Ein aufgespießter Fischer, eine Insel-Kindheit im zweiten Weltkrieg und Gefühle wie ein Tropensturm – diese Buch-Tipps aus der stern-Redaktion passen in jedes Gepäck.
1. Kuschel-Krimi und Culture Clash: Ein Italiener ermittelt in Norddeutschland
Daniele Palu: „Marconi und der tote Krabbenfischer. Ein St.-Peter-Ording-Krimi“, Rowohlt Taschenbuch, 400 S., 13 Euro
Sind nicht schon alle Krimiecken entlang von Nord- und Ostsee abgegrast? Nein, das belegt eindrucksvoll der Start der „Marconi“-Reihe von Daniele Palu. Der Autor ist wie sein Hauptprotagonist selbst italienischer Abstammung und verleiht dem frisch nach St. Peter Ording gezogenen Kommissar eine schöne südlich-ungeduldige und vom schlechten Nordseewetter genervte Komponente. Der Fall, den Marconi zu lösen hat, besitzt einen durchaus realen Hintergrund und vermittelt auch viel Wissen. Die feine Mischung aus norddeutscher Gelassenheit und italienischem Temperament vermengt der Autor bzw. Commissario Merconi schließlich auch noch zu leiblichen Genüssen á la Spaghetti Krabbonara – Buon appetito. Helmut Broeg
2. Gefühlsstürme auf Rügen: Nach dem Hit „22 Bahnen“ geht es nun um die zweite Schwester
Caroline Wahl: „Windstärke 17“, Dumont, 256 S., 24 Euro
Das Handy im Flugmodus, einen „Wutklumpen“ im Bauch und ein „Sprich mich nicht an“-Gesicht: Nach dem Tod ihrer alkoholkranken Mutter weiß die junge Ida nicht, wohin. Auf der Flucht vor dem Leben und vor sich selbst landet sie schließlich an der Ostsee. Dort stürzt sie sich immer wieder ins eiskalte Wasser und in eine Verliebtheit zu einem unergründlichen DJ namens Leif. Während des Sommers findet Ida trotz Hurrikan-Stimmungslage auf Rügen eine Ersatzfamilie. Schon in ihrem Debüt „22 Bahnen“ verwebte Caroline Wahl gekonnt abgefuckte Alltags-Realität mit hoffnungsfrohen Glücksmomenten und verkaufte damit über 100 000 Exemplare. Auch der Nachfolger „Windstärke 17“ steht nun seit Wochen auf den Bestseller-Listen. Vor allem bei jungen Frauen trifft die Autorin einen Nerv, sie fühlen sich durch ihre Bücher an die irische Bestseller-Autorin Sally Rooney erinnert. Eine Online-Rezensentin bringt den Hype um Wahls Bücher mit den Worten ihrer Generation auf den Punkt: „Ich hab‘s gefühlt.“ Jana Felgenhauer
3. Benedict Wells: erst traumatisiertes Kind, später Erfolgs-Autor
Benedict Wells: „Die Geschichten in uns“, Diogenes, 400 S., 26 Euro
Für diese Geschichte fehlten dem Schriftsteller Benedict Wells lange die Worte. In seinem neuen Buch „Die Geschichten in uns“ enthüllt er seine Familiengeschichte voller Brüche und Traumata. In einer Mischung aus Schreibratgeber und Memoiren offenbart der 40-Jährige, wie seine Kindheit als Sohn einer manisch-depressiven Mutter sein Geschichtenerzählen prägte. Ein berührendes Buch über Verlust und das Weitermachen. Wells erzählt von der rettenden Kraft der Literatur, in der wir uns manchmal wiedererkennen und Trost finden können – wie er es selbst erlebt hat. Hannes Roß
4. Zwischen den Kulturen – eine Schwangere reist zurück zu ihren Wurzeln
Mirrianne Mahn: „Issa“, Rowohlt, 304 S., 24 Euro
Mit Witz, Lässigkeit und viel Gefühl erzählt Mirrianne Mahn wie die schwangere Issa nach Douala fliegt, um an jahrhundertealten, heilsamen Ritualen teilzunehmen. Issas Zerrissenheit zwischen ihrem Leben in Deutschland und ihrer Heimat Kamerun schwingt dabei immer mit. Ganz gleich ob sie beiläufig Unterschiede kommentiert oder in Gedanken versunken ihren bisherigen Lebensweg reflektiert. Unterbrochen wird die Erzählungen durch die Schicksalsgeschichten von fünf ihrer Ahninnen, die alle schließlich in Issa münden. Ein eindrucksvolles Debüt! Lone Grotheer
5. Flirten für Fortgeschrittene: Millennials im Liebeskarussell
Emily Henry: „Funny Story“, Ü: Katharina Naumann, Silke Jellinghaus, Knaur, 464 S., 18 Euro
Sie gilt als Retterin der romantischen Komödie: Die amerikanische Autorin Emily Henry hat über 2,4 Millionen Bücher verkauft und wird als Nachfolgerin von Nora Ephron gehandelt. Typisch für einen Roman von Henry ist das Spiel mit Genre-Konventionen. Idyllische Kleinstädte, Protagonistinnen mit Jobs wie Reisebloggerin oder Kinderbuch-Bibliothekarin, dazu ein attraktiver Love Interest – auf den ersten Blick wimmelt es vor Klischees. Doch Henry verpasst ihnen augenzwinkernd einen modernen Anstrich. Ihre Millennial-Charaktere dürfen sich zudem auch mit Themen wie Mental Health oder den Schwierigkeiten von Freundschaften im Erwachsenalter beschäftigen. Fünf ihrer Bücher sind bereits für Film-Adaptionen verkauft worden, darunter auch Henrys neuestes Werk „Funny Story“. Darin muss Daphne eine brutale Trennung verarbeiten: Ihr Verlobter hat sie kurz vor der Hochzeit für seine beste Freundin verlassen˘… Natürlich gibt’s ein Happy End aber der Grund, warum man Emily Henry lesen sollte, ist, weil der Weg dorthin so viel Spaß macht. Ihre große Stärke sind Dialoge, die Flirts und Insider-Witze klingen bei ihr wie aus dem echten Leben gegriffen – nur lustiger. Sarah Stendel
