Das Bundesverwaltungsgericht setzt das Verbot des Compact-Magazins teilweise aus. Die Innenministerin kassiert eine Klatsche. Rechtsextremist Elsässer jubelt – und darf auf mehr hoffen.
Jürgen Elsässer ist am Mittwochnachmittag in Feierlaune. „Sieg, Sieg, Sieg“, ruft er in die Kamera und reist die rechte Faust in die Höhe. Im Beitrag unter dem Video, das er auf der Plattform X veröffentlichte, schreibt er: „Champagner ist geköpft!“
Wenige Minuten zuvor haben ihm die Richter am Bundesverwaltungsgericht in Leipzig, so muss man es wohl sagen, ein Geschenk gemacht: Sie haben das Verbot gegen Elsässers „Compact“-Magazin teilweise ausgesetzt. Das rechtsextreme Blatt darf somit wieder publizieren – zumindest vorerst.
Elsässer hat also tatsächlich gute Gründe, die Sektkorken knallen zu lassen. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hingegen hat seit heute ein neues Sorgenkind.
Rückblick: Am 16. Juli durchsuchen Polizisten auf Faesers Anweisung hin am frühen Morgen Büros und Häuser des Compact-Verlags und seiner führenden Köpfe in Brandenburg, Hessen, Sachsen und Sachsen-Anhalt. Auch Elsässers Haus in Falkensee bei Berlin durchsuchen die Beamten. Sie stellen Dokumente und Datenträger sicher. Das Bild von Elsässer im Bademantel an seiner Haustür geht durch die deutsche Presse.
Elsässer kann gegen Faeser gewinnen
Faeser verkündet kurz darauf das Verbot der Compact-Magazin GmbH, dem Verlag des gleichnamigen Magazins. Außerdem untersagt sie mit sofortiger Wirkung alle Tätigkeiten der Firma. Das Magazin durfte seitdem nicht mehr erscheinen.
Compact-Ausgabe im Kiosk: ein verfassungsfeindliches Medium?
© Karl-Josef Hildenbrand
Daran änderte auch Compacts Klage gegen das Verbot vor dem Bundesverwaltungsgericht zunächst nichts. Bis jetzt. Nun hat das Gericht auf Antrag von Compact in einem Eilverfahren die Vollstreckung des Verbots ausgesetzt.
Elsässers Magazin darf also mindestens bis zur Entscheidung über die eigentliche Klage wieder erscheinen. Und das Gericht deutete an, dass Compact auch diese gegen das Bundesinnenministerium (BMI) gewinnen könnte. Bei der Verbotsprüfung „erweisen sich die Erfolgsaussichten der Klage als offen“, schrieb das Gericht in einer Pressemitteilung.
In rechtsradikalen und rechtsextremen Kreisen wurde die Entscheidung am Mittwoch postwendend zum Sieg für die Pressefreiheit über einen autoritären Staat erklärt. Die AfD-Vorsitzende Alice Weidel forderte Faesers Rücktritt. „Für ihren dreisten Angriff auf die Pressefreiheit muss Nancy Faeser ihren Hut nehmen oder entlassen werden“, schrieb Weidel auf X. Elsässer selbst deutete die Entscheidung gar zum „Sieg der Demokratie über die Diktatur“, des „Volks über das Regime“ um.
Kubicki attackiert Faeser scharf
Man kann dies als erwartbares Getöne aus der rechtsextremen Ecke abtuen. Doch auch aus den Reihen der Ampel-Fraktionen gab es Kritik. „Verfassungsministerin Nancy Faeser hat sich auf juristisch extrem dünnes Eis begeben und ist eingebrochen“, sagte Kubicki dem Tagesspiegel. „Sollte sie auch im Hauptsacheverfahren scheitern, war es das.“
Tatsächlich ist die Entscheidung eine Klatsche für Faeser.
Zwar gab ihr das Gericht in einem Punkt recht: Dass das Vereinsrecht auch auf Medienhäuser anwendbar ist. Dies war zunächst bezweifelt worden, auch von Journalisten. Laut Vereinsrecht können Unternehmen verboten werden, die sich gegen die „verfassungsmäßige Ordnung“ richten.
