysiert den Markt und legt dann fest, wie bestimmte Lebensmittel wie Säfte, Fleischsalat oder Leberwurst beschaffen sein müssen. Die durchaus lobenswerte Idee ist es, den Verbraucher so vor Irreführung zu schützen. Verbraucherfalle Tara – Schon wieder die Verpackung mitgezahlt? 19:48
Die Kommission hatte einst festgestellt, dass eine Limonade in Deutschland nun mal stets mehr als 7 Prozent Zucker enthielt, der gegebenenfalls durch Süßstoff ersetzt, aber eben nicht einfach unterschritten wird. In der Kommission sitzen in etwa zu gleichen Teilen Verbraucherschützer, Wissenschaftler, Lebensmittelkontrolleure und Wirtschaftsvertreter.
Lemonaid will kein „Erfrischungsgetränk“ sein
Lemonaid hätte das Problem von Anfang an umgehen können, indem es sein Produkt „Erfrischungsgetränk“ genannt hätte. Aber das kam für die Gründer nicht infrage. Denn erstens ist das Wort „Limo“ im Namen „Lemonaid“ verankert, also praktisch in der DNA. Und zweitens nutzt Lemonaid „aus ökologischen Gründen“ keine Etiketten. Alle Angaben werden per Keramikdruck direkt und haltbar auf die Flaschen geschrieben. Man hätte also viele Millionen Flaschen vernichten müssen, „das wäre unser Ende gewesen“, sagt Bethe heute dem stern.
Vor der Lebensmittelbuch-Kommission konnte Lemonaid seine Position dann darlegen. Doch die Verhandlungen laufen nicht gleich wie erhofft. Anfang 2021 kommt ein erster Vorschlag: Es dürften auch Getränke als Limonade deklarieren werden, die weniger als 7 Prozent Zucker enthalten. Aber nur, wenn „der geringere Zuckergehalt hinreichend kenntlich gemacht“ werde. Es ist ein Vorschlag der Traditionalisten im Gremium.
„Achtung – wenig Zucker“
Auch das hätte Lemonaid zum Vernichten von Flaschen gezwungen. Lemonaid wehrt sich mit einer kleinen Guerilla-Marketing-Aktion und hängt Anhänger mit einem Warnhinweis im Zigarettenschachtellook an einen Teil seiner Flaschen: „Achtung – wenig Zucker“.
Dann wird es in der Öffentlichkeit still. Die Debatten im Gremium aber laufen weiter, es gibt Kritik an einer Hinweispflicht für „wenig Zucker“, das käme ja schließlich einer Werbung gleich. Im Mai 2023 wird dann im Fachgremium der Beschluss gefasst, die Zuckergrenze ersatzlos zu streichen. Danach folgen Anhörungen und rechtliche Prüfungen. Verbraucherzentrale Mogelpackung_ 14:47
Die langen Mühlen der Kommission
Die Gremien der DLMBK sind ehrenamtlich besetzt, nur zweimal im Jahr tagt das Plenum. Und es gibt viele Lebensmittel zu klassifizieren und Märkte zu überschauen. Ende des Jahres 2023 schließlich kommt das Plenum der Kommission zusammen – und stimmt zu. Dann sind allerdings noch juristische Prüfung des Bundesernährungsministeriums und das Okay des Wirtschaftsministeriums nötig.
Und so kommt es, dass vergangene Woche „die neuen Leitsätze des Deutschen Lebensmittelbuches“ endlich im Bundesanzeiger veröffentlicht wurden. Diese Woche soll eine Veröffentlichung im Gemeinsamen Ministerialblatt erfolgen. Damit können die alten Leitsätze auch von den Websites des Agrarministeriums und der Lebensmittelbuch-Kommission heruntergenommen werden. Sie sind dann endgültig Geschichte.
Künftig enthält die Leitlinie nur noch einen allgemeinen Satz zum Zucker: „Limonaden erhalten … Zutaten zur Erzielung eines süßen Geschmacks (z. B. Zuckerarten, Süßungsmittel).“
„Wir freuen uns sehr“, sagt Lemonaid-Geschäftsführer Paul Bethke dem stern. Man habe natürlich auf diese Entscheidung gehofft, konnte aber nie sicher sein. „Ist natürlich ein wenig schräg, dass es fünf Jahre gedauert hat.“