Warum die AfD gern so falsch von „Ost-Wahlen“ spricht – obwohl Sachsen, Thüringen und Brandenburg sehr verschiedene Länder sind.
Neulich war ich im Havelland. Ich wollte etwas schreiben über den CDU-Spitzenkandidaten in Brandenburg, den jetzt ein paar mehr Menschen kennen, nachdem er betrunken mit einem Elektroroller durch Potsdam kurvte.
Es wurde eine der angenehmeren Dienstreisen. Die Sonne schien milde über die abgeernteten Felder, auf denen säuberlich aufgereiht Strohballen lagen. Der See am Dorfrand, bei dem ich zwischen zwei Terminen vorbeischaute, war sauber und zumindest am Ufer angenehm warm. Leider hatte ich keine Badehose eingepackt.
Brandenburg ist für mich ein Land voller freundlicher Erinnerungen. Die Radtouren durch die Uckermark. Die Wanderungen um Schloss Rheinsberg. Die Schwimmversuche der Kinder im Schwielowsee. Ähnlich wie Mecklenburg oder die Ostsee ist dieses schöne Land für mich die Entsprechung von Urlaub.
Als ich durch die vielen stillen Dörfer hindurch fuhr, fühlte es sich wie Heimat an – und doch gleichzeitig wie die Fremde.
Den Menschen aus dem Havelland mag es ähnlich ergehen, wenn es sie in den Thüringer Wald verschlägt, wo ich aufgewachsen bin. In der DDR waren die Alternativen im Ausland für die meisten entweder versperrt oder zu teuer.
Warum ich das erzähle?
Weil das, was in einem Teil Deutschlands für 40 Jahre geschah, und auch für inzwischen 34 Jahre danach, natürlich die dort geborenen und immer noch lebenden Menschen geprägt hat. Auf der Basis gemeinsamer Erfahrungen bildeten sich ähnliche Haltungen – und, dies ist das Entscheidende, ähnliche ökonomische, soziale und demographische Strukturen.
Von wegen neue Länder. Alte Königreiche!
Dennoch ist das, was unter Ostdeutschland oder Osten subsumiert wird, eben nur eine von mehreren Folien. Es liegen noch einige darunter. Zum Beispiel Brandenburg: Von hier aus entstand das Königreich Preußen und schließlich das wilhelminische Reich.
Sachsen wiederum war ein absolutistisch geführtes Kurfürstentum, das zeitweise über Polen herrschte und sich schließlich Königreich nennen durfte. Thüringen bildete lange ein besonders kulturvolles Sammelsurium aus vielen kleinen Herzogtümern, in dem sich nicht nur die SPD gründete, sondern auch die Weimarer Republik konstituierte.
Doch jetzt, da in diesen drei überhaupt nicht neuen Ländern über die Parlamente abgestimmt wird, deckt die Folie der DDR- und Transformationszeit alles andere zu. Der um sich greifende Begriff „Ost-Wahlen“ verwischt die historische, kulturelle und landschaftliche Diversität, aber auch eine stabile Unterschiedlichkeit in der politischen Entwicklung.
Drei Länder, drei verschiedene Regierungsparteien
Brandenburg zum Beispiel kannte bisher nur SPD-Ministerpräsidenten. Es waren gerade mal drei. Amtsinhaber Dietmar Woidke, der noch einmal als Spitzenkandidat kandidiert, ist bereits seit 2013 im Amt.
In Sachsen regierte ausschließlich die CDU in der Staatskanzlei. Der aktuelle Ministerpräsident Michael Kretschmer ist gerade mal der vierte seit 1990 und tritt auch wieder an.
Und Thüringen? Nachdem 24 Jahren die CDU herrschte, gibt es hier seit 2014 mit Bodo Ramelow den einzigen linken Ministerpräsidenten – der die einzige Minderheitsregierung führt.
Auch deshalb ist der Begriff „Ost-Wahlen“ falsch. Er egalisiert alles zu einer imaginären „ehemaligen DDR“, was auch so ein gedankenloses Unwort ist.
Das Thema verfolgt mich gerade, was natürlich an den Wahlterminen liegt, aber auch an mir selbst. Schließlich habe ich zu der Frage, warum Thüringen eine politische Spezialität darstellt, sogar ein Buch geschrieben. Selber schuld also.
Je länger ich über das angebliche und tatsächliche Ostsein nachdenke, umso stärker erkenne ich, dass es, wie so oft, auch in dieser leidigen Debatte darum geht, Komplexität auszuhalten und Differenzierung zuzulassen. Wenn der kluge Soziologe Steffen Mau davon spricht, dass wir „ungleich vereint“ wurden und es so etwas wie eine „Ossifikation“ gebe, dann hat er natürlich völlig recht.
Es gibt, neben vielen anderen Identitäten, natürlich eine ostdeutsche Identität. Sie wurde uns nur nicht vom bösen Westen aufgenötigt, wie Dirk Oschmann meint, sondern durch das ungerechte Weltgeschehen.
Der Osten als kommunikative Rückkopplung
Doch das heißt längst nicht, dass alles irgendwie gleich ist. Ja, die AfD ist in den ostdeutschen Ländern mindestens doppelt so stark wie im restlichen Bundesgebiet. Aber dabei handelt es sich auch um eine kommunikative Rückkopplung: Denn einer der vielen Gründe für diese Stärke sind falsche Verallgemeinerungen und Pauschalurteile.
Die Linke, die früher PDS hieß und noch früher SED, ernährte sich über Jahrzehnte vom „Ost“-Gefühl und einem Zerrbild der DDR. Jetzt ist es die AfD.
Als ich diese Woche auf den Erfurter Anger radelte, um Björn Höckes Kampagnenrede zu hören, da sprach er, der Oberossi aus Nordrhein-Westfalen, ganz selbstverständlich von den „Ost-Wahlen“, die es zu gewinnen gelte. So wie Höcke seit Langem den Herbst 1989 für sich vereinnahmt („Vollende die Wende“), so dient ihm Thüringen nur als Vehikel der geplanten Machtergreifung.
Am Stand vor der AfD-Bühne gab es in Erfurt ein silbrig glänzendes Abzeichen, das mich unwillkürlich an meine Pionierzeit erinnerte. Darauf stand: „Der Osten macht’s!“