Allerdings hatten die Richter Zweifel, inwiefern das bei Compact gegeben ist, um ein Verbot der gesamten Organisation zu rechtfertigen. Stattdessen seien mildere Mittel in Betracht zu ziehen wie „Veranstaltungsverbote, orts- und veranstaltungsbezogene Äußerungsverbote sowie Einschränkungen und Verbote von Versammlungen“.
„BMI hat seine Hausaufgaben nicht gemacht“
Der Rechtsexperte Benjamin Lück kritisiert gegenüber dem stern: „Das Bundesinnenministerium hat laut dem Bundesverwaltungsgericht seine Hausaufgaben nicht gemacht und zumindest bei der ersten Begründung des Verbots unsauber gearbeitet.“
Lück arbeitet für die Gesellschaft für Freiheitsrechte, die sich für den Grundrechtsschutz einsetzt. „Die Behörden hätten zuerst mildere Mittel als ein Verbot nutzen müssen. Oder aber zumindest gut begründen, warum diese nichts gebracht hätten, um gegen Compact vorzugehen.“
Die Entscheidung des Gerichts zeige, „dass man als Staat wahnsinnig vorsichtig mit Medienverboten sein muss. Das geht nur im Ausnahmefall und sehr gut begründet, und das ist im Sinne der Pressefreiheit auch richtig so“, so Lück. Dass dies nun ausgerechnet die Klage einer rechtsextremen Organisation gezeigt hat, sei „bedauerlich“.
Zwar sah das Bundesverwaltungsgericht Anhaltspunkte für Äußerungen von Compact-Publikationen, die die Menschenwürde verletzen. Außerdem gebe es „in vielen Beiträgen eine kämpferisch-aggressive Haltung gegenüber elementaren Verfassungsgrundsätzen“, so formuliert es das Gericht in seiner Pressemitteilung. Allerdings sei nicht klar, ob diese Äußerungen für Compact „insgesamt derart prägend sind, dass das Verbot unter Verhältnismäßigkeitspunkten gerechtfertigt ist.“
Für Lück ist diese Begründung nachvollziehbar. So seien einige der Compact vorgeworfenen verfassungsfeindlichen Äußerungen von Jürgen Elsässer auf Veranstaltungen getätigt worden – und nicht in Verlagsprodukten. „Das Bundesverwaltungsgericht sagt dem BMI jetzt: ‚Ihr müsst darlegen, warum ihr nicht einzelne Veranstaltungen von Compact verbieten könnt, sondern gleich die ganze Organisation verbieten müsst‘“, erklärt der Jurist.
Zwei Gretchenfragen bleiben
Damit zeichnen sich zwei juristische Gretchenfragen für die Entscheidung über die eigentliche Klage von Compact ab: Zum einen, ob die einzelnen verfassungsfeindlichen Äußerungen ausreichen, um das Compact-Magazin als Ganzes als verfassungsfeindliches Medium einzustufen. Und zum anderen, ob ein Verbot tatsächlich das mildeste notwendige Rechtsmittel ist, das das BMI dagegen einsetzen kann.
Dass das Bundesverwaltungsgericht Compacts Klage stattgibt und Faesers Verbot für rechtswidrig erklärt, ist spätestens seit Mittwoch ein reelles Szenario. „Derzeit sieht es für Jürgen Elsässer nicht schlecht aus, auch wenn es sich nur um ein Eilverfahren handelt“, glaubt auch Lück. Eine Chance für die Ministerin sieht er aber noch: Die beschlagnahmten Daten und Unterlagen im Zuge der Razzien am 16. Juli. „Daraus könnten sich weitere Beweise ergeben, die ein Verbot aus Sicht des Gerichts eher rechtfertigen. Aber das sind reine Spekulationen.“
Compact-Chef Elsässer sprach am Mittwoch von „zwei bis drei Jahren“, in denen man „in Ruhe weiterarbeiten“ könne, bis es ein Urteil zur Klage gebe. Nach Lücks Einschätzung ist das nicht unrealistisch: „Das Bundesverwaltungsgericht will sicher schnell eine Entscheidung fällen. Aber ein bis zwei Jahre wird das schon dauern.“
Politisch ist der Schaden schon jetzt angerichtet.