6. Eine Kindheit während des zweiten Weltkrieges und eine Insel-Hommage
Hark Bohm: „Amrum“, Ullstein, 304 S., 23,99 Euro
Es sind die letzten Wochen des Zweiten Weltkriegs, und der zehnjährige Nanning braucht Essen. Er wohnt auf Amrum, das Friesenhaus teilt er sich mit der hochschwangeren Mutter, der Tante, den jüngeren Geschwistern. Der Vater fehlt, er lebt in Hamburg. Weil die Nahrung auf der Nordseeinsel knapp ist, ziehen Nanning und sein bester Freund los, welche zu suchen. Die beiden helfen der Bäuerin bei der Kartoffelsaat und werden mit Milch und Hühnerfutter entlohnt. Sie fangen Schollen, im Kniepsand und auf See, nur mit Mühe schaffen sie es wieder an Land. Sie lernen, Kaninchen das Fell über die Ohren zu ziehen. Mit einem alten Insulaner geht Nanning sogar auf Seehundjagd, der Junge muss als Köder herhalten. So wird Nanning zum Ernährer der Familie. Eine große Verantwortung, doch die Insel gibt ihm zugleich Freiheit und Abenteuer. Mit „Amrum“ erzählt Hark Bohm die dramatische Geschichte einer Kindheit, die vielleicht seine eigene ist. Wie Nanning wuchs auch der Filmemacher, Drehbuchautor und Schauspieler in Norddorf auf Amrum auf, bevor er mit zwölf in nach Hamburg zog. Sein erster Roman, geschrieben mit dem Schriftsteller Philipp Winkler, ist eine Reise in eine Zeit und an einen Ort, die es nicht mehr gibt. „Das ganze Geld, das der Tourismus der Insel gebracht hat. Das hat alles verändert“, sagt Bohm. „Es war ein anderes Amrum damals, karger, einfacher. Und jeder kannte jeden.“ Das Buch bringt einem die Insel von damals näher. Egal, wo man gerade Urlaub macht. Gunnar Herbst
7. Geklauter Erfolg: Wie lange kann das gut gehen?
Rebecca F. Kuang: „Yelloface“, Ü: Jasmin Humburg, Eichborn, 384 S., 24 Euro
Ein Abend – und durch. Wenn mir das mit einem Urlaubsbuch gelingt, ist es ein gutes Urlaubsbuch. Rebecca F. Kuang setzt in „Yellowface“ die Themen, über die, wie ich finde, nicht genug geschrieben und gelesen werden kann: Identität, Herkunft, Verortung, wer bin ich, was möchte ich, wie weit gehe ich – und im Zweifel guckt das Internet auch noch zu. Sie macht das bissig, lustig, schnell. Im Mittelpunkt stehen zwei Autorinnen. Die eine, June, ist eine weiße Amerikanerin und erfolglos, die andere, Athena, chinesisch-amerikanisch und erfolgreich. Letztere stirbt plötzlich (kein Mord, trotzdem außergewöhnliche Umstände), ihre Freundin/Feindin ist dabei und schnappt sich das Manuskript des neuesten Werks. Was dann passiert, kann man sich denken: June gibt das Buch als ihr Buch heraus und wird gefeiert. Doch wie lange hält die Party an? Kann sie ihre Story durchziehen? Hat das Social Web nicht sowieso immer seine eigene Meinung? Was soll all der Hass? Happy Hochsommer! Laura Lena Förster
8. Spaziergänge durch die Geheimnisse der Nacht. Ein Sachbuch.
John Lewis-Stempel: „Wandern bei Nacht – Was wir in der Dunkelheit erleben können“, Ü: Sofia Blind, Dumont, 128 S., 22 Euro
Richtig dunkel wird es in den Hochtagen des Sommers nur selten. Warum es sich trotzdem lohnt, auch in kürzeren Juli- und Augustnächten draußen unterwegs zu sein, schildert John Lewis-Stempel in seinem, nun, erhellenden Sachbuch „Wandern bei Nacht“. Der Brite, einer der feinfühligsten Naturschriftsteller der Gegenwart, streift mit seiner Labrador-Hündin regelmäßig durch die Gegend, möglichst weit entfernt von den Straßenlaternen der Zivilisation. Weil die Dunkelheit aus der vertrauten Welt einen abenteuerlichen Kontinent formt, von dem man mit wundersamen Entdeckergeschichten zurückkehrt.
Die Nacht duftet stärker und klingt anders. Man kann fremdartigen Tieren begegnen, jeder Graben wirkt plötzlich wie eine abgrundtiefe Schlucht. „Wir gingen weiter, mein Schatten im Zwielicht so dünn wie Gemüsebrühe“, schreibt Lewis-Stempel und man wünscht sich bei der Lektüre, dass sein Land der Schatten noch ein wenig länger von der Sonne verschont bleibt. „Und hoch oben über mir meinte ich, kreisende Mauersegler wahrzunehmen – jene Vögel, die im Flug schlafen. Aber vielleicht auch nicht. Vielleicht sollten wir gar nicht um alle Geheimnisse der Nacht wissen.“ Matthias Schmidt