Zwangsarbeit: Bahlsen über NS-Zeit: „Die Wahrheit ist, dass wir auch nicht nachgefragt haben“

Zwei Historiker haben die Rolle des Keks-Fabrikanten Bahlsen in der Nazi-Zeit untersucht. Nun äußert sich die Familie zu den Ergebnissen.

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Zur Produktion von Keksen und anderen Nahrungsmitteln während des Zweiten Weltkriegs hat das Familienunternehmen Bahlsen weit stärker Zwangsarbeiter aus Polen und der Ukraine eingesetzt als bisher bekannt. Dies ist die zentrale Erkenntnis eines Historikerberichts, der am Dienstag vorgestellt wurde. „Wenn wir alle zählen, die über die Kriegsjahre bei Bahlsen Zwangsarbeiterinnen waren, kommen wir auf ein Mehrfaches“, sagte der Studienautor und Historiker Manfred Grieger von der Uni Göttingen „Capital“. Bisher wurde oft die Spanne von 200 bis 250 Zwangsarbeitern genannt, laut Grieger seien hingegen 785 Arbeiterinnen und Arbeiter heute namentlich bekannt.

Die Familie Bahlsen musste auf diese Wahrheit erst gestoßen werden. „Viele Details aus der Unternehmensgeschichte waren uns nicht bekannt und die Wahrheit ist, dass wir auch nicht nachgefragt haben. Wir haben als Familie die offensichtliche Frage, wie unser Unternehmen durch den Zweiten Weltkrieg hindurch bestehen konnte, nicht gestellt.“ So kommentieren die Bahlsens per Pressemitteilung die Ergebnisse der Untersuchung. 

Die Erzählung, an die alle in der Familie Bahlsen glauben wollten

Jahrzehntelang hatte es in der Familie zuvor geheißen, man habe sich durch die Zwangsarbeit nichts zuschulden kommen lassen. Unternehmenserbin Verena Bahlsen sorgte 2019 für einen Sturm der Entrüstung, als sie sagte: „Wir haben die Zwangsarbeiter genauso bezahlt wie die Deutschen und sie gut behandelt.“ In der Folge entschuldigten sich die Bahlsens und beauftragten die Historiker Manfred Grieger und Hartmut Berghoff zu untersuchen, wie es damals mit den Zwangsarbeitern und der Nazi­-Verstrickung wirklich war. Sie öffneten den Wissenschaftlern dafür ihr Archiv. Über ihre Erkenntnisse sprechen die beiden Historiker ausführlich im Interview mit „Capital“. Ihr Bericht „Die Geschichte des Hauses Bahlsen. Keks – Krieg – Konsum 1911-1974“ erscheint am 21. August.

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„Die Forschungsergebnisse zeigen: Unsere Vorfahren und die damals handelnden Akteure haben sich in der NS-Zeit das System zunutze gemacht. Ihr Hauptantrieb schien darin zu bestehen, die Firma auch im NS-Regime weiterzuführen, was schlimme Konsequenzen hatte“, heißt es im Statement der Familie Bahlsen. „Die Wahrheit über die damaligen Ereignisse ist unbequem und schmerzhaft.“ Unter anderem mit einer Wanderausstellung zum Thema Zwangsarbeit will sich das Unternehmen für eine lebendige Erinnerungskultur einsetzen. 

In den 1990er Jahren hatten einige Zwangsarbeiterinnen Bahlsen verklagt. Damals hatte das Gericht jedoch geurteilt, dass die Ansprüche verjährt seien. 2000 und 2001 überwies das Unternehmen 1,5 Mio. D-Mark an die Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft, die damit Zwangsarbeiter entschädigte. „Das steht in keinem Verhältnis zum Leid dieser Menschen. Nun ist es zu spät, Deutschland hat hier versagt“, sagt Historiker Berghoff.