Junge, offensichtlich reiche Menschen filmen sich in einem Edel-Club beim Nazi-Gegröle. Unser Kolumnist wähnt sich im Fiebertraum und überlegt: Was sagt das eigentlich über die Elternhäuser dieser Leute aus?
Junge Leute mit Moncler-Jacken und Clubmaster-Sonnenbrillen auf Sylt sollen die Speerspitze deutscher Wohlstandsverwahrlosung sein? Zapperlot, da fällt einem vor Schreck glatt der weiße Moët-Kelch aus der Hand.
Ein Rudel euphorisierter BWLer hielt es offenbar für eine gute Idee, beim Feiern im Außenbereich des Pony-Clubs auf Sylt den Gigi D’Agostino-Hit „L’amour toujours“ so umzutexten, dass es nun ein rhythmisches „Ausländer raus!“ ergibt. Dazu das Hitlerbärtchen angedeutet und den Gruß gezeigt. Eine Szenerie wie im Fiebertraum, als hätte man den Rechtsradikalen aus Hoyerswerda mit seiner vollgestrullten Jogginghose in einer alternativen Realität zum Bonzenkind umgebaut und mit dem alten Mindset in eine neue Welt losgelassen.
Und weil im Jahr 2024 selbst der größte Irrsinn nicht ungestreamt bleibt, hielt man es für eine ebenso gute Idee, diese moralische Meisterleistung auch noch mit dem iPhone zu filmen und hochzuladen.
Was mag die „Rich Kids“ auf Sylt dazu verleitet haben?
Das Ganze trug sich zu im Pony, einem beliebten Club in der Whiskymeile, in Kampen. Dem Düsseldorf von Sylt, wo sonst Osnabrücker Immobilienmaklerinnen zur Entspannung die drei Huskies bei 28 Grad und leichter Brise den Strand entlang scheuchen. Nicht, dass es unüblich wäre, dass Kinder aus besser begütertem Hause hier aus vollen Kelchen und Kehlen ihrer Mittelschichtsverachtung freien Lauf lassen würden. So deutlich allerdings hat man noch nie mit dem Herrenmenschen-Dasein geliebäugelt wie hier. Rechtsradikal, aber irgendwie kultig.
Was mag sie dazu verleitet haben? Klar, die zahllosen mattschwarzen G-Klasse-Mercedes, die ihre Runden um die Kneipen drehen, können einen im Aperol-geschwängerten Zustand schon mal glauben lassen, dass die deutschen Panzer schon wieder rollen. Vielleicht ist diese Meme-taugliche Menschenverachtung auch Teil einer elitären Gegenkultur, die das Gefühl hat, der blauhaarigen postkolonialen Linken auf diese Weise etwas entgegenzusetzen. Und dabei fürchterlich danebengegriffen hat. Womöglich war der Kaschmirpulli nur ein bisschen zu stramm um den Hals geknotet. Man wundert und schämt sich.
Da dürfen sich schon mal ein paar Eltern fragen, ob Erziehung nicht doch ein bisschen mehr ist, als dem kleinen Julius den Polokragen hochzuklappen, ihm die Kreditkarte in die weiße Jeans zu stecken und mit einem aufmunternden Klaps auf den Hintern auf die Insel zu schicken. Natürlich kann man auch annehmen, dass sie gesanglich das fortführen, was im Elternhaus morgens am Frühstückstisch so geredet wird. Die Werte der AfD waren schließlich nicht immer nur im randständigen finanzschwachen Milieu oder dem notorischen Grusel-Osten hoch, sondern auch im gutbürgerlichen Teil Baden-Württembergs.
Aber klar, es ist Sylt!
In einem Anfall von bildungsbürgerlicher Wut möchte man diese kleinen geschichtsvergessenen Arschgeigen direkt zur Universität schicken. Bis einem wieder einfällt, was gerade auf deutschen Hochschulen los ist. Man wäre schon zufrieden, würden die mal ein paar Tage an der Kasse an einem Bottroper Supermarkt arbeiten. Penny statt Pony.
Euer Sylter Albtraum ist mein Alltag 1625
Weil das Internet mit all seinen geistigen Hochkarätern stets spielend in der Lage ist, jedes noch so dumme Vorkommnis in einer Melange aus Geltungsdrang und Selbstgerechtigkeit noch dümmer zu machen, wird der Austragungsort, das Pony, nun ebenfalls wuchtig angegangen. Dass die Betreiber sich glaubwürdig distanziert haben – wurscht! Eifrig wird jetzt pseudowissenschaftlich dargelegt, dass es bei Ein- und Ausfallswinkel des Schalls zwischen Innen- und Außengastronomie nahezu unmöglich ist, dass das asoziale Gegröhle von den Verantwortlichen überhört wurde. Aber klar, es ist Sylt. Die Insel, auf der Christian Lindner geheiratet und Karl-Heinz Rummenigge ein Haus hat. Sowas wie Mordor mit Reetdach. Da darf niemand auf mildernde Umstände hoffen. Überhaupt krass, wie sehr diese Leute ihrem Klischee entsprechen. Das sieht alles aus wie gecastet für einen öffentlich-rechtlichen Tatort, wo immer die Unternehmer die Bösen sind.
Klarnamen teilen – möchte man da wirklich mitmachen?
Das Videomaterial wird jetzt professionell gesichtet, die Beteiligten womöglich zur Anzeige gebracht, und, klar, auch hier gilt die Unschuldsvernutung: In dubio Prosecco. Die Politik ist angemessen entsetzt, Nancy Faeser hofft, zumindest diese Terrorzelle in den Griff zu kriegen, und vorm Pony campieren die ersten mit „Nazis raus“-Plakaten. An den grundlegenden Problemen, die wir in diesem Land mit rechtsradikalem Gedankengut und hohen Zustimmungsraten ihren politischen Vertreter haben, ändert ein geposteter „Fuck AfD“-Hoodie vermutlich wenig.
Die junge Frau, die das Video erstellt hat sowie die drei Tenöre dürfen jetzt mit maximaler Distanzierung all jener rechnen, die je mit ihnen beruflich oder privat zu tun hatten. Der soziale Schaden ist immens. Und auch, wenn man die Reichenkids am liebsten an der Perlenkette zu den nächsten hundert Sozialstunden schleifen möchte: Die Klarnamen und Gesichter hunderttausendfach zu teilen (und somit das Gebaren der BILD zu imitieren) wird nicht richtiger dadurch, dass es diesmal für die gute Sache geschieht, oder um im Außenbereich des Pony zu bleiben: Wenn die Masse sich zu etwas hinreißen lässt, tut man immer gut daran kurz zu überlegen, ob man wirklich mitmachen möchte.