Mehrere Firmen boten vor 2020 jahrelang Sportwetten ohne die erforderliche Lizenz an. Haben Spieler Anspruch auf Rückzahlung? Der BGH wendet sich nach Luxemburg.
Immer wieder ziehen einst glücklose Spieler vor Gericht, um Verluste aus unerlaubten Sportwetten zurückzufordern. Denn vielen Anbietern fehlte vor 2020 jahrelang die erforderliche Lizenz der deutschen Behörde. Nachdem sich zahlreiche deutsche Gerichte mit solchen Spielerklagen beschäftigt haben, hatten sich viele Kläger eine höchstrichterliche Klärung erhofft. Doch der Bundesgerichtshof (BGH) legt den Fall dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vor. Welche Frage er an die Richterinnen und Richter in Luxemburg richtet? Und was das für Glücksspieler heißt? Die wichtigsten Fragen und Antworten:
Seit wann sind Sportwetten in Deutschland erlaubt?
Bis Mitte 2012 hätten abgesehen von vereinzelten Fällen alter DDR-Lizenzen nur staatliche Anbieter in Deutschland Sportwetten veranstalten dürfen, sagt Rechtsanwalt und Glücksspielrechtsexperte Lennart Brüggemann. Um den Schwarzmarkt auszutrocknen, führten die Bundesländer 2012 einen neuen Glücksspielstaatsvertrag ein, der auch private Anbieter vorsah. Doch über acht Jahre sei keinem interessierten privaten Anbieter eine Konzession erteilt worden, so Brüggemann. Grund waren Bedenken der Verwaltungsgerichte zum behördlichen Verfahren.
Anbieter blieben deshalb jahrelang in einem rechtlichen Schwebezustand. Erst 2020 erhielten die ersten eine Lizenz. Im Jahr darauf trat der heute gültige Glücksspielstaatsvertrag in Kraft, der die Sportwetten unter Auflagen offiziell legalisierte.
Worum geht es im konkreten Fall?
Am BGH geht es um die Klage eines Mannes gegen den Wettanbieter Tipico (Az. I ZR 90/23). Er hatte von 2013 bis 2018 an Sportwetten teilgenommen und mehr als 3700 Euro verloren, die er zurückverlangt. Seiner Ansicht nach waren die Sportwetten unzulässig und die Wettverträge unwirksam, weil der Anbieter nicht die erforderliche Erlaubnis hatte. Tipico hatte eine Konzession zwar beantragt, erhielt sie aber erst 2020. Das Klagerecht hat der Prozessfinanzierer Gamesright dem ursprünglichen Kläger abgekauft. Zuletzt hatte das Landgericht Ulm erklärt, Tipico habe zwar gegen Vorschriften des Glücksspielstaatsvertrags in der damals gültigen Fassung verstoßen, die Wettverträge seien aber dennoch wirksam.
Was hat der BGH entschieden?
Der Karlsruher Senat hat das Verfahren ausgesetzt. Der EuGH soll klären, ob die unionsrechtliche Dienstleistungsfreiheit eines Anbieters mit Sitz in einem anderen EU-Land – hier Malta – der Erstattung von Verlusten bei unerlaubten Sportwetten entgegensteht. Es stellt sich die Frage, ob Sportwettverträge nichtig sind, wenn der Anbieter eine deutsche Lizenz beantragt hatte, das Verfahren dafür aber unionsrechtswidrig durchgeführt wurde.
Was bedeutet das für Spieler?
Aus Sicht ihrer Anwälte nur Warten: Durch die EuGH-Vorlage werde ein Grundsatzurteil zugunsten der Spieler lediglich verzögert, aber nicht verhindert, sagt Rechtsanwalt Claus Goldenstein, dessen Kanzlei nach eigenen Angaben mehr als 4500 Mandanten in ähnlichen Klagen vertritt. „Betroffene Glücksspieler sollten sich davon nicht verunsichern lassen und Online-Wettverluste schnellstmöglich zurückfordern, um eine Verjährung von bestehenden Rechtsansprüchen zu verhindern.“ Gamesright erklärte: „Auch wenn wir heute keine endgültige Entscheidung erhalten haben, sind wir zuversichtlich, dass die Klärung auf europäischer Ebene die nötige Rechtssicherheit für alle Beteiligten bringen wird.“
Worauf hoffen die Anbieter?
Auf einen gegenteiligen Ausgang natürlich. Tipico verweist darauf, dass der EuGH in einem strafrechtlichen Fall schon klar entschieden habe, dass das Fehlen einer deutschen Konzession aufgrund eines intransparenten Vergabeprozesses den in der EU lizenzierten Anbietern nicht entgegengehalten werden dürfe. „Wir sind sehr zuversichtlich, dass der EuGH dies auch im konkreten Fall so bestätigen wird“, erklärt Tipico-Anwalt Ronald Reichert. Auch der Deutsche Sportwettenverband zeigte sich „zuversichtlich, dass der EuGH im Sinne der Anbieter und der europäischen Dienstleistungsfreiheit entscheiden wird“.
Wie steht der BGH zu dem Fall?
Der BGH steht eher aufseiten der Spieler. Der Vorsitzende Richter Thomas Koch betont auch jetzt, dass der Senat im Grunde dazu neige, Sportwettenverträge ohne Konzession als nichtig anzusehen, auch wenn die Anbieter eine Erlaubnis schon beantragt hatten. Bei dieser Einschätzung sei auch die bisherige Rechtssprechung des EuGH berücksichtigt worden.
Welche Auswirkungen hätte ein Urteil im Sinne der Spieler?
Ein verbraucherfreundliches Urteil könnte eine noch größere Klagewelle lostreten als ohnehin schon. Tausende Verfahren laufen an deutschen Gerichten. Das liegt zum einen daran, dass mehrere Firmen vor Jahren in der rechtlich unklaren Lage Sportwetten angeboten hatten. Zum anderen haben sich Kanzleien und Unternehmen auf diese Art von Klagen spezialisiert – wie Gamesright. Ein Urteil im Sinne der Spieler könne viele Betroffene ermutigen, Verluste zurückzufordern, sagt Co-Gründer Hannes Beuck. „Wir gehen davon aus, dass wir nach einem positiven Urteil schnellere und höhere Rückzahlungen erreichen können.“
Wie verbreitet sind Sportwetten heute?
Dem Glücksspielatlas zufolge nahmen 2021 fünf Prozent der Bevölkerung an Sportwetten teil – eine Verdopplung binnen zwei Jahren. Die Bruttospiel-Erträge bei Sportwetten hätten 2022 bei 1,4 Milliarden Euro gelegen. Zum Vergleich: Bei Lotterien seien es 4,1 Milliarden und bei Geldspielautomaten 4,8 Milliarden Euro gewesen. Der Zuwachs bei Sportwetten sei seit der Legalisierung 2020 stark, heißt es weiter. Laut der Gemeinsamen Glücksspielbehörde der Länder (GGL) haben inzwischen 30 Anbieter von Sportwetten eine Erlaubnis.