Mein Kind ist trans* – was nun? Die Autorin Julia Monro berät betroffene Familien und erklärt, wie Eltern bestenfalls reagieren können und welchen Satz sie lieber nicht sagen sollten.
Mit transfeindlichen Äußerungen über seine eigene Tochter hatte Elon Musk jüngst für Schlagzeilen gesorgt. Er weigerte sich etwa, seine trans* Tochter überhaupt als Tochter zu akzeptieren. Sie hat den Kontakt zu ihm schon lange abgebrochen. Die Transgeschlechtlichkeit eines Kindes kann im Umfeld für Unsicherheiten und Spannungen sorgen. Die Autorin Julia Monro hat ein Buch zur Geschlechtervielfalt herausgeben und arbeitet mit betroffenen Familien. Sie weiß, wie es besser geht. Dem stern erzählt sie, was das Schlimmste ist, was Eltern zu ihren trans* Kindern sagen können und verrät, wie diese ihre Kinder bestmöglich unterstützen können.
Frau Monro, Sie arbeiten unter anderem als Beraterin mit trans* Kindern und -Jugendlichen und deren Angehörigen. Kennen Sie solche Fälle wie den von Elon Musk und seiner Tochter?
Ich habe es leider auch schon erlebt, dass Eltern ihre Kinder nach einem Coming Out verstoßen und nichts mehr mit ihnen zu tun haben wollen. Insgesamt ist es aber besser geworden in den letzten Jahren, weil es bessere Beratungsstellen gibt und das Thema geschlechtliche Vielfalt mehr Aufmerksamkeit bekommen hat. Die Menschen sind aufgeklärter als noch vor 20 Jahren. Schwierig wird es meist, wenn ein streng religiöser Hintergrund – sei es christlich, muslimisch oder anderes – hinzu kommt. Diese Kinder stehen unter großem Druck, weil sie in ihren jungen Jahren von den Eltern abhängig sind.
Elon Musk transfeindlich 13.53
Sie leiten einmal im Monat eine Gruppe mit trans* Kindern und Jugendlichen. Mit welchen Themen kommen die zu Ihnen?
Häufig geht es um die Nichtakzeptanz an Schulen. Wenn etwa im Klassenbuch noch der alte Name verwendet wird, ist das sehr verletzend für das Kind. Oder wenn die Schule keine Haltung zeigt, beispielsweise in Mobbing-Situationen. Auch die Toiletten-Situation an Schulen ist problematisch – das alles führt oft dazu, dass das Kind die Schule schwänzt. Dann ist auch der Zugang zur Gesundheitsversorgung immer wieder ein Thema: Wie kriege ich jetzt eine Therapie? Wie geht es weiter mit den Hormonen? Operationen sind meistens erst später ein Thema.
Wie können Sie dann helfen?
Ich fahre zum Beispiel mit an die Schulen, um mit der Schulleitung zu sprechen oder mit jemandem aus der Schulpsychologie und unterstütze mit Argumenten. Manchmal helfe ich auch ganz praktisch, Anträge für die Krankenkasse zu schreiben oder empfehle Therapeut*innen. Es geht in erster Linie aber darum, dass ich ihnen einen Ort biete, wo sie auf andere treffen, die in einer ähnlichen Situation stecken. Damit sie sich austauschen können und sehen: Ich bin nicht alleine.
„Einfach selbst bestimmt. Texte zur Lebensrealität jenseits der Geschlechternormen“ von Julia Monro und Janka Kluge herausgegeben ist im Kiwi Verlag erschienen. Taschenbuch 15,00 Euro.
© PR
Und was beschäftigt die Eltern, die zu Ihnen kommen?
Die meisten Eltern haben Angst um ihr Kind. Sie haben Angst davor, dass das Kind an der Schule gemobbt wird und vor dem schweren Weg, der jetzt vor dem Kind liegt – auch, was eventuelle Operationen angeht. Viele sind auch überfordert, weil es ihnen zu schnell geht. Ich versuche für gegenseitige Empathie zu werben und sage den Kindern dann auch, dass sie den Eltern ein wenig Verständnis entgegenbringen müssen. Denn die sind bei Tag Null. Die Kinder haben im Kopf schon etwa vier bis sieben Jahre mit dem Thema hinter sich, so lange dauert es durchschnittlich vom inneren Coming Out, wenn man weiß, wer man ist, bis zum äußeren, wo man das auch anderen mitteilt.
Welchen Rat geben Sie den Eltern mit?
Orientiert euch am Kind! Wichtig ist, dass ein Dialog entsteht, dass man mit Empathie rangeht. Die Kinder wissen selbst ganz genau, was sie brauchen. Sie sind die besten Expert*innen für sich und geben das Tempo vor. Eltern sollten ihren Kindern das Vertrauen schenken, dass diese in der Lage sind, eigenständige Entscheidungen treffen zu können. Auch das Verantwortungsbewusstsein und die Reflektionsfähigkeit fördern. Eltern sollten sich aber auch selbst reflektieren und sich darüber bewusst werden, dass Kinder nicht dazu da sind, Wünsche und Hoffnungen der Eltern zu erfüllen, sondern komplett eigenständige Individuen sind.
Transidentität bei Kindern^ 20.30
Gibt es denn etwas, was die Eltern tun können, um zu unterstützen?
Das Kind ernst nehmen ist das Allerwichtigste. Es gibt Untersuchungen*, welche Auswirkungen ein unterstützendes Umfeld auf die psychische Gesundheit der Kinder und Jugendlichen hat. Bei trans* Jugendlichen haben 57 Prozent einen Suizidversuch hinter sich, wenn es kein unterstützendes Familienumfeld gibt. Und dieser Wert geht runter auf vier Prozent, wenn die Eltern unterstützen. Ähnliches gilt für Depressionen. Laut der Untersuchung leiden 75 Prozent unter Depressionen, wenn sie kein unterstützendes Umfeld haben. In einem unterstützenden Umfeld sind es nur noch 23 Prozent. Ein sicheres Umfeld zuhause, wo die Kinder einfach sie selbst sein können, ist immens wichtig.
Nehmen wir an, ein Kind sagt: „Mama, Papa, ich bin kein Junge“ oder „Ich bin kein Mädchen“. Wie können Eltern am besten reagieren?
Toll ist es, wenn Eltern gleich wertschätzend reagieren und sagen, dass sie sich freuen, dass das Kind sich ihnen anvertraut. Und dann Fragen stellen: Seit wann ist das so? Was wünscht du dir? Wie kann ich dich unterstützen? Die meisten trans* Kinder wünschen sich vor allem, dass die Namen und Pronomen akzeptiert werden. Es ist sehr verletzend, wenn das nicht geschieht, besonders von Menschen, die einem nahestehen.
Die Autorin Julia Monro berät Kinder und Jugendliche sowie deren Angehörige ehrenamtlich zu Themen rund um geschlechtliche Vielfalt.
© Melanie Grande
Gemeinsam mit Janka Kluge haben Sie dieses Jahr ein Buch herausgebracht. In „Einfach selbst bestimmt“ finden sich mehrere Essays zum Thema geschlechtliche Vielfalt. Unter anderem kommen auch ein betroffenes Kind und ein Elternteil sowie eine Jugendtherapeutin zu Wort. Warum war es Ihnen wichtig, diese Perspektiven zu beleuchten?
Bei Kindern und Jugendlichen wird besonders oft mit Falschinformationen gearbeitet. Es geht dann schnell darum, dass man die Kinder schützen müsse. Das ist die gleiche Debatte, die es auch damals bei den ersten Homosexuellenbewegungen gegeben hat: Alles wird sexualisiert und kriminalisiert. Dann wird plötzlich der Bogen zu Pädophilie oder Ähnlichem gespannt. Dabei geht es nicht um die Sexualität, sondern um die Identität eines Menschen. Beides kann sich in unterschiedlichen Altersphasen entwickeln. Wir wollten dem sachlich etwas entgegenstellen, gerade weil die Kinder so im Fokus stehen und oft nicht ernst genommen werden.
Auch von ihren Eltern nicht?
Leider häufig, ja. Wenn Eltern etwa versuchen, den Kindern zu sagen, was richtig und was falsch ist. „Das ist nur eine Phase!“ und solche Sachen – das ist das Schlimmste, was man den Kindern antun kann, dass sie nicht ernst genommen werden.
FS Transsexuelle Menschen der älteren Generation Ausstellung 0815
Gibt es überhaupt Anzeichen, woran Eltern erkennen könnten, dass eine mögliche Transgeschlechtlichkeit nur eine Phase ist?
Selbst wenn es eine Phase ist, kann man die trotzdem ernst nehmen! Und das Kind im Ausprobieren bestärken, wenn etwa ein Junge einen Rock zur Kita anziehen möchte. Kinder müssen ihre eigenen Erfahrungen machen. Aber stereotype Anzeichen gibt es nicht, nein.
Auf was können Eltern dann achten?
Der soziale Rückzug ist ein großes Thema. Wenn Kinder sich nicht verstanden fühlen, entwickeln sich oftmals auch Essstörungen und Depressionen. Dann ist eine Therapie manchmal schwierig, weil die in erster Linie diese Symptome behandelt und nicht das, was die Kinder eigentlich beschäftigt.
InfoboxUnd wann sollten Eltern professionelle Hilfe holen?
Wenn Kinder eine Transition ernsthaft in Betracht ziehen, sind sie von den Krankenkassen, von den Richtlinien her verpflichtet, eine Psychotherapie anzugehen. Meistens ist das kurz vor der Pubertät, wenn man merkt: Der Körper entwickelt sich jetzt in die falsche Richtung. Das ist der allerspäteste Zeitpunkt für eine Therapie. Aber eine Therapie kann der ganzen Familie helfen: Eine Transition ist ein sehr dominantes Thema, und da schadet es nicht, wenn Eltern für sich auch Beratungsstellen aufsuchen oder eine Familien-Therapie besucht wird.
*Monro bezieht sich auf diese nicht-repräsentative Studie aus dem Jahr 2012. Es gibt jedoch auch andere, aktuellere Studien, die in eine ähnliche Richtung weisen, etwa hier oder hier.