Nach Olympia ist Schluss. Angelique Kerber beendet nach dem Tennis-Turnier in Paris ihre ruhmreiche Karriere. Aufgrund der Auslosung droht ein frühes Aus im Einzel.
Eingerahmt von den Tennis-Ikonen Rafael Nadal und Andy Murray lächelte Angelique Kerber leicht gequält für die Kameras. Anderthalb Stunden nachdem sie die „härteste Entscheidung“ ihres Lebens verkündet hatte, meinte es die Olympia-Auslosung nicht gut mit dem deutschen Tennisstar. Bei ihrem letzten Turnier vor dem Rücktritt trifft die 36-Jährige in der ersten Runde auf die viermalige Grand-Slam-Turniersiegerin Naomi Osaka aus Japan. Es droht ein frühes Aus zum Abschied der nach Steffi Graf erfolgreichsten deutschen Tennisspielerin der Geschichte.
Klagen wollte Kerber über das Lospech aber nicht. Sie habe „jetzt auch nichts mehr zu verlieren“, sagte die frühere Weltranglistenerste der Deutschen Presse-Agentur: „Ich freue mich auf das Match und auf das Turnier. Ich werde es so gut es geht genießen.“
„Die Ziellinie“ – mit diesen Worten leitete die dreimalige Grand-Slam-Turniersiegerin die Ankündigung ihres Rücktritts nach den Olympischen Spielen bei Instagram ein. Es sei nach über 20 Jahren als Profi sehr wahrscheinlich „die richtige Entscheidung“, auch wenn es sich „nie so anfühlen“ werde, schrieb die Mutter einer 17 Monate alten Tochter: „Einfach weil ich den Sport von ganzem Herzen liebe und dankbar bin für die Erinnerungen und Möglichkeiten, die er mir gegeben hat.“
Missglücktes Comeback nach Babypause
Die Kielerin gewann 2016 die Australian Open sowie die US Open und wurde die erste deutsche Nummer 1 der Damen-Tenniswelt nach Steffi Graf. Zwei Jahre später folgte der Triumph beim Rasen-Klassiker von Wimbledon. Zudem holte sie bei den Sommerspielen von Rio de Janeiro 2016 die Silbermedaille. Sie überzeugte nicht mit dem härtesten Aufschlag, nicht mit den raffiniertesten Grundschlägen, sondern mit ihrem eisernen Willen und ihrer überragenden Fitness. Ihr Motto lautete: „Ich will mein Herz auf dem Platz lassen.“
Dann wurde Kerber schwanger und Ende Februar 2023 kam Tochter Liana zur Welt. Aus Liebe zum Tennis wagte sie ein Comeback – es war nicht von Erfolg gekrönt. Kerber konnte nicht mehr an ihre Topform anknüpfen, bei allen drei Grand-Slam-Starts nach der Rückkehr kam das Aus bereits in der ersten Runde. Das nagte an ihrem Selbstverständnis – und doch fühlen sich Niederlagen nun etwas anders an.
„Seitdem ich Mutter bin, habe ich eine ganz andere Mentalität auf dem Platz, denn ich schaue nicht mehr nur auf mich selbst, sondern da ist jemand, die wichtiger ist als ich – und am Ende auch wichtiger als der Sport“, sagte Kerber im Interview des Magazins „Vogue“ kurz vor Olympia-Start. Ihre Rollen als Mutter und Profisportlerin gedanklich zu vereinen, sei „nicht einfach“, gab Kerber zu.
Kerber fühlt sich „erleichtert“
Bevor nach Olympia endgültig Schluss ist, will sie aber nochmal abliefern. Bessere Medaillenchancen als im Einzel hat sie im Doppel mit Laura Siegemund, das Duo trifft zum Auftakt auf Katie Boulter und Heather Watson aus Großbritannien. Als kleines Mädchen habe sie „immer die Olympischen Spiele im Fernsehen geschaut und mir vorgestellt, selbst eine Medaille zu gewinnen, und da war es mir auch egal, welche Farbe die Medaille hat“, sagte Kerber.
Ob ihr der verkündete Rücktritt nun hilft, befreiter aufzuspielen, weiß Kerber selbst nicht genau. „Ich fühle mich definitiv erleichtert, aber es sind auch viele andere Emotionen dabei“, sagte sie: „Für mich ist wichtig, dass ich die Zeit genieße und auf dem Platz nochmal alles rauslasse, was ich habe.“ Erst danach sei die Zeit gekommen, ihre Karriere Revue passieren zu lassen. „Der Schritt ist gegangen – realisieren werde ich es in einigen Wochen.“
Beim Training nach der Auslosung wirkte Kerber schon wieder deutlich fröhlicher, beim Einschlagen mit Trainingspartnerin Tatjana Maria scherzten beide. Für das deutsche Damen-Tennis ist Kerbers Rücktritt ein erneuter Rückschlag. „Mit ihrem besonderen Kampfgeist und der großen Leidenschaft auf dem Platz“ sei sie „stets ein strahlendes Vorbild“ für den Nachwuchs gewesen, sagte Präsident Dietloff von Arnim vom Deutschen Tennis Bund.