„The Bear“ geht in die dritte Staffel. Mit genialen Dialogen, raffinierten Bildern und einem Hauptdarsteller, der alles gibt. Obwohl fast nichts passiert, lohnt es sich zuzuschauen.
Der fucking Sandwichverkauf muss endlich losgehen. Die fucking Hippie-Keramik ist zu teuer. Und ständig sind die fucking Teelöffel alle. Fuck! Genau zweiundsiebzigmal wirft die Belegschaft des Restaurants „The Bear“ sich schon in der zweiten Folge ein gesalzenes „Fuck“ an den Kopf.
Mit der dritten Staffel „The Bear“ auf Disney Plus ist also aller Charme zurück, der die erfolgreiche Serie ausmacht. Koch Carmy (Jeremy Allen White) eröffnet sein blitzblankes Fine-Dining-Restaurant in Chicago. Vom heruntergekommenen Sandwich-Imbiss, den er in den vergangenen Staffeln von seinem Bruder übernommen hatte, ist nichts mehr zu sehen. Die Servietten werden jetzt an der Tischkante ausgerichtet. Seine Freundin hatte Carmy zum Ende der letzten Staffel versehentlich verlassen. Immerhin kann er sich nun ganz auf sein neues Ziel konzentrieren: einen Michelin-Stern.
Es ist fast alles wie immer bei „The Bear“: Die derben Pointen, die brilliant clenanen Schnittbilder von überkochenden Töpfen und perfekt sezierten Fischen. Die rasanten Dialoge, die so authentisch sind, das man glaubt, mittendrin zu sein, verschwitzt auf der Kante einer Edelstahlküche lehnend, mit einer lauwaren Cola in einem Plastikbecher. Es knackt und zischt, brodelt und knallt. Irgendwo piept ständig ein Herd, jemand flucht und brüllt einem „Yes Chef“ ins Gesicht.
Die Vergangenheit holt „The Bear“ auf Disney Plus ein
Die Staffel hat sich viel vorgenommen. Carmys engagiert-getriebener Sidekick Sydney (unterfordert: Ayo Edebiri) beginnt, sich von ihrem Vater abzunabeln. Wir erfahren, wie es die Tina (Liza Colón-Zayas) aus der Armut in die Küche verschlagen hat. Carmys enervierende Schwester Natalie Berzatto (Abby Elliott) ist schwanger und macht sich Sorgen, ihre schwere Kindheit nicht rechtzeitig überwinden zu können.
Vor allem aber geht es ständig um Carmy und sein Trauma. Er wird von Flashbacks aus seiner Zeit als Berufsanfänger unter einem sadistischen Chef (angemessen gruselig: Joel McHale) heimgesucht. Carmys toxische Arbeitserfahrung sickert in die Gegenwart. Er stellt drakonische Regeln auf und treibt sein Team mit einer ständig wechselnden Karte in den Wahnsinn: Ente mit Aprikose oder Kirsche oder Orange – oder doch Kirsche? Als Carmy den toxischen Boss mit den Worten „Ich denk zu oft an dich“ konfrontiert, will man rufen: Ja, genau.
Es geht deutlich düsterer zu als in vergangenen Staffeln. Und so appetitlich wie sonst sieht es auf den Tellern auch nicht mehr aus. Aus dem Gericht „Seven Fishes“, das auf eine Familientradition der cholerischen Mutter zurückgeht, wird nur noch ein Fisch. Denn Carmy erinnert sich, dass ihm sein ehemaliger Boss doch noch eingedrillt hatte: Reduziere! Er wolle schließlich Sterneküche kochen und nicht einen Teller Nachos. Perfekte Gemüsewürfel mit farbloser Brühe und bizarr drapierte Fleischkeulen wirken in manchen Szenen wie eine Parodie auf die gehobene Gastronomie.
Wer braucht schon Plot?
Was ungar bleibt, ist leider: der Plot. Wir lernen wenig Neues über Carmy und sein Team. Wer Carmys vergangenes Trauma schon bei der ersten bedeutungsschwangeren Rückblende verstanden hat, kann die gesamte erste Folge und einen großen Teil der letzten getrost skippen. Und auch sonst warten wir vor allem darauf. Darauf, dass die Wehen einsetzen oder mal ein Gastronomiekritiker vorbeischaut.
Wem das grandiose Ensemble über die letzten Staffeln ans Herz gewachsen ist, der wird aber auch dieses gern sehen. Regisseur Christopher Storer scheint zu wissen, dass er sich auf den Hype um die Serie verlassen kann. Klar, bei vier gewonnene Golden Globes und zehn Prime Time Emmys. In den USA, wo die Serie seit Juni zu sehen ist, wurde bereits jeder Gastauftritt, jede Andeutung und jedes Rezept entgrätet, seziert und kanneliert. Die Rezepte von der Karte des „The Bear“ können allesamt nach Fan-Rezept nachgekocht werden.
Für seine akribische Authentizität wurde „The Bear“ von Anfang an gefeiert. Von den abgehobenen Gerichten („Aiguillette von Hamachi mit einer Blutorangenreduktion“), über die gebrüllten Fachbegriffe bis zu den Plastikbechern soll alles möglichst nah an echten Gastronomie-Küchen sein. In seinen anstrengenden Momenten ist „The Bear“ deshalb voller versteckter Andeutungen für Gastronomen. Als Carmys Team eine Reihe mit Fotos berühmter Gastronomiekritikerinnen aufhängen, sind echte Koryphäen der Branche, wie Naomi Fry vom New Yorker, darunter. Die „Heliumgefüllten Apfelballons“ und die „Caviar-Eiscreme“ haben Restaurants tatsächlich serviert. Sogar der Stift, mit dem Carmy Phrasen und Rezepte kritzelt (ein Pilot G2 Gel Roller Pen) soll ein Hinweis auf das Restaurant „The French Laundry“ sein, eines der renommiertesten der Welt. Drei Michelin Sterne – natürlich.
„The Bear“ zu schauen, ist anstrengend – aber lohnt sich
Diese Ranschmeißereri an die Branche wird leider manchmal peinlich. Der grandiosen Olivia Coleman wird in ihrem Gastauftritt als abgehalfterte Köchin der Satz: „Es ist ein Wunder, dass diese Orte existieren“ in den Mund gelegt. Sie meint damit nicht Pyramiden, sondern: Restaurants. Aus der Arbeit eines Küchenchefs heißt es, dies sei eine „Erfahrung, dass jede einzelne Erfahrung im Leben gleichzeitig geschehen kann in denselben vier Wänden und dann darfst du der Dirigent des Ganzen sein“. Bei aller Bewunderung fürs Handwerk ist das schon arg dick aufgetragen.
Eine Staffel „The Bear“ fühlt sich an wie eine Samstagabendschicht im Restaurant: Man wurde angebrüllt und beleidigt, hat in der Hektik etwas übersehen und ist am Ende zu müde, um noch auf mehr Appetit zu haben als einen Teller Spaghetti. In einem Interview hatte Hauptdarsteller Jeremy Allen White angedeutet, dass Staffel 4 bereits abgedreht sei. Das ist gut zu wissen, denn die letzte Folge von Staffel 3 endet auf einem Cliffhanger. Und mit dem Wort: „Motherfucker!“