Eigentlich bestimmt der Mond, wie schnell sich die Erde dreht und wie lang ein Tagdauert. Aber auch der Klimawandel dreht an unseren Uhren. Haben wir bald mehr Zeit?
Ökologisch gesehen, sind steigende Temperaturen, schmelzende Eisberge und kippende Ökosysteme ein Desaster. Die meisten fürchten sich deshalb zurecht vor dem menschengemachten Klimawandel. Doch manchmal verursacht die globale Erderwärmung auch Phänomene, die eher überraschend als bedrohlich sind – zum Beispiel längere Tage. Ein Gespräch mit Benedikt Soja von der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich, der genau das mithilfe von Satellitendaten nachweisen konnte.
Herr Soja, Sie konnten zeigen, dass der Klimawandel unsere Tage länger macht. Haben wir künftig mehr Zeit am Tag?
(lacht) Klar hätten wir gerne mehr Zeit, um Dinge zu erledigen, aber so schnell wird das nicht passieren.
Laut Ihrer Studie verlängern sich die Tage immer schneller.
In den letzten zwei Jahrzehnten hat sich der Trend tatsächlich beschleunigt. Im 20. Jahrhundert wurden die Tage durchschnittlich um 0,3 Millisekunden länger, jetzt sind es bereits 1,3 Millisekunden pro Jahrhundert. Je nach Klimaszenario könnte sich die Zahl in den kommenden Jahrzehnten noch verdoppeln. Bisher hat vor allem der Mond bestimmt, wie schnell sich die Erde dreht. Der Klimawandel könnte jedoch zum dominierenden Faktor werden, weil er die Rotation des Planeten weiter verlangsamt.
Das müssen Sie erklären.
Das ist einfache Physik. Ein Beispiel: Wenn ein Eiskunstläufer die Arme um seinen Körper schlingt, werden seine Pirouetten schneller. Streckt er Arme und Beine aus, wird er langsamer. So ähnlich funktioniert das auch mit der Erde. Durch den Klimawandel schmilzt das Eis an den Polen, unseren Drehachsen. Das Wasser verteilt sich über den ganzen Planeten Richtung Äquator. Der Planet dreht sich langsamer, die Tage werden länger.PAID Geo-Engineering
Und die maximale Tageslänge ist erreicht, wenn das Eis vollständig geschmolzen ist?
Dann würde wieder der Mond die Oberhand gewinnen. Dieser verlangsamt die Erdrotation, bis ein Tag so lange dauert wie eine Umkreisung des Mondes um die Erde. Derzeit dauert das etwa einen Monat. Das wird die Menschheit aber nicht erleben.
Die Menschen haben es geschafft, dass der Klimawandel die Erdrotation dominiert.
Eiszeiten kamen und gingen, die letzte endete Mitte des 19. Jahrhunderts. Das Klima hat wohl schon immer an unseren Uhren gedreht?
Es gab immer wieder Phasen, in denen Klimaveränderungen die Drehgeschwindigkeit der Erde beeinflusst haben. Aber erst die menschengemachte Erderwärmung führt dazu, dass diese Veränderungen viel schneller passieren und sich deutlicher bemerkbar machen.
Wirklich? Studien zeigen, dass die Tage auf unserem Planeten einst zehn Stunden lang waren.
Das ist Milliarden Jahre her. Seitdem hat sich die Erde immer langsamer gedreht, weil sich die Oberfläche des Planeten verändert hat – zum Beispiel durch die vom Mond verursachten Gezeiten. Der Effekt hält weiter an, deshalb dauern unsere Tage mittlerweile 24 Stunden und werden in ferner Zukunft noch deutlich länger werden. Auch das würde Milliarden Jahre dauern. Die Menschen haben es jedoch geschafft, dass der Klimawandel die Erdrotation innerhalb weniger hundert Jahre dominiert.
Was bedeuten längere Tage für uns?
Die Zeitmessung beruht zwar auf der Erdrotation, aber weil sich die schon immer verändert, wurde die Schaltsekunde eingeführt. Damit gleichen wir Unregelmäßigkeiten aus (ähnlich wie mit dem Schalttag alle vier Jahre im Februar, Anm. d. Red.). Aber je länger der Klimawandel anhält, desto mehr Schaltsekunden wird es geben.IV Klimawandel erhöht Risiko für Erdbeben 6.10
Das ist wirklich notwendig?
Ohne die korrekte Berücksichtigung der Erdrotationsschwankungen würden Navigationssysteme auf See und im All kaum noch funktionieren. Gerade in der Raumfahrt spielt die genaue Zeit eine große Rolle. Hier auf der Erde mögen es wenige Millisekunden sein, aber Hunderttausende Kilometer im Weltraum entfernt, macht diese kleine Zeitverschiebung einen großen Unterschied. Wenn Astronauten zum Mars reisen, dann könnten wenige Sekunden auf der Erde dazu führen, dass die Rakete ohne Kurskorrektur mehrere Kilometer von ihrem Ziel entfernt landet. Auf der Erde würden bei fehlerhaft implementierten Schaltsekunden die Internet-Kommunikation und Geldflüsse stocken, weil sich das Netz nicht mehr synchronisiert und die Systeme gestört wären.
Wie lang werden unsere Tage Ende des Jahrhunderts denn nun sein?
Zu unseren täglichen 86.400 Sekunden kommen ein paar wenige Millisekunden hinzu. Den Unterschied werden wir im Alltag kaum bemerken, denn bis ein Tag 25 Stunden lang ist, wird es etwa hundert Millionen Jahre dauern.