Mit den Abstimmungen in Thüringens Kommunen hat das Superwahljahr 2024 begonnen. Die Ergebnisse sind kein Triumph der AfD – aber eine Warnung. Sogar ein Neonazi schaffte es in die Stichwahl.
Thüringen hat gewählt – und es kam ungefähr so, wie die Umfragen erwarten ließen. In gleich mehreren Landkreisen steht die AfD in der Stichwahl: im Kyffhäuserkreis und im Landkreis Gotha gegen die SPD, in den Landkreisen Altenburg, Sömmerda, Saale-Holzland, Eichsfeld, Greiz und im Wartburgkreis gegen die CDU.
In so einigen Kreistagen und Stadträten dürfte die AfD künftig sogar stärkste Kraft sein. Darauf deuteten die Ergebnisse am Sonntagabend hin, wobei die Auszählungen bis in die Nacht hineinliefen und mancherorts sogar bis Montag andauern sollen.
Gleichzeitig gilt: Die „blaue Welle“, die sich die AfD selbst prophezeit hatte, war nicht so groß wie von ihr erhofft. Einen Sieg in der ersten Runde konnte die Partei in keiner Personalwahl feiern. Die CDU lag im Gesamtergebnis erneut vorn und verteidigte schon in der ersten Runde ihre Oberbürgermeister in Suhl, Altenburg und Weimar.
Dies hatte auch damit zu tun, dass die AfD in einigen Regionen und Städten keine eigenen Kandidaten aufstellte. Hinzu kamen teils schwache Bewerber – und interne Streitigkeiten. So trat die Partei im Landkreis Saalfeld-Rudolstadt mit zwei miteinander konkurrierenden Listen an.
Unterm Strich jedoch legt die AfD erneut stark zu und bestätigte am Sonntag erneut die Erkenntnisse vieler Studien: Sie wird auf dem ostdeutschen Land von einem Teil ihrer Anhänger nicht trotz, sondern wegen ihrer besonders radikalen Ausrichtung gewählt.
Skandale scheinen AfD-Wählern bei der Kommunalwahl weitgehend egal gewesen zu sein
Schließlich hat sich gerade die Thüringer AfD noch nie um Mäßigung bemüht. Schon vor gut drei Jahren stufte sie der Verfassungsschutz deshalb als erste Landespartei als „gesichert rechtsextrem“ ein. Ihr langjähriger Anführer Björn Höcke würde kürzlich vom Landgericht Halle verurteilt, weil er eine NS-Parole skandiert hatte.
Noch unwichtiger sind für viele thüringische AfD-Wähler die Skandale der EU-Spitzenkandidaten Maximilian Krah und Petr Bystron. Die Berichterstattung und die Empörung der politischen Konkurrenz dürfte die Opfererzählung der AfD gar gestärkt haben.
So oder so wird die Besetzung der meisten Landratsposten erst in der zweiten Runde am 9. Juni entschieden – und Thüringen hat zuletzt so einige Erfahrungen sammeln dürften. Werden die meisten Abstimmungen so enden wie vor einem Jahr, im Landkreis Sonneberg, als der AfD-Kandidat Robert Sesselmann die Stichwahl knapp für sich entschied? Oder werden sie eher ausgehen so wie im Januar, als der Christdemokrat Christian Herrgott den AfD-Bewerber mit Unterstützung von SPD und Linker besiegte?
Ein wichtiger Faktor ist, dass die Stichwahlen – so wie die Kommunalwahlen in acht anderen Bundesländern – gemeinsam mit der Europawahl stattfinden. Das dürfte die Wahlbeteiligung erhöhen, wovon wiederum in der Regel die etablierten Parteien profitieren. Zudem geht die AfD in vielen Landkreisen nur vom zweiten Platz aus in die finale Abstimmung.
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Ein Schock in Hildburghausen
Doch der 9. Juni wird trotz der gehäuften Abstimmungen nur das Vorspiel für den politischen Höhepunkt des deutschen Superwahljahres sein: den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg. In allen drei Ländern steht die AfD derzeit in den Umfragen an der Spitze.
Auch wenn eine absolute Mehrheit als äußerst unwahrscheinlich gilt, könnte sie eine Sperrminorität erringen. Besetzte sie mehr als ein Drittel der Landtagsmandate, könnte sie Verfassungsänderungen, Richterwahlen oder eine Parlamentsauflösung blockieren.
Besonders spannend dürfte es wieder in Thüringen werden, jenem Land mit dem einzigen Linke-Ministerpräsidenten und der einzigen Minderheitsregierung. Spätestens seit der Landtagswahl 2019, die zu nie da gewesenen Mehrheitsverhältnissen und schließlich zur Wahl des FDP-Ministerpräsidenten Thomas Kemmerich mit Stimmen der AfD führte, ist Thüringen zum politischen Testgebiet geworden. Von den Abstimmungen hier hängt auch in diesem Jahr in Berlin manches ab – zum Beispiel die Kanzlerkandidatur des CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz. Wie souverän er und die Bundes-CDU nach der Landtagswahl den schwierigen Landesverband handhaben, dürfte wichtig sein für die Frage, ob er die Union als Nummer eins in den Bundestagswahlkampf führt.
Deshalb schaute am Sonntag mal wieder einmal die halbe Republik nach Thüringen, obwohl dort nur gut die Hälfte von gerade einmal 1,74 Millionen Wahlberechtigten abstimmten. Und dabei ging es nicht nur um die größeren Trends, sondern auch um Details.
Einen Schock, der auch bundesweit für Diskussionen sorgen dürfte, gab es in Hildburghausen: Hier kam der bekannte Neonazi Tommy Frenck in die Stichwahl um den Posten des Landrats. Wohl auch weil die AfD nicht antrat, schaffte er es knapp. Nach vorläufigen Zahlen stimmten rund 25 Prozent der Wähler für ihn.