Segen auf dem Weg in den Urlaub, spontane Taufen und Hochzeiten, Gottesdienste mit Musik von Taylor Swift und Adele: Die Kirche hat viele Ideen, um Menschen für sich zu begeistern. Doch fruchtet das?
Unbürokratische Angebote wie Segensaktionen an Raststätten, spontane Trauungen und Taufen oder auch Gottesdienste zur Musik von Popikonen wie Taylor Swift können nach Überzeugung der evangelischen Landesbischöfin helfen, dass Menschen Vertrauen zur Kirche aufbauen oder wiedergewinnen.
Es gehe darum, positive Erfahrungen mit Kirche zu machen, sagte Heike Springhart der Deutschen Presse-Agentur in Karlsruhe. „Und in einem nächsten Moment, ob der übermorgen oder in drei Jahren erst ist, erinnern sich Menschen daran und sagen: „Das hat mich damals berührt und hat mir mehr gegeben, als ich vielleicht erwartet hätte, dann wende ich mich doch dahin.““
Mittel gegen den Mitgliederschwund?
Dass sich mit solchen Aktionen der Mitgliederschwund umkehren lässt, glaubt Springhart allerdings nicht. „Kehrtwende würde ja bedeuten, die Zahlen gehen plötzlich wieder nach oben. Selbst wenn ich die Hoffnung sehr hochhalte, würde ich davon mal nicht ausgehen“, sagte sie. „Es gibt einen gesellschaftlichen Trend, den werden wir nicht mit drei Werbeflyern aufhalten.“
Es sei eine langfristige Entwicklung, die auch mit dem demografischen Wandel zu tun habe. „Und trotzdem ist unser Grundauftrag als Kirche, Menschen zu gewinnen – und zwar in allererster Linie für den christlichen Glauben und nicht als Mitgliederwerbung.“
Dabei kommt es nach den Worten der Landesbischöfin nicht darauf an, ob sich die Menschen in Scharen angesprochen fühlen oder nur zwei Leute, „die genau im richtigen Moment an der Autobahnraststelle merken: „Hier hat mich jetzt was berührt.““
Bei Formaten experimentieren und sich von traditionellen Formen lösen
Die Zahl der Mitglieder in der evangelischen Landeskirche in Baden ist Stand Ende vergangenen Jahres auf gut eine Million gesunken. Zwar sank die Zahl der Austritte im Vergleich zum Vorjahr von 22.149 auf 21.731, doch gab es mit 1.038 Eintritten auch hiervon weniger als 2022 (1.165). Auch bei den Taufen, Konfirmationen und kirchlichen Hochzeiten waren die Zahlen rückläufig – ein Thema, das auch die anderen Kirchen im Land beschäftigt.
„Es wird darauf ankommen, dass Menschen die Relevanz von Kirche noch deutlicher erleben und spüren“, sagte Springhart. Kirche müsse klarmachen, wo sie für die Menschen da ist. Und dass es ohne die Menschen, die die Kirche bilden, auch keine Kirche gebe.
„Der Fächer wird breiter: der Mut, niedrigschwellig was zu machen und einfach mal was auszuprobieren, dass die Türen weit aufgehen, jenseits auch der ganz traditionellen Form“, sagte sie und nannte als Beispiel die sogenannte Pop-up-Church. „Da verteilen Kolleginnen und Kollegen in der Fußgängerzone Segen.“ Da sei der Kontakt sehr zufällig.
Schon lange werde experimentiert, damit die Gottesdienstlandschaft vielfältiger wird – etwa mit Filmgottesdiensten oder Angeboten der Heiliggeistkirche in Heidelberg mit Musik von Sängerinnen wie Taylor Swift und Adele. Hier könnten Menschen merken, dass Kirche anders sein kann als vielleicht angenommen.
Der Erfolg lasse sich nicht daran messen, ob jemand dann künftig jeden Sonntag in den Gottesdienst kommt. „Aber das ist wie so ein Ackerboden, der immer mal wieder bewässert werden muss. Und dann ist mal wieder ordentlich gegossen und gedüngt.“
Vor Hochzeit, Taufe und Beerdigung nicht erst bürokratischer Hindernislauf
Die badische Landeskirche hatte vergangenes Jahr die Bürokratie etwa für Taufen und Hochzeiten gelockert, sodass Paare sich beispielsweise an einem Wunschort von ihrem Wunsch-Pfarrer oder der Wunsch-Pfarrerin trauen lassen können. Aus Springharts Sicht geht es dabei um ein Zeichen: „Schön, dass ihr euch trauen lassen wollt, dass ihr euer Kind taufen lassen wollt, dass ihr eure Großmutter beerdigen wollt. Wir sind für euch da und wir sind für euch so da, dass ihr nicht erst mal einen Hindernislauf machen müsst.“
Aktionen wie spontane Hochzeiten oder Taufen, oft gebündelt an einem bestimmten Tag, weckten zudem mehr Aufmerksamkeit, sagte die Landesbischöfin. Sie hätten für manche auch Vorteile. So könne eine spontane Trauung eine größere persönliche Tiefe haben, weil es eine Fokussierung aufs Wesentliche sei. Bei großen Hochzeitsfeiern sei der Gottesdienst ein kleiner Baustein. Springhart betonte aber auch: „Niemand hat die Idee, dass es künftig nur noch Trauungen to go gibt und die klassische Trauung nicht mehr stattfindet.“
Diese Entwicklungen zeigen aus ihrer Sicht vor allem eines: Trotz Trennung von Staat und Kirche und in einer Situation, in der Menschen nicht mehr so ganz selbstverständlich in die Kirche gehen, sei der Segen „als unmittelbare Zuwendung Gottes“ immer noch gefragt.