Die Strafe folgt nicht immer sofort: Oft vergehen Monate, bis Kriminelle tatsächlich im Gefängnis landen – obwohl es um teils schwerste Verbrechen geht.
Tausende verurteilte Straftäter sind in Berlin auf freiem Fuß, weil Haftbefehle nicht vollstreckt werden. In 59 Fällen handelt es sich dabei um Mörder aus den vergangenen Jahren, in 66 um wegen Totschlags verurteilte Menschen (Stand: 1. Juli). Das geht aus der Antwort der Berliner Senatsinnenverwaltung auf eine parlamentarische Anfrage des Linke-Abgeordneten Sebastian Schlüsselburg hervor. Insgesamt sind demnach 8.581 Haftbefehle offen, vor einem Jahr waren es zum selben Zeitpunkt 7.653.
Zudem fahndet die Berliner Polizei nach knapp 1.767 Verdächtigen, die in Untersuchungshaft kommen sollen. 57 von ihnen stehen im Verdacht, jemanden getötet zu haben, und sollen eigentlich im Gefängnis auf ihren Prozess warten. Im vergangenen Jahr waren es etwa ebenso viel (1.761).
Die Senatsinnenverwaltung bezieht sich bei den Angaben auf Zahlen eines Fahndungssystems der Polizei. Demnach bestanden zum Stichtag 5.773 Haftbefehle (2023: 5.266) für verurteilte Straftäter länger als ein halbes Jahr. In 1.358 Fällen (2023: 1.417) wird nach Verdächtigen gefahndet, die in Untersuchungshaft kommen sollen.
Rechtsexperte: Hohe Anzahl der offenen Haftbefehle nicht nachvollziehbar
Der rechtspolitische Sprecher Schlüsselburg sprach von einer „alarmierenden“ Entwicklung. „Das sind keine guten Nachrichten für den Rechtsstaat.“ Nicht nachvollziehbar ist für ihn vor allem die hohe Anzahl von Straftätern, die wegen Mordes oder Totschlags verurteilt worden sind – und trotzdem auf freiem Fuß sind. Dies müsse Berlins Justizsenatorin Felor Badenberg (CDU) erklären.
Solange ein Urteil nicht rechtskräftig ist, kann es ein, dass Straftäter nicht sofort ins Gefängnis kommen. CDU-Rechtsexperte Sven Rissmann erklärte der „B.Z.“: „Verurteilte Straftäter können zum Beispiel wegen Krankheit nach Hause gehen, oder wenn die U-Haft zeitlich überzogen wurde. Dann gibt es eine schriftliche Ladung zum Haftantritt.“ Nur bei hochgefährlichen Straftätern würden Zielfahnder angesetzt, nicht aber in jedem Fall.
Langfristige Fahndung möglich
„Bei Straftaten, die nicht verjähren, werden Fahndungen auch von lange zurückliegenden Taten weiter verfolgt und teilweise über Jahrzehnte aufrechterhalten“, hieß es von der Senatsjustizverwaltung. Die Berliner Justiz arbeite eng mit dem Landeskriminalamt zusammen, um auch ungeklärte Fälle aufzuklären.
Geht es um Mord, kommen Straftäter in der Regel in Untersuchungshaft – und bleiben dort bis das Urteil rechtskräftig ist. Laut Justizverwaltung finden sich in der Statistik auch solche Fälle, in denen ein verurteilter Mörder viele Jahre seiner lebenslangen Freiheitsstrafe verbüßt hat und der Rest zur Bewährung ausgesetzt wird. Wenn der Straftäter dann gegen Bewährungsauflagen verstößt und sich absetzt, wird wieder nach ihm gefahndet. Und auch Kriminelle, die in ihr Heimatland abgeschoben werden, bevor sie die komplette Strafe verbüßt haben, werden demnach automatisch zur Fahndung ausgeschrieben – für den Fall, dass sie nach Deutschland zurückkehren.