Deutschland ächzt und schwitzt unter der Hitze. Dabei zeigt sich: Es sind nicht nur die hohen Temperaturen, die zur Gefahr werden.
Der Klimawandel beschert uns nicht nur immer neue Temperaturrekorde, sondern auch neues Wettervokabular. Eine Hitzeblase ist keine Druckstelle unter dem Zeh, sondern bringt Deutschland derzeit die bislang heißesten Tage des Jahres. „Der Begriff Hitzeblase beschreibt einen Bereich mit sehr heißen Luftmassen, die sich vom afrikanischen Kontinent lösen und nach Europa ziehen“, erklärt Frank Böttcher, Vorsitzender der Deutschen Meteorologischen Gesellschaft und Extremwetterexperte.
Besonders heftig sind diese Hitzeblasen, wenn sie über Spanien und Frankreich nach Deutschland kommen. Nur langsam kühlen sich die Luftmassen ab, wenn sie weiter nach Norden ziehen.
Die aktuellen Hitzetage reihen sich ein in eine Abfolge der Extreme: 13 Monate lang – von Juni 2023 bis Juni 2024 – meldete Copernicus, der Klimawandel-Dienst der Europäischen Union, immer neue globale Temperaturrekorde. Der 6. Juli 2023 war mit durchschnittlich 17,23 Grad der bisher heißeste Tag der Welt. Insgesamt gab es im Juli vergangenen Jahres an fünf aufeinanderfolgenden solche historischen Rekordtage. In Regionen, die ohnehin schon von großer Hitze betroffen waren, erreichen die Temperaturen zum Teil über Wochen unerträgliche Werte.
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Europa betrifft der Klimawandel dabei besonders stark. In Südeuropa kommt es in Folge der Hitze immer häufiger zu schweren Waldbränden. In Deutschland lag 2023 die Temperatur um 1,2 Grad über dem Durchschnitt des Vergleichszeitraums 1991 bis 2000. Die Folge: „Es wird nicht nur im Durchschnitt immer wärmer, auch die Hitzeextreme nehmen zu“, sagt Klimatologe Andreas Walter vom Deutschen Wetterdienst (DWD) in Offenbach.
Immer mehr Hitzetage mit 30 Grad – oder mehr
Die Anzahl der Hitzetage, also solche mit Lufttemperaturen von mindestens 30 Grad, ist deutschlandweit seit den 1950er-Jahren von etwa drei Tagen im Jahr auf derzeit durchschnittlich zehn Tage im Jahr angestiegen, heißt es im Nationalen Klimareport des DWD. „Das betrifft vor allem Regionen, die ohnehin schon sehr warm sind“, sagt Walter – etwa den Oberrheingraben, das Rhein-Main-Gebiet und die Region um Freiburg.
Auch andernorts ächzen die Bewohner zunehmend unter den ungewohnten Temperaturen. 25 Hitzetage mit Werten über 30 Grad registrierte beispielsweise die Wetterstation in München (Stadt) für 2023. Fünfmal so viele wie im Zeitraum 1961 und 1990, bevor der Klimawandel so richtig in Fahrt kam. Die Sommertage (mit mehr als 25 Grad) haben sich im gleichen Zeitraum von 36 auf 79 mehr als verdoppelt.
Eine Verdopplung gab es in Bayerns Metropole auch bei der Anzahl der Tropennächte , von einer auf zwei. Das klingt nach wenig, aber wenn die Entwicklung so weiterläuft wie bisher, dürfte es in Zukunft noch viel mehr solche Nächte geben, sagen die Klimamodelle voraus.
Die weitere Entwicklung hängt dabei wesentlich davon ab, wie wir uns verhalten. Bleiben die Treibhausgasemissionen weiter so hoch wie bisher, steigt in den genannten Regionen die Zahl der heißen Tage bis Mitte des Jahrhunderts um zehn Tage. Bis zum Ende des Jahrhunderts drohen sogar 30 Extratage mit Temperaturen ab 30 Grad. „Das ist ein ganzer Monat mehr Hitze“, warnt Walter.
Selbst wenn der Ausstoß von Treibhausgasen deutlich reduziert würde, steigt die durchschnittliche Zahl der Hitzetage bis zur Mitte des Jahrhunderts um rund sieben Tage pro Jahr.
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Hitze setzt dem Körper zu
Jeder einzelne davon ist eine Tortur für den menschlichen Körper. Dass Hitze uns so zusetzt, hat damit zu tun, dass unser Organismus nur in einem engen Temperaturkorridor funktioniert: Optimal für Menschen sind um die 37 Grad im Körperinneren, schon wenige Grad darüber verändern viele Proteine, aus denen ein Großteil des Körpers besteht, ihre Struktur, wodurch Gewebe und Stoffwechselvorgänge Schaden nehmen. Bei starker Überhitzung besteht Lebensgefahr: Allein für den Sommer 2023 errechnete das Robert Koch-Institut rund 3.200 hitzebedingte Todesfälle für Deutschland, 2.700 davon waren 75 Jahre oder älter.
Dementsprechend unternimmt der Körper buchstäblich alles Menschenmögliche, um seine Temperatur im grünen Bereich zu halten: Unser Wärmeregulationszentrum, sozusagen unser Thermostat, liegt in einer kleinen Struktur im Gehirn: dem Hypothalamus. Unter seiner Regie geben die Schweißdrüsen Flüssigkeit ab, die auf der Haut verdunstet und so Kälte produziert. Der Hypothalamus steuert unser Durstgefühl, damit wir ausgeschwitztes Wasser schnell ersetzen. Außerdem wird mehr Blut aus dem Körperinneren in die kleinen Gefäße direkt unter der Haut umgeleitet, um Wärme über die schweißgekühlte Peripherie abzuführen. Daher bekommen wir bei Hitze einen krebsroten Kopf.
All diese Anstrengungen bedeuten für unseren Organismus puren Stress: Das Herz muss schneller pumpen, um den Blutdruck aufrechtzuerhalten, weil viel Blut in den Gefäßen unter der Haut „versackt“. Durchs Schwitzen fehlen im Kreislauf Wasser und Salze, in heißen Nächten finden wir kaum in den Schlaf.
Schon für Gesunde kann Hitze zum Risiko werden: Säuglinge haben aufgrund ihrer niedlich-runden Körperform bezogen aufs Gewicht weniger Hautoberfläche zum Schwitzen als Erwachsene. Sie sind daher stärker gefährdet, zu überhitzen. Alte Menschen empfinden weniger Durst und schwitzen weniger als Jüngere, Schwangere dagegen besonders schnell. Für sie alle sind Hitzewellen gefährlicher als für andere.
Noch dramatischer sind sie für Kranke. Besonders gefährdet seien Menschen mit chronischen Herz-Kreislauf- oder Nieren-Leiden, sagt Elke Hertig, Professorin für Regionalen Klimawandel und Gesundheit an der Universität Augsburg. „Der Körper versucht, sich zu kühlen und mehr Blut in die Gefäße unter der Haut zu pumpen, dadurch wird das Herz stärker belastet. Für Nierenkranke ist der Flüssigkeitsverlust durch Schwitzen ein Problem. Wird zu wenig getrunken, gerät die Niere zusätzlich in Stress.“
Nachthitze erhöht das Schlaganfallrisiko
Ein besonderes Problem ist die Nachthitze, die uns den Schlaf raubt. Dass gerade die schweißtreibenden Nächte potenziell lebensgefährlich werden können, zeigt die deutsche Schlaganfallstudie, die einige Augsburger Kollegen und Kolleginnen von Elke Hertig im Mai mit dem Helmholtz Zentrum München publizierten: Das Team hatte mehr als 11.000 Schlaganfälle der Jahre 2006 bis 2020 in der Region Augsburg mit nächtlichen Klimadaten abgeglichen. In den heißesten 2,5 Prozent der Nächte erhöhte sich das Risiko für Schlaganfälle um sieben Prozent. Besonders deutlich war der Zusammenhang bei Schlaganfällen durch Blutgerinnsel, bei Älteren sowie bei Frauen, was mit dem weiblichen Hormonhaushalt zu tun haben könnte.
Hitzegefährdet sind auch Menschen mit einigen seltenen Erkrankungen: Bei Sklerodermie, einer rheumatischen Entzündung und Verhärtung der Haut, verliert man durch die Krankheit oft viele Schweißdrüsen und kann sich nicht mehr gut abkühlen. Mukoviszidose-Patienten schwitzen besonders viel Salz aus und haben ein höheres Risiko, in einen Elektrolytmangel abzurutschen.
In Zusammenhang mit großer Hitze und starker Sonneneinstrahlung gibt es eine ganze Reihe von typischen Notfallsituationen, weiß Dr. Lüder Warnken, Notarzt aus Hamburg: „Bei einem Hitzeschlag kann der Körper überschüssige Wärme nicht abgeben – zum Beispiel, weil man keine adäquate Kleidung trägt oder die Umgebung schlicht zu heiß ist.“ Wer sich zu lange in der prallen Sonne ohne Kopf- und Nackenbedeckung aufhält, kann einen Sonnenstich mit rasenden Kopfschmerzen und starker Übelkeit bekommen.
Das sind die Ursachen für einen Hitzekollaps
„Ursache dafür ist die übermäßige Exposition durch Wärmestrahlung des Sonnenlichts, die die Hirnhäute irritiert“, so Warnken. Eine Hitzeerschöpfung riskieren diejenigen, die bei hohen Temperaturen übermäßig aktiv sind und gleichzeitig zu wenig trinken. Ein Hitzekollaps schließlich, ist eine Fehlfunktion des Kreislaufs bei dem sich hitzebedingt die Gefäße weitstellen, Teile des Blutes „versacken“ und damit dem Herzen nicht mehr zur Verfügung stehen. Das kann zu einer kurzen Bewusstlosigkeit führen. Begünstigt wird ein Hitzekollaps etwa durch Alkoholkonsum und langes Stehen in großen Menschenmengen.
Die richtige Reaktion für die meisten dieser Symptome ist gleich, rät Warnken: „Ab in den Schatten, die Beine mit Wadenwickeln kühlen und, wenn der Betroffene bei Bewusstsein ist, viel trinken.“ Bei starken Schmerzen, Sprechstörungen oder Bewusstlosigkeit sollte auf jeden Fall der Rettungsdienst unter der 112 informiert werden.
Medikamente im Sommer lagern 16.46
Hertig selbst erforscht seit Jahren noch ein weiteres Problem heißer Tage: bodennahes Ozon. Das aggressive Gas bildet sich unter Sonneneinstrahlung etwa aus Stickoxiden. Im Sommer fallen daher oft Hitze und hohe Ozonwerte zusammen – ein doppeltes Problem für Herz- und Gefäß-Kranke: „Ozon reizt die oberen Atemwege, wirkt aber bei längerer Exposition auf den ganzen Körper und verursacht Entzündungsreaktionen, etwa in den Blutgefäßen“, erklärt Hertig. „In einer Studie konnten wir ein erhöhtes Risiko für Herzinfarkte bei hohen Ozonwerten nachweisen – aber nicht bei extrem hohen. An solchen Extremtagen war es wohl so heiß gewesen, dass die Menschen in Innenräumen blieben und so die Hitze und die hohen Ozonkonzentrationen mieden.“
Meiden und Schonen sei an heißen Tagen ohnehin die richtige Reaktion, so Hertig: „Man sollte im Schatten bleiben, seine körperliche Aktivität herunterfahren, genug trinken und die Ernährung anpassen auf leichte Kost mit viel Obst und Gemüse, die den Organismus wenig belastet.“ Wichtig sei auch, vor allem in den kühlen Nacht- und Morgenstunden zu lüften und die Wohnung abzuschatten, am besten mit Außenjalousien, die die Wärme aus dem Gebäude aussperren.
Doch nicht nur Patientinnen und Patienten sollten sich an Hitzeperioden anpassen – auch in Arztpraxen muss umgedacht werden: Im „AdaptNet“-Projekt schult das Team von Elke Hertig zurzeit 20 Haus- und Fachärzte in Nürnberg und hat dazu unter anderem Hitze-Checklisten erstellt. Schon vor dem Sommer sollten Ärzte und Ärztinnen demnach versuchen, ihre Praxis „hitzefest“ zu machen und zum Beispiel rechtzeitig Ventilatoren oder Jalousien anschaffen, Videositzungen oder Frühsprechstunden, etwa für Herzkranke, planen oder wärmeempfindliche Arzneimittel anders lagern.
Viele Präparate bergen zudem Risiken bei Hitze, manche müssen anders dosiert werden: Die „Heidelberger Hitze-Tabelle“, erstellt vom dortigen Uniklinikum, listet zum Beispiel blutdrucksenkende ACE-Hemmer, die das Durstgefühl dämpfen. Viele Antipsychotika und Antidepressiva stören die Temperaturregulation, der Epilepsie-Wirkstoff Carbamazepin behindert das Schwitzen, und Insulin für Diabetiker wirkt bei Hitze schneller, was die Gefahr für Unterzuckerungen erhöht.
Auch Stadtplaner müssen wegen der Hitze neu denken
Neben Ärztinnen oder Pflegern werden insbesondere in Städten auch Architektinnen, Bauherren oder Stadtplaner neu denken müssen, um Menschen vor Wärme zu schützen:
„Trinkwasserbrunnen alleine helfen da nicht“, sagt Klimatologe Andreas Walter. Vielmehr müssten die Städte ihr ganz eigenes Klima im Blick haben. Betonbauten, geteerte Straßen und zugepflasterte Plätze speichern die tagsüber auftreffende Wärme und geben sie in der Nacht an die Luft ab. Tropische Nächte mit Temperaturen nicht unter 20 Grad sind die Folge. „Das trifft vor allem Menschen, die ohnehin schon gesundheitlich beeinträchtigt sind“, so Walter. Denn nur unterhalb dieser Temperaturschwelle kann sich der Körper von heißen Tagen erholen.
Wie sich Städte wappnen könnten, ist in der Theorie klar: mehr Grünflächen, weniger Versiegelung und vor allen Schneisen, durch die nachts kühle Luft in die aufgeheizten Innenstädte strömen kann. Doch immer mehr Menschen ziehen in die Ballungsgebiete. Der Bedarf an Wohnraum hält kaum Schritt mit dem Angebot. Bislang unbebaute Flächen werden zum heiß begehrten Bauland.
Dagegen helfen nur neue Baukonzepte. Bestehende flache Gebäude, etwa Supermärkte, könnten aufgestockt werden und so Freiflächen erhalten bleiben. Wenn da nicht die bestehende Bauordnung wäre, die pro Wohneinheit auch einen PKW-Stellplatz vorschreibt.
Eine nationale Hitzeschutzstrategie, die Wohnungsbauministerin Klara Geywitz 2022 erstmals präsentierte, alleine hilft da wenig. Denn die Metropolen müssen sich in Zeiten zunehmender Wetterextreme ja nicht gegen immer mehr Wärme, sondern auch drohende Starkregenereignisse wappnen. Sie fordern mehr finanzielle Unterstützung bei der Umsetzung ihrer Anpassungskonzepte.
Und zur Wahrheit gehört auch: Selbst die beste Hitzeschutzstrategie bleibt Makulatur, wenn die Menschheit den Ausstoß von Treibhausgasen nicht deutlich reduzieren. „Bei einer globalen Erwärmung von vier Grad können Hitzeblasen aus Afrika die Temperaturen in deutschen Städten auf 47 Grad ansteigen lassen“, warnt Böttcher. Dann droht auch deutschen Städten der Hitzekollaps.