Helm auf, Visier runter – Gas geben. Keine Zeit zum Grübeln. So leicht ist es in der Formel 1 nicht. Selbstzweifel plagen selbst die Größten. Wie geht einer damit um, der nach ganz oben will?
Formel-1-Rekordweltmeister Lewis Hamilton kennt sie. Der bislang einmalige Grand-Prix-Gewinner Lando Norris kennt sie. Selbst eine Ikone wie Michael Schumacher, dessen Karriere immer irgendwie um Spa-Francorchamps kreiste, kannte sie nur zu gut. Und auch PS-Teenager Kimi Antonelli, der in die exklusive Fahrerriege der Formel 1 erst noch aufsteigen will, kennt sie. Sie? Selbstzweifel. Also dieses Gefühl, kein Vertrauen – oder weniger als sonst – in die eigenen Fähigkeiten und Entscheidungen zu haben.
„Ich weiß nicht, ob ich bereit wäre, um ehrlich zu sein, weil ich in der Formel 2 noch viel lerne. Ich mache immer noch ziemlich viele Fehler“, räumte Mercedes-Nachwuchsmann Antonelli vor Kurzem Zweifel ein, ob er nächstes Jahr schon reif für die Beförderung sei. „Diese wenigen Details sind wirklich wichtig. Ich mache sie immer noch nicht richtig. Ich mache immer noch nicht alles richtig.“
Antonelli ist gerade einmal 17 Jahre alt, gilt aber schon als künftiger Formel-1-Star. Vielleicht hat er sogar eine ähnliche Klasse wie das zum dreimaligen Weltmeister gereifte einstige Wunderkind Max Verstappen. Die Formel 3 hat der Italiener übersprungen und fährt in dieser Saison in der Formel 2 für Prema. In Silverstone und Budapest hat Antonelli sogar schon Rennen gewinnen können. Aber 2025 vielleicht gleich Nachfolger vom künftigen Ferrari-Fahrer Hamilton werden? Da kann man schon mal schlucken.
„Wir vergessen gerne manchmal, wie dumm wir mit 17 waren“, meinte Mercedes-Teamchef Toto Wolff (52) über die Selbstzweifel eines Antonelli. „Ich kann klar sagen, dass es mir damals meine mangelnde Reife nie erlaubt hätte, in einem so umkämpften Feld klare Entscheidungen zu treffen.“ Antonelli solle sich ruhig entwickeln, so gut das eben geht, wenn einem die gesamte Motorsport-Welt dabei zuschaut. „Ich möchte von ihm sehen, dass er Fehler macht und daraus lernt“, beschied Wolff.
„Liegt es an mir?“
Hamilton kennt ebenfalls Selbstzweifel – und das als siebenmaliger Weltmeister. Nach der dramatischen WM-Saison 2021, als er seinen schon greifbaren achten WM-Titel erst auf den letzten Kilometern an Verstappen verlor, dauerte es bis zum Grand Prix von Großbritannien in diesem Jahr 945 Tage, ehe er wieder ein Rennen gewann. Sein mittlerweile 104.
„Wenn man eine schwierige Saison hat, gibt es immer wieder Momente, in denen man sich fragt: Liegt es an mir? Oder liegt es am Auto? Habe ich es noch drauf? Oder ist es weg?“, erzählte Mercedes-Superstar Hamilton. „Wenn die Magie passiert, wenn alles zusammenkommt, das Auto und man selbst, und dann der Funke überspringt, dann ist das außergewöhnlich. Das ist es, wonach man sucht.“
Hamilton ist aber trotz seiner Rekorde kein Galaktischer, der die innere Stimme einfach abdrehen kann. „Ich bin auch nur ein Mensch“, sagte der 39-Jährige über Selbstzweifel. „Wenn jemand auf der Welt behauptet, dass er solche Dinge nicht hat, dann verleugnet er sie. Wir sind alle Menschen.“
Norris zeigt es seinen Hatern
Sein englischer Landsmann Norris gilt fast schon als Meister der oft quälenden Introspektion. Nicht selten haben den 24-Jährigen Hochstapler-Gefühle gepackt: Man zweifelt seine eigene berufliche Leistung an und fürchtet, im Job aufzufliegen. „Ich bin so scheiße manchmal“, räumte Norris mit brutaler Ehrlichkeit gegen sich selbst einmal ein.
Erst im Mai dieses Jahres konnte Norris seinen ersten Grand-Prix-Sieg feiern – und freute sich, es seinen Hatern in den Sozialen Medien gezeigt zu haben. So fiel wenigstens etwas Last von dem McLaren-Fahrer ab. „Lando ist ein ehrlicher Mensch in jeder Art Beziehung, auch in der zu sich selbst“, erzählte Teamchef Andrea Stella über Norris, der hart mit sich selbst umgehe. „Ich bin mir aber sicher, dass er das im Laufe der Jahre immer weiter verfeinern wird.“
Selbstzweifel haben im Cockpit durchaus Platz, sie sind nicht zuletzt auch Antriebsstoff. Es geht nur darum, dass sie das Ego des Fahrers nicht zu sehr einengen. Das wusste auch Michael Schumacher, der in Belgien 1991 seinen ersten Grand Prix bestritt, dort 1992 seinen ersten Sieg feierte sowie an Ort und Stelle 2004 vorzeitig auch seinen letzten WM-Triumph erlebte.
„Selbstzweifel sind absolut und immer wichtig. Ich zweifle ständig an mir, das war schon immer so. Man muss sich permanent infrage stellen, um sich weiter zu entwickeln und dazu lernen zu können“, erzählte Schumacher einmal, der seit seinem schweren Ski-Unfall Ende 2013 von der Öffentlichkeit abgeschirmt lebt. „Das gilt überall im Leben, und in unserer Welt erst recht – denn die Formel 1 ist gleichbedeutend mit Weiterentwicklung.“