Kommen Verkehrssünder in Nordrhein-Westfalen massenhaft straffrei davon, weil in den Staatsanwaltschaften Personal fehlt? Die Deutsche Justiz-Gewerkschaft geht davon aus.
Das nordrhein-westfälische Justizministerium lässt überprüfen, ob in den Staatsanwaltschaften des Landes massenhaft Ermittlungsverfahren wegen Personalmangels verjährt sind. „Wir sehen uns die Sache noch mal genauer an“, sagte ein Sprecher des NRW-Justizministeriums auf dpa-Anfrage. Die Staatsanwaltschaften seien um entsprechende Informationen gebeten worden. Das „Westfalen-Blatt“ hatte zuvor berichtet, dass beispielsweise bei der Staatsanwaltschaft Bielefeld Verfahren unbearbeitet verjährt seien. Dabei gehe es um Verkehrsdelikte wie kleinere Tempoverstöße, bei denen kein Fahrverbot droht.
Die Deutsche Justiz-Gewerkschaft schließt nicht aus, dass landesweit tausende Verfahren betroffen sein könnten. „Wir haben entsprechende Rückmeldungen von Kolleginnen und Kollegen aus den Staatsanwaltschaften“, sagte der Gewerkschaftsvorsitzende Klaus Hammes. „In Köln konnte die Verjährung in vielen Fällen nur abgewendet werden, weil „freiwillige“ Wochenendarbeit angeordnet wurde.“
Das NRW-Justizministerium hatte zunächst mitgeteilt, dass keine Zahlen vorlägen, die eine massenhafte Verjährung durch Personalmangel belegen könnten. „Der Eindruck entsteht, dass die Zahlen von den Behördenleitungen unter Verschluss gehalten und nicht nach oben gemeldet werden“, sagte Hammes.
Die Ordnungswidrigkeiten- und Bußgeldverfahren sind in den Behörden Sache der Geschäftsstellen-Mitarbeiter. Von denen hätten Anfang des Jahres an Staatsanwaltschaften und Gerichten 800 gefehlt. „Durch die Überbelastung können viele Verfahren nicht erledigt werden. Das zieht sich wie ein roter Faden durch die ganze Justiz“, sagte Hammes. Viele der offenen Stellen könnten mangels Bewerbern nicht besetzt werden.
Raser-Amnestie dank Überlastung?
Mancher Raser dürfte daher zumindest bei einfachen Tempoverstößen unbestraft bleiben, wenn er gegen seinen Bußgeldbescheid Widerspruch einlegt. „Nach einem Einspruch muss die Staatsanwaltschaft innerhalb von sechs Monaten einen Termin beim Amtsgericht beantragen. Gelingt das nicht, ist die Sache verjährt“, sagt Christian Demuth, Fachanwalt für Verkehrsrecht, in Düsseldorf.
Sein Eindruck: „Es kommt häufiger vor als in der Vergangenheit, dass bei Verkehrsdelikten die absolute Verjährung eintritt.“ Die Regel sei dies aber nicht: „Es kommt hin und wieder vor. Ich kann mir auch gut vorstellen, dass es am Personalmangel liegt. Bußgeldverfahren sind Massenverfahren. Je mehr Menschen Einspruch einlegen, desto schwieriger wird es für die Justiz, den Arbeitsanfall zu bewältigen.“ Dennoch könnten sich Verkehrssünder nicht darauf verlassen.
Beim Bund der Richter und Staatsanwälte in NRW will man eine Verjährung in größerem Ausmaß weder bestätigen noch dementieren: „Das mag so sein, aber wir wissen es nicht. Wir haben keine Zahlen dazu“, sagte der Landesgeschäftsführer der Vereinigung, Gerd Hamme. Tatsache sei aber, dass die Belastungsquote für den mittleren Dienst zuletzt auf 118,4 Prozent beziffert worden sei, die Belastung für die einzelnen Mitarbeiter also sehr hoch sei.