Die SPD in Berlin steht vor einer Zäsur. Zwei neue Vorsitzende sollen die Partei nach vielen Jahren des Niedergangs wieder nach vorn bringen.
Die Berliner SPD wählt auf einem Parteitag am Samstag (ab 9.30 Uhr) eine neue Doppelspitze: Neuköllns Bezirksbürgermeister Martin Hikel und Ex-Sport-Staatssekretärin Nicola Böcker-Giannini sollen die Partei, mit der es bei Wahlen seit mehr als eineinhalb Jahrzehnten stetig abwärtsgeht, wieder nach vorn bringen. Das Duo hatte sich in der zweiten Runde einer Mitgliederbefragung mit gut 58 Prozent gegen ein zweites Team durchgesetzt, das der bisherige SPD-Landesvize Kian Niroomand und die frühere Co-Vorsitzende der Berliner SPD-Frauen, Jana Bertels, bildeten.
Erwartet wird, dass der Parteitag diesem rechtlich nicht bindenden Basisvotum folgt. Denkbar ist aber, dass einige Delegierte Hikel und Böcker-Giannini für die falsche Wahl halten und sich dem nicht anschließen. Die beiden stehen eher für das pragmatisch-bürgerliche Lager innerhalb der Hauptstadt-SPD. Ihre unterlegenen Herausforderer Niroomand und Bertels ticken linker: Sie hatten sich im innerparteilichen Wahlkampf stärker von der seit 2023 regierenden schwarz-roten Koalition abgegrenzt, in der die SPD nur noch Juniorpartner der CDU ist.
Die neue Doppelspitze soll die bisherigen Parteivorsitzenden, Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey und Fraktionschef Raed Saleh, ablösen, die seit 2020 amtierten. Giffey, die von 2021 bis 2023 knapp eineinhalb Jahre Regierende Bürgermeisterin war, trat nicht noch einmal für die Parteispitze an. Saleh versuchte es im Team mit der Bezirkspolitikerin Luise Lehmann, scheiterte aber schon in der ersten Runde der Mitgliederbefragung.
Die personelle Neuaufstellung der SPD, deren kompletter Landesvorstand neu gewählt wird, hat Auswirkungen auf die Zusammenarbeit in der Koalition mit der CDU, die bisher vergleichsweise gut funktioniert. Einfacher wird das Regieren nicht.
Bisher hatte der Regierende Bürgermeister und CDU-Landeschef Kai Wegner mit Saleh und Giffey verlässliche Ansprechpartner auf der SPD-Seite. Die bleiben ihm auch erhalten, allerdings kommen zusätzliche SPD-Führungsfiguren hinzu, mit denen sich Wegner erst warmlaufen muss.
Hikel und Böcker-Giannini stellen die bei vielen SPD-Mitgliedern ungeliebte Koalition mit der CDU nicht infrage. Gleichzeitig haben sie aber sich schon klargemacht, dass ihr Ziel eine Berliner SPD als stärkste und prägendste Kraft in der Hauptstadt ist. Mit Blick auf die nächste Wahl zum Abgeordnetenhaus 2026 dürfte das für viel Reibungsfläche mit der CDU sorgen.
Bei den Wahlen zum Abgeordnetenhaus von 2006 und 2023 rutschte die SPD stetig von 30,8 Prozent auf zuletzt 18,4 Prozent ab. Im Februar 2023 landeten die Sozialdemokraten mit Giffey als Spitzenkandidatin weit hinter der CDU und nur wenige Stimmen vor den Grünen. Anschließend ging die Partei nach rund sechseinhalb Jahren Bündnis mit Grünen und Linken eine Koalition mit der CDU ein.
In der 18.000 Mitglieder zählenden SPD, in der es traditionell einen starken linken Flügel gibt, rumort es spätestens seitdem, sie präsentiert sich in vielen Fragen gespalten. Hikel und Böcker-Giannini haben sich daher auf die Fahnen geschrieben, die unterschiedlichen Strömungen in der Partei zusammenzuführen.
Gleichzeitig gaben beide kurz vor dem Parteitag die Gründung einer neuen Gruppe in der SPD namens „Berliner Bündnis“ an. Ziel soll sein, „intensive Debatten über Themen voranzubringen und sie als Motor weiter in die Breite der Partei zu führen.“ Entwickelt werden solle eine SPD-Vision vom Berlin 2035, so Hikel. „Wir wollen damit vor allem Menschen wieder in die Parteiarbeit integrieren, die sich zuletzt nicht mehr bei uns engagiert haben.“
Aber in den vergangenen Tagen ist in der Partei noch mehr in Bewegung geraten. Der erfahrene langjährige Strippenzieher Saleh wurde – bei einem Gegenkandidaten – erneut und auch recht klar zum Fraktionschef gewählt. Trotz seiner krachenden Niederlage beim Mitgliederentscheid zum Parteivorsitz konnte er also einen wichtigen Posten, den er schon seit 2011 innehat, bis 2026 sichern. Geschwächt ist Saleh dennoch, nicht nur in der Partei, sondern auch in der Fraktion: Denn 8 der 34 SPD-Abgeordneten im Landesparlament haben als Gegenpol die Gruppe „Links und frei“ gegründet.
Bewerberseite Böcker-Giannini/Hikel im Rahmen der Mitgliederbefragung Programm und andere Infos zum Parteitag Ergebnisse der SPD-Mitgliederbefragung