Die Deutsche Bahn (DB) hat in nur sechs Monaten rund 1,2 Milliarden Euro Verlust eingefahren. Grund für das Riesen-Minus im ersten Halbjahr sind laut DB-Chef Richard Lutz die Streiks der Lokführer, Extremwetterereignisse wie Überflutungen und Hangrutsche und die marode Infrastruktur, die zu Verspätungen und damit Entschädigungszahlungen führt. Im Gesamtjahr will Lutz aber zumindest operativ – vor Steuern und Zinsen – wieder schwarze Zahlen schreiben.
Exakt machte die Bahn von Januar bis Juni 1,231 Milliarden Euro Verlust – im Vorjahreszeitraum hatte das Minus 71 Millionen Euro betragen. Die Streiks der Lokführer zu Beginn des Jahres kosteten laut Bahn 300 Millionen Euro. Hauptgrund für das schlechte Ergebnis seien aber die „direkten und indirekten Belastungen aus der Infrastruktur“, sagte Finanzchef Levin Holle.
Deshalb sank laut Bahn auch der Umsatz, und zwar von rund 23 Milliarden Euro im ersten Halbjahr 2023 auf 22,3 Milliarden Euro in diesem Halbjahr. Sechs Prozent weniger Reisende – insgesamt 64,2 Millionen – nutzten die Fernverkehrszüge der Bahn in den sechs Monaten. In den Regionalzügen hingegen saßen sechs Prozent mehr Passagiere (855 Millionen), was vor allem aufs Deutschlandticket zurückzuführen ist.
Grund für den Rückgang der Passagiere im Fernverkehr war laut Lutz auch die mangelnde Pünktlichkeit. Im ersten Halbjahr betrug die Pünktlichkeitsquote nur 62,7 Prozent, im gesamten Schienenpersonenverkehr des Konzerns bei 90,1 Prozent. Pünktlich ist laut Definition der Bahn ein Zug, der mit weniger als sechs Minuten Verspätung im Bahnhof eintrifft. Im gesamten Schienenpersonenverkehr des Konzerns waren so 90,1 Prozent der Züge pünktlich.
Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) nannte die Leistung der DB „nicht befriedigend“. Die Bilanzzahlen zeigten dringenden Handlungsbedarf. „Wir müssen das Netz schnellstmöglich in einen Zustand versetzen, der der hohen Nachfrage sowohl im Personen- als auch im Güterverkehr gerecht wird“, erklärte Wissing. Der Bund habe die finanziellen Mittel zur Verfügung gestellt und auch die gesetzliche Grundlage für die Generalsanierung des Bahnnetzes geschaffen. Jetzt sei die DB am Zug.
DB-Chef Lutz versprach, an der „langfristigen Gesundung“ der Schiene zu arbeiten. Die Krisen der vergangenen Jahre sowie der Fachkräftemangel hätten die DB „in wirtschaftliche Schieflage“ gebracht. Die Mitte Juli gestartete Sanierung der Riedbahn zwischen Mannheim und Frankfurt markiere den „Sprung in die Zukunft einer besseren Infrastruktur“. Die Strecke wird fünf Monate lang voll gesperrt, in dieser Zeit sei „viermal soviel Bauleistung“ möglich wie beim aktuell vorherrschenden „kleinteiligen Bauen“.
Zur wirtschaftlichen Lage sagte der Konzernchef, er sei zuversichtlich, dass sich die Ergebnisentwicklung im zweiten Halbjahr verbessere. Schon im Juni habe die Bahn im Fernverkehr wieder ein deutliches Umsatzplus verzeichnet.
Für das Gesamtjahr rechnet die Bahn mit einem Umsatz von 45 Milliarden Euro, das wäre auf dem Niveau des Jahres 2023. Ziel ist ein operativer Gewinn von „etwa einer Milliarde Euro“.
Gewinnbringer im Konzern ist nach wie vor die Logistiktochter Schenker, sie erwirtschaftete im ersten Halbjahr einen operativen Gewinn von 520 Millionen Euro. Die Tochter soll verkauft werden, die Bahn hofft auf mehr als zehn Milliarden Euro. Im Mai hatte sie den Verkauf der Auslandstochter Arriva abgeschlossen, die Verschuldung konnte damit um mehr als eine Milliarde Euro reduziert werden. Die Bahn hat Schulden von rund 33 Milliarden Euro.
Um die wirtschaftliche Lage zu verbessern, will der Konzern „effizienter“ arbeiten, wie Lutz sagte, die Beschäftigten sollten weniger Zeit für „administrative Prozesse“ aufwenden. Das Personal soll so in fünf Jahren um 30.000 Stellen reduziert werden. Ob der Konzern die Ticketpreise anhebt, „werden wir im Herbst verkünden“, sagte der Bahn-Chef.
Unionsfraktionsvize Ulrich Lange (CSU) nannte die Halbjahresbilanz eine „Bilanz des Scheiterns“ und forderte, das Management der DB auszutauschen. Die Führung des Konzerns müsse „komplett neu aufgestellt werden“, sagte er der „Rheinischen Post“ (Freitagsausgabe). SPD-Fraktionsvize Detlef Müller hingegen sagte der Zeitung, die Ergebnisse der Halbjahresbilanz seien zu erwarten gewesen. „Die Bahn steht auch in diesem Jahr unter besonders hohem Druck.“ Gründe seien etwa „die alleinige Vorfinanzierung der Generalsanierung Riedbahn oder ungeplante große Instandhaltungen nach Unwetterkatastrophen“.
Der Bundesvorsitzende des Fahrgastverbandes Pro Bahn, Detlef Neuß, sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland, die „Malaise“ habe vor allem mit der Konstruktion der Bahn als Aktiengesellschaft zu tun, die gewinnorientiert arbeiten soll. „Was wir jetzt sehen, ist das Ergebnis einer Vernachlässigung der Bahn durch die Politik über viele Jahre hinweg.“