Der umstrittene Konzern mit Billigwaren aus China hat sich vor einem möglichen Börsengang in London prominente Unterstützung geholt.
Der Billigwarenhändler Shein hat einen früheren Spitzenbeamten aus der Europäischen Union als Berater gewonnen: Der langjährige EU-Kommissar Günther Oettinger bestätigte Capital auf Nachfrage, dass er das Unternehmen berate. „Wir haben einen Beratungsvertrag mit Shein“, sagte Oettinger. Zuvor hatte die Nachrichtenagentur Bloomberg über die Personalie berichtet. Der ehemalige CDU-Funktionär betonte, dass er kein Mitarbeiter Sheins sei. „Ich bin nicht eingestellt und daher kein Angestellter des Unternehmens, ich bin freier Berater“, so Oettinger zu Capital.
Shein plant einen Börsengang in London, ist hierzulande sowie in der EU und den USA aber umstritten. Die Firma setzt mit ihren extrem billigen Preisen hiesige Onlinehändler unter Druck. Das 2008 in China gegründete und nun in Singapur ansässige Unternehmen steht im Verdacht, Baumwolle aus dem chinesischen Zwangsarbeiter-Gebiet der Uiguren für die Produktion seiner Kleidung zu nutzen. Shein hatte das stets bestritten. Außerdem verklagten mehrere Designer das Unternehmen, weil es angeblich Plagiate ihrer Modelle angefertigt habe. Auch über mögliche Markenrechtsverletzungen wurde berichtet, beschwert hatten sich unter anderem Levi Strauss und Ralph Lauren.
Kritik erntete die Firma auch für die Praxis, die Waren direkt aus China an ausländische Kunden zu versenden. Dadurch umgeht Shein Importzölle, weshalb die EU jetzt gegensteuern will: Brüssel erwägt, einen Einfuhrzoll auf Billigwaren von Shein und Temu zu erheben und damit die Grenze für zollfreie Waren abzuschaffen. Sie beträgt derzeit 150 Euro. Angesprochen auf mögliche EU-Zölle sagte Oettinger: „Shein ist gewillt, die Regeln in der EU zu akzeptieren.“
Oettinger: „Ich bin kein Lobbyist“
Oettinger war von 2005 bis 2010 Ministerpräsident von Baden-Württemberg. 2010 wechselte er nach Brüssel, war dort Kommissar für die Energie-Agenden, später für digitale Wirtschaft und Gesellschaft und dann für den EU-Haushalt sowie Personal. Kurzzeitig war er 2014 auch Vizepräsident der Europäischen Kommission. Inzwischen ist er unter anderem Beirat bei der Beratungsfirma Kekst CNC und Präsident der Wirtschaftsuniversität EBS.
Bei seiner Tätigkeit für Shein gehe es um Datenschutz, Cybersicherheit und Geopolitik, so Oettinger. „Meine Beratungstätigkeit ist begrenzt, in sehr geringem Umfang und nicht meine Hauptarbeit. Es ist kein Tätigkeitsschwerpunkt von mir“, sagte er. Es könne sein, dass er dafür mal nach Singapur oder in die USA fliege, so Oettinger. Er übe seine Tätigkeit da aus, wo es gewünscht sei.
Oettinger verwahrte sich vorsorglich gegen mögliche Interpretationen seiner neuen Aufgabe für Shein: „Wenn jetzt behauptet wird, ich würde für Shein lobbyieren, stimmt das nicht. Ich bin kein Lobbyist.“ Oettingers Firma, die Oettinger Consulting Wirtschafts- und Politikberatung GmbH, ist im Lobbyregister des Bundestages eingetragen. „Im Regelfall ist unsere Beratungstätigkeit eine interne Beratung gegenüber leitenden Mitarbeitern unserer Mandanten“, heißt es dort allgemein. „Aus dieser internen Beratung kann sich punktuell Gesprächsbedarf gegenüber Mitgliedern des Deutschen Bundestages, gegenüber deren Mitarbeitern und gegenüber Mitgliedern der Bundesregierung sowie deren Mitarbeitern zum Zwecke der Einholung von Informationen und zum Gedankenaustausch ergeben.“
EU will Shein und Temu stärker regulieren
Die EU-Kommission hatte jüngst von Onlinehändlern wie Shein und Temu mehr Informationen zum Vorgehen gegen illegale Produkte und Manipulation von Verbrauchern gefordert. Dafür stellte die Brüsseler Behörde Ende Juni ein Auskunftsersuchen auf Grundlage eines neuen EU-Gesetzes für digitale Dienste (Digital Services Act). Temu und Shein mussten die geforderten Informationen bis zum 12. Juli liefern. Auf Basis der Antworten wollte die Kommission die nächsten Schritte festlegen.
Der Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV) warf dem Onlinehändler Ende April vor, auf seiner Website manipulative Designs zu verwenden, um die User zum Einkauf zu drängen. Zudem bemängelten die Verbraucherschützer komplizierte Beschwerdewege und versteckte Kontaktmöglichkeiten. Damit verstoße Shein mehrfach gegen den DSA.