Zwei Elfmeter gehalten, einen selbst verwandelt: Ann-Katrin Berger wurde zur Matchwinnerin der deutschen Nationalmannschaft gegen Kanada. Ein weiteres Kapitel eines Märchens, das so düster begonnen hatte.
Zwölf Stunden nach ihren Elfmeter-Heldentaten stieg Ann-Katrin Berger für die Fortsetzung ihrer märchenhaften Olympia-Reise in den Team-Bus von Deutschlands Fußballerinnen gen Lyon. Ein paar Meter entfernt staunte Marina Hegering noch immer über ihre Torhüterin. „Eiskalt, gnadenlos, mega. Es war absolut bemerkenswert. Hut ab, das ist einzigartig“, sagte die Abwehrchefin vor der Abfahrt. Geschafft, aber auch gestärkt vom Viertelfinal-Krimi in Marseille gegen Kanada geht das Team von Bundestrainer Horst Hrubesch nun in das Olympia-Halbfinale am Dienstag (18 Uhr) gegen die USA.
„Ich habe das Gefühl, dass wir das unbedingt gebraucht haben. Einfach unsere Mentalität mal zu testen, vor allem bei so einem Turnier. Ich glaube, das wird uns einen großen Schub geben fürs nächste Spiel“, sagte Berger. Die 33-Jährige hatte nach torloser regulärer Spielzeit und Verlängerung zwei Schüsse vom Punkt gehalten und den entscheidenden Elfmeter zum 4:2 nervenstark selbst verwandelt.
Ann-Katrin Berger bekam zwei Krebsdiagnosen in nur vier Jahren
Für Berger ist es ein „Happy Ending“ wie sie selbst sagt. Das glückliche Ende einer Reise, die vor wenigen Jahren wohl die Wenigsten für möglich gehalten hätten. 2017 wurde bei der heute 33-Jährigen eine aggressive Form von Schilddrüsenkrebs diagnostiziert. Ein Tiefschlag. Doch Berger kannte nur eine Reaktion – ganz Torhüterinnen-like – sie stand wieder auf. In Rekordzeit kämpfte sie sich zurück. Stand schon wenige Monate nach der Diagnose wieder im Kader ihres damaligen Vereins Birmingham City. Vier Jahre blieb sie krebsfrei. Interview Berger 2005
Bei ihrer letzten Untersuchung mitten während der EM 2022 dann der Schock: wieder Anomalien im Blut. Wieder Krebs. Wieder die Schilddrüse. Und wieder tat Berger das, was sie am besten kann: Kämpfen. Sie behielt die Diagnose für sich, wollte das Team nicht verunsichern vor dem großen Finale gegen England. Und sie blieb, um sich abzulenken. „Zuhause wäre ich verrückt geworden“, sagte sie 2023 im Interview mit dem stern.
„Ich habe versucht, den Krebs wie ein Spiel zu sehen, das ich unbedingt gewinnen muss.“ Platz für Zweifel bleibt nicht. Sie gegen den Krebs – das wichtigste Spiel ihres Lebens – und genauso ging sie mit der Krankheit und der Therapie um. „Den Therapieplan habe ich abgearbeitet wie einen Trainingsplan. Ohne Fragen zu stellen, ohne zu zweifeln. Die Ärzte haben die Taktik vorgegeben, und ich bin marschiert.“
Und wie sie marschiert. Nur zwei Tage nach der ersten Bestrahlung steht Berger schon neben ihrem Bett, macht Dehnübungen um biegsam zu bleiben. Sie will unbedingt zurück auf’s Feld, zurück zwischen die Pfosten ihres damaligen Vereins FC Chelsea. In Rekordzeit absolviert sie die Reha, nach nur drei Monate steht sie wieder auf dem Rasen. Sie kämpft sich zurück an die Weltspitze. Im April 2024 wechselt sie nach New York, ist von Beginn an Stammspielerin. Drei Monate später beruft sie Nationaltrainer Horst Hrubesch für die Olympischen Spiele.
„Ich hätte niemals gedacht, dass ich hier spielen werde. Jetzt, wo wir so weit gekommen sind, macht es natürlich schon Sinn, ins Finale zu kommen“, sagte sie in den Katakomben des Stade Vélodrome nach dem Spiel gegen Kanada und ergänzte: „Bei jedem Sportler ist die Goldmedaille das Happy End. Das wäre so das perfekte Märchen.“
Hrubesch schätzt USA stärker ein als Kanada
Zuvor geht es für das Hrubesch-Team aber noch gegen einen „richtig starken Gegner“. Die USA hatten die DFB-Frauen im zweiten Vorrundenspiel mit 4:1 abgefertigt. Auch der Bundestrainer meinte nach dem Kraftakt gegen Tokio-Olympiasieger Kanada: „Am Ende des Tages würde ich die Amerikanerinnen ein Stück weit höher einschätzen. Mal sehen, ob sie uns noch mal so nehmen – oder ob wir das ändern können. Der Job, den meine Mädels machen, ist sensationell gut.“ Die Amerikanerinnen mussten gegen Japan allerdings ebenfalls in die Verlängerung. Frauenfußball_Olympia17.40
Auch für den 73-Jährigen lebt der Traum vom Endspiel im Pariser Prinzenpark weiter. „Noch ein Sieg, dann haben wir eine Medaille sicher“, sagte DFB-Sportdirektorin Nia Künzer. Schließlich gibt es auch noch das Spiel um Platz drei.
Popp staunt über „Maschine im Tor“
Die Ex-Weltmeisterin nannte Berger eine „ziemlich coole Socke“. „Wir haben eine Maschine im Tor“, sagte Kapitänin Alexandra Popp nach dem Abpfiff staunend. „Und dass sie dann eiskalt den selber noch reinmacht – Chapeau, da ziehe ich meinen Hut vor, dass man dann da noch so kaltschnäuzig ist.“ Dabei war es Bergers erster Elfmeter überhaupt, den sie in einem Spiel schoss.
Berger selbst hätte beinahe sogar einen Schuss vom Punkt gehalten, der Ball kullerte aber unter ihrem Oberkörper noch ins Netz. „Es war ein cooles Gefühl, es hat Spaß gemacht“, kommentierte sie ihren denkwürdigen Auftritt.
Hrubesch nahm die Keeperin danach in – und auf den Arm. „Der hat mich zur Schnecke gemacht, warum ich nicht noch den dritten Elfmeter gehalten habe. Er ärgert mich immer gerne: Halt doch mal die Bälle fest, sagt er“, berichtete Berger lächelnd und scherzte: „Ich wollte ihn nicht halten, weil ich auch noch selbst schießen wollte.“
Mit ihrem Coup machte Berger auch ihre Herzensfrau überglücklich. Jessica Carter, die wie die Nationaltorhüterin beim US-Club NJ/NY Gotham FC unter Vertrag steht, postete bei Instagram die TV-Bilder der entscheidenden Szenen und schrieb dazu: „Thats my Fianceeee!!!!!!!!“ – „das ist meine Verlobte“.
Berger und Carter spielten jahrelang beim FC Chelsea und gewannen dort die englische Meisterschaft. Die Torfrau wechselte im Frühjahr in die USA, die 26 Jahre alte Defensivspielerin machte ihren Transfer vor einigen Tagen perfekt. Ihre Verlobung hatten sie im Mai bekanntgegeben.