Diese Angelique Kerber erinnert an große Erfolge. Auf der Abschiedstournee bleibt die Tennisspielerin nach drei Siegen bei Olympia im Medaillenrennen. Darauf hätte wohl keiner gewettet.
Ungläubig schüttelte Angelique Kerber angesichts der Chance auf ein märchenhaftes Karriereende bei den Olympischen Spielen den Kopf. Mit dem nächsten verblüffend imposanten Auftritt erinnert sie in Paris an ihre Glanzzeiten und weckt mit dem Viertelfinaleinzug Hoffnungen auf eine Medaille bei ihrem letzten Turnier. Wie Alexander Zverev ist Kerber noch im Rennen. Der Tokio-Olympiasieger riss nach seinem 6:3, 7:5 gegen den Tschechen Tomas Machac und Problemen mit der enormen Hitze die Arme in die Höhe und will Kerber nun mit einem Achtelfinalerfolg gegen den Australier Alexei Popyrin folgen.
Das 6:4, 6:3 gegen die frühere kanadische US-Open-Finalistin Leylah Fernandez feierte Kerber mit erhobenem Zeigefinger. Ganz so, als wolle die populärste deutsche Tennisspielerin der vergangenen Jahre andeuten, dass mit ihr nach ernüchternden Monaten voller früher Niederlagen in Paris noch einmal zu rechnen ist. In der Form ist auch der Halbfinaleinzug gegen die an sechs gesetzte Chinesin Zheng Qinwen möglich.
„Nee“, antwortete die Olympia-Zweite von 2016 in Rio de Janeiro auf die Frage, ob sie sich ihre Leistungen dieser Tage selbst erklären könne. „Ich hätte vor einer Woche nicht gedacht, dass das jetzt alles hier so laufen wird. Besser hätte ich es mir nicht vorstellen können.“
Kerber schafft Bestmarke
Zwei Siege fehlen ihr noch zu Edelmetall. „Es macht Spaß. Und ich werde versuchen, natürlich noch so viele Matches zu bekommen, wie ich kann“, sagte die 36-Jährige, für die im Doppel allerdings Schluss ist. Wenige Stunden nach ihrem Einzel verlor sie an der Seite von Laura Siegemund das Erstrundenspiel gegen die Britinnen Heather Watson und Katie Boulter 2:6, 3:6.
Vor nicht einmal einer Woche hatte Kerber bekanntgegeben, dass sie nach den Sommerspielen aufhören werde. Jetzt spielt sie so grandios auf wie nie nach ihrem Comeback als Mutter.
Und mit dem dritten Viertelfinaleinzug bei Olympischen Spielen nach 2012 und 2016 ist die dreimalige Grand-Slam-Turniersiegerin in dieser Statistik so erfolgreich wie kein anderer deutscher Tennisprofi – egal ob bei den Damen oder Herren – vor ihr. Auch international hat keine Spielerin öfter die Runde der besten Acht erreicht, seitdem Tennis seit 1988 wieder olympisch ist. Kerber zog mit der Spanierin Arantxa Sánchez Vicario gleich.
Wie befreit nach angekündigtem Rücktritt
„Nach der Entscheidung bin ich wirklich erleichterter geworden“, sagte Kerber. „Und ich habe das Gefühl, dass ich tatsächlich ein bisschen entspannter bin“, fügte sie an: „Ich weiß, es geht nicht nach Kanada, es geht nicht mehr in den Flieger nach Amerika. Und ich glaube, deshalb weiß ich auch, ich kann noch mal alles hier lassen, weil ich danach einen etwas längeren Urlaub habe und dann regenerieren kann.“
Noch bei ihrem Lieblingsturnier in Wimbledon hatte sie auf dem Platz einen besorgniserregenden Eindruck hinterlassen. Befreit vom Druck zeigte die Kielerin im Linkshänderinnen-Duell mit der 15 Jahre jüngeren Fernandez nun eine Leistung, die seit ihrem Comeback zum Saisonbeginn in dieser Konstanz kaum zu sehen war.
Mit den zwei gewonnenen Runden hatte Kerber in Paris Selbstvertrauen zurückgewonnen. Die einstige Nummer eins der Welt leistete sich im ausgeglichen ersten Satz weniger Fehler als die Weltranglisten-25. und scheuchte die Kanadierin immer wieder geschickt über den Court. Sie konnte die Führung des ersten Breaks zum 2:1 zwar zunächst nicht verteidigen, nahm Fernandez zum 4:3 aber noch einmal entscheidend den Aufschlag ab.
Kerber imponiert Fernandez
Einen Tag nach den anstrengenden drei Sätzen gegen die Rumänin Jaqueline Cristian trotzte Kerber auch der Mittagshitze. Der erste Satzgewinn schien sie weiter zu beflügeln. Kerber wurde immer besser und erstaunte mit starken Punktgewinnen. Zum 1:1 gab sie noch einmal ihren Aufschlag ab, dann aber zog sie der nicht konstant spielenden Fernandez davon.
„Sie spielt großartig. Sie ist ein Champion“, lobte Fernandez beeindruckt: „Ich hoffe, dass sie ihr letztes Turnier mit einem großen Hurra beendet.“ Sandplätze waren für Kerber nie ihr Lieblingsbelag. Die French Open für sie meist alles andere als ein erfolgreicher Schauplatz.
„Ich denke, egal, wie es jetzt hier weitergeht, ich glaube, dass Paris und ich doch noch mal in Frieden auseinandergehen“, sagte Kerber nun: „Und am Ende habe ich hier auch mein erstes WTA gewonnen, wenn ich zurückschaue.“