Ein Wust an Vorschriften regelt das Bauen. Die Landesregierung ist bereit, den Rotstift anzusetzen. Fachleute haben bereits Vorschläge eingereicht. Wann ändert sich konkret etwas?
Fachleute fordern eine grundlegende Reform der Hessischen Bauordnung: Vorschriften, die Bauvorhaben verhindern, verzögern oder verteuern, sollen überarbeitet oder gestrichen werden. Die Landesregierung zeigt sich offen für den Bürokratieabbau. Eine Kommission sichtet seit Mitte des Jahres die Reformvorschläge.
„Die Vereinfachung der Hessischen Bauordnung ist ein zentrales Thema, das derzeit mit Hochdruck bearbeitet wird“, hieß es vom Ministerium. „Im Herbst findet hierzu die dritte Sitzung der Kommission „Innovation im Bau“ statt, bei der die Schwerpunkte der Novellierung besprochen und erarbeitet werden sollen.“
Ziel: Gefahrenabwehr
Bauvorschriften dienen der Abwehr von Gefahren: Sie sollen verhindern, dass das Gebäude einstürzt oder abbrennt, dass es darin zu laut ist oder zu heiß oder kalt wird. Im Laufe der Jahre wuchs dieses Regelwerk immer weiter an, aber nichts fiel weg.
Die Hessische Bauordnung (HBO) hat 93 Paragrafen, sie ist aber nur der Rahmenvertrag. Die Details regeln die „technischen Ausführungsbestimmungen“ – in Hessen umfassen sie 581 Seiten. Dazu kommen Vorgaben der EU, des Bundes und der Kommunen. Wie groß die Gesamtzahl der Bauvorschriften ist, weiß niemand, kolportiert wird die Zahl 20.000.
Inzwischen seien die teils widersprüchlichen Bestimmungen so umfangreich, „dass wir aufpassen müssen, dass wir uns damit nicht selbst strangulieren“, sagt der Hauptgeschäftsführer die Architekten- und Stadtplanerkammer, Martin Kraushaar.
Was sich Praktiker wünschen
Ende 2023 hatte die Kammer ihre Mitglieder befragt, was helfen würde, damit mehr gebaut würde. Ganz oben auf der Liste: Bauordnung und DIN-Normen entschlacken. Die Vorschläge zielen nur selten darauf, etwas komplett zu streichen. Eine Idee ist etwa die Beweislastumkehr: Man darf im konkreten Einzelfall von der Norm abweichen, wenn niemand anzweifelt, dass das sinnvoll ist.
Wichtig ist der Architektenkammer, dass bei der Reform nicht eine Super-Norm herauskommt, die regelt, wann welche Regeln nicht gelten, wie Kraushaar sagt.
Wie kann Bauen einfacher, schneller und günstiger werden?
„Der Weg von der Planung bis zur fertigen Wohnung ist oft zermürbend: zu lang, zu mühsam und zu teuer“, sagt Axel Tausendpfund, Vorstand des Verbands der Südwestdeutschen Wohnungswirtschaft (VdW), in dem rund 200 Wohnungsunternehmen in Hessen und dem südlichen Rheinland-Pfalz organisiert sind.
Tausendpfund sieht vor allem drei große Hebel, wie durch Änderungen in der HBO Bauen erleichtert wird – vor allem, wenn es um das Aufstocken bestehender Gebäude und den Ausbau von Dachgeschossen geht. Hier liege in Ballungszentren „ein Riesenpotenzial“. Allein im Rhein-Main-Gebiet könnten so 240.000 Wohnungen entstehen.
Drei große Hebel
Punkt eins: Stellplätze. Auch bei Aufstockung oder Ausbau müssten pro neuer Wohnung bis zu zwei Parkplätze geschaffen werden. In der Stadt gehe das oft nur mit Tiefgarage, dort habe aber kaum jemand zwei Autos. „Wir müssen Stellplätze schaffen, die niemand braucht“, so Tausendpfund. Die Kosten dafür verteuerten die Miete.
Beispiel zwei: Wenn jemand ein Gebäude aufstockt, sollten die aktuellen Anforderungen an den Lärm- und Brandschutz sowie an die Barriere-Armut nicht für den bestehenden Gebäudeteil gelten. Denn müsse dort groß umgebaut werden, sei das oft so teuer, dass von den Vorhaben Abstand genommen werde.
Vorschlag drei beschreibt Tausendpfund als „gut ist gut genug“: Unter anderem beim Schallschutz gingen die Anforderungen heute „weit über das nötige Maß hinaus“. Deutschland baue die dicksten Geschossdecken in ganz Europa. Das sei schlecht für die CO2-Bilanz und mache das Bauen unnötig teuer. Die HBO sollte daher nur Mindeststandards festlegen.
„Ein dickes Brett“
Dass die Landesregierung das Thema anpacke, sei „dringend nötig“, findet der Chef der Architektenkammer Kraushaar. Wie sie es anpacke – indem sie Fachleute in die Kommission einbinde – sei „klug gemacht“. Der Zeitplan sei „ambitioniert, denn das ist schon ein dickes Brett“.
Kommissionsmitgliedern zufolge soll die Reform 2025 beschlossen werden. Auch Tausendpfund hofft, „dass es mit hohem Tempo weitergeht“.
Ob das klappt, bleibt abzuwarten. Hessens Wirtschaftsminister Kaweh Mansoori (SPD) hat sich gerade von seiner Staatssekretärin Lamia Messari-Becker getrennt. Die Bauingenieurin hatte die Kommission „Innovation im Bau“ einberufen und das Ziel formuliert: „Neben der vollständigen Digitalisierung der Bauantragstellung müssen auch die Regelungen des Hessischen Bauordnungsrechts sowie die technischen Baustandards auf den Prüfstand.“