Der FDP ist das Bürgergeld zu hoch, sie schlägt daher eine „Anpassung nach unten“ vor. Doch das ist nicht so leicht, wie es klingt. Zumal die Ampel-Partner nicht mitmachen wollen.
Wie oft sich die Ampel-Koalition schon vorgenommen hat, weniger auf offener Bühne zu zanken, dürfte auch Lars Klingbeil nicht mehr an einer Hand abzählen können. „Völlig unnötig“ nannte der SPD-Vorsitzende die jüngste „Aufführung“ um den Bundeshaushalt 2025. Sein Wort zum Sonntag: Schluss mit dem Theater, jetzt aber wirklich. Doch da bahnte sich bereits der nächste Zoff an, gewissermaßen die Wiederaufführung eines Ampel-Klassikers: der Streit ums Bürgergeld.
Nach der ausdauernden Diskussion um schärfere Sanktionen für sogenannte Totalverweigerer will die FDP nun an die Höhe der Leistung ran, und zwar für alle Empfänger. Vielleicht ließe sich ja so ein Teil der Haushaltslücke für 2025 verfassungskonform schließen. Das scheint jedenfalls die Annahme zu sein, die für Unmut bei den Koalitionspartnern sorgt, insbesondere in der SPD, aber die auch eine praktische Frage aufwirft: Das Bürgergeld senken – geht das einfach so?
„Wie das Bürgergeld jährlich angepasst wird, ist gesetzlich geregelt“
Das Bürgergeld falle „aktuell 14 bis 20 Euro im Monat zu hoch aus“, befand Fraktionschef Christian Dürr in der „Bild“-Zeitung. Er schlägt eine „Anpassung nach unten“ vor, weil die Inflation nicht so stark stieg wie angenommen. Dies würde sowohl die Steuerzahler um bis zu 850 Millionen Euro entlasten als auch die Arbeitsanreize erhöhen, meint der FDP-Mann.
Dürr bezog sich dabei auf den sogenannten Anpassungsmechanismus, der die Regelsätze jährlich an Preise und Löhne angleicht. Dieser Mechanismus führte zuletzt zu einem vergleichsweisen hohen Anstieg des Bürgergelds um zwölf Prozent, da sowohl die Preis- und Lohnsteigerungen aus dem Jahr 2023 als auch die für 2024 angenommenen Preissteigerungen berücksichtigt wurden. Alleinstehende Bürgergeld-Empfänger bekommen nun 563 Euro im Monat, also 61 Euro mehr. 2025 müssen sich Empfängerinnen und Empfänger jedoch auf eine Nullrunde einstellen, weil die Preissteigerungen aktuell rückläufig sind.
Das klingt alles reichlich kompliziert und lässt erahnen: Im Handstreich ließe sich das Bürgergeld eher nicht senken.
Denn dafür müsste das „Regelbedarfsermittlungsgesetz“ geändert werden, das regelt, wie der monatliche Pauschalbetrag – also die Bürgergeld-Auszahlung – errechnet wird. Dabei werden zahlreiche Faktoren berücksichtigt, nicht zuletzt, dass ein „menschenwürdiges Existenzminimum“ gewährleistet ist. Das ist die Maßgabe, die das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber aufgetragen hat.
Die Karlsruher Richter urteilten 2010, dass die Regelleistungen nicht nur die physische Existenz absichern müssten, sondern auch ein Mindestmaß an gesellschaftlicher Teilhabe. Wie hoch der Anspruchsumfang ausfällt, muss demnach sach- und realitätsgerecht bemessen werden, auf Grundlage von verlässlichen Zahlen. Eine Senkung des Bürgergelds müsste also im Zweifel auch vor dem Bundesverfassungsgericht standhalten, beziehungsweise der Frage: Ist das „menschenwürdige Existenzminimum“ noch gewährleistet?
Im Haus von Arbeitsminister Hubertus Heil, SPD, geht man nicht direkt auf den FDP-Vorstoß ein. Auf Nachfrage verweist eine Sprecherin darauf, dass die Fortschreibung der Regelbedarfsstufen zum 1. Januar 2025 gemäß der gesetzlichen Vorgaben erfolge. „Im Rahmen der Fortschreibungs-Verordnung besteht kein Entscheidungsspielraum für die sich ergebenden Beträge.“ Dabei gelte: Wenn sich bei der Fortschreibung Beträge ergeben, die unter den geltenden Regelbedarfen liegen, werden die Beträge durch eine gesetzliche Besitzschutzregelung auf dem aktuellen Niveau fortgeschrieben.
Es bleibt also dabei: Nach Belieben lässt sich das Bürgergeld nicht senken, zumal nicht im Vorbeigehen.
Und dann wären da ja auch noch die Koalitionspartner, die dem FDP-Vorschlag wenig abgewinnen können. Vor allem in der SPD, die mit der Sozialreform ihr Trauma der Hartz-4-Jahre abschütteln wollte, sorgt der Vorstoß für Ärger. Zumal das Bürgergeld schon von der Opposition kräftig unter Beschuss genommen wird – nun legt der eigene Koalitionspartner nach.
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„Es wäre ganz hilfreich, wenn man nach fast drei Jahren endlich mal in seiner Rolle als Teil einer Regierungskoalition und damit in einer Verantwortungsgemeinschaft ankommen würde“, sagt Martin Rosemann, Sprecher für Arbeit und Soziales in der SPD-Fraktion. Er halte überhaupt nichts davon, „ständig mit völlig unausgegorenen Ideen fern jeder Realität für Verunsicherung zu sorgen“.
Rosemann moniert, dass FDP-Fraktionschef Dürr eine Regierungsfraktion führe, die den Anpassungsmechanismus beschlossen habe, bei dem die Inflation „zu Recht“ schneller berücksichtigt werde als zuvor. „Vorschläge für eine erneute Reform des Anpassungsmechanismus aus der FDP-Fraktion sind mit nicht bekannt“, ätzt der Sozialdemokrat.
Die Grünen halten sich rhetorisch zurück, womöglich in der Absicht, mit dem neuerlichen Ampel-Zoff nicht in Verbindung gebracht zu werden. Jedoch lässt Beate Müller-Gemmeke, Fachpolitikerin für Arbeit und Soziales, keinen Zweifel an der Haltung ihrer Fraktion. „Wie das Bürgergeld jährlich angepasst wird, ist gesetzlich geregelt“, sagt Müller-Gemmeke dem stern. Auch sie verweist darauf, dass FDP und CDU dem Mechanismus zugestimmt hätten. „Es gibt keinen Grund das in irgendeiner Weise zu verändern